Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Der Mann, der die Mode demokratisierte

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Seine Kreationen waren elegant, aber nicht kompliziert. Mode müsse nichts Elitäres haben, fand er: Zum Tode des Designers und Geschäftsmannes Pierre Cardin.

Von Jan Kedves

Ohne ihn kein Prêt-à-Porter, ohne ihn kein modischer Futurismus, ohne ihn keine Lizenz-Exzesse inklusive Socken und Unterhemden: Der Pariser Modedesigner Pierre Cardin verband wie kaum ein Zweiter seiner Zunft einen visionären Gestaltungswillen mit unbedingtem Geschäftssinn. Dass Mode etwas Elitäres haben muss, fand er gar nicht, im Gegenteil: Er erlaubte Firmen, sogar Bratpfannen mit seinem Signet zu verkaufen.

Für ihn war das eine Demokratisierung der Mode und eine Beglückung der Menschen, die er aus Traditionen und Abhängigkeiten befreien wollte. Besonders die Frauen: Er steckte sie nicht in Rüschen und hohe Hacken, vermied riesig gekrempte Hüte. Er entwarf praktische Mode für die moderne, emanzipierte, berufstätige Frau, die um ihre Unabhängigkeit kämpft, die mobil ist, die Auto fährt. Das heißt: Leggins, Plexiglas-Visiere, minikurze Röcke. Elegant, aber nicht kompliziert.

Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre war das revolutionär. "Ich wollte die neuen Realitäten des Lebens reflektieren", sagte Cardin.

Geboren wurde er 1922 als Pietro-Costante Cardin im italienischen San Biagio di Callalta bei Treviso. Die Karriere in Paris begann er 1944 als Zeichner im Haus der Designerin Jeanne Paquin. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wechselte er zur heute umso legendäreren Elsa Schiaparelli, allerdings nur für drei Monate. Danach wollte er beim Spanier Cristóbal Balenciaga anfangen, den er sehr verehrte, aber dessen Directrice lehnte ihn ab, also ging er zu Christian Dior. Der gilt als größter Förderer Cardins. 1950 gründete er sein eigenes Haus.

Mode für alle, das war Cardins Ziel. 1959 hing er sein Prêt-à-Porter, seine fertige Konfektionsware, in Kaufhäuser. Printemps in Paris, Harrods in London. Damals ein Affront gegen das noch stark von der maßgeschneiderten Haute Couture dominierte Pariser System. Heute verkauft jedes Luxus-Modehaus auch Smartphone-Schutzhüllen und Duftkerzen: Ohne Cardins Pionierarbeit auf dem Gebiet wäre es vielleicht nie so weit gekommen.

Im Imperium, das er sich mit Lizenznehmern in 140 Ländern der Erde (Alaska, Neuseeland, Argentinien, China) aufbaute, steckte nie fremdes Geld. Er verkaufte keine Anteile, ging nicht an die Börse. Er führte das auf die Zeit während des Zweiten Weltkriegs zurück, als er - noch vor seiner Modekarriere - drei Jahre lang beim Roten Kreuz arbeitete, auf einem Posten, wo er mit Finanzen zu tun hatte. "Da lernte ich, wie wichtig es ist, immer nur sein eigenes Geld auszugeben", erinnerte sich Cardin.

Zukunft und Technik waren Cardins Themen

Die Sechzigerjahre waren ästhetisch seine größte Zeit - das sogenannte Space-Age, das auch Kollegen wie Paco Rabanne und André Courrèges beflügelte. Fast unmöglich, aus heutiger Sicht zu entscheiden, wer damals der Erste und der Wichtigste war. Cardin liebte die Zukunft und die Technik: "Als junger Mann fantasierte ich darüber, wie der Mensch in Zukunft auf dem Mond landen würde, ich träumte von Computern und davon, dass man auf dem Bürgersteig nicht mehr gehen, sondern rollen würde. Das habe ich damals mit den Mitteln der Mode formuliert. Und alles ist eingetreten", sagte er in einem Interview im Jahr 2010.

Die Raumfahrer-Looks waren so ikonisch, und Cardins Sinn für PR war so ausgeprägt, dass sich mit dem Namen dann (fast) alles verkaufen ließ. "Wenn Sie immer wieder hören, dass im Kino ein toller Film läuft, wollen Sie sich den auch irgendwann anschauen. Genauso ist es mit der Mode", sagte Cardin. Sprich: Wenn überall steht, dass Cardin die visionärste Mode entwirft, "dann wollen Sie irgendwann auch ein Paar Socken von mir haben!" Nur das Designer-Hygienepapier, das er nicht Klopapier nannte, war ein Flop.

Fehler? Ja, die habe er gemacht - nicht rechtzeitig ins Geschäft mit Designer-Jeans eingestiegen zu sein und Kooperationsangebote von Swatch und Nike abgelehnt zu haben. Aufs Krawattengeschäft war er fast am stolzesten: Cardin sagte, er habe in seinem Leben so viele Krawatten verkauft, dass man mit ihnen, nähte man sie alle aneinander, problemlos zweimal die Erde umwickeln könnte.

Am Dienstag ist Pierre Cardin, der große unerschrockene Popularisierer der Mode, im Alter von 98 Jahren in einem Krankenhaus bei Paris gestorben.

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