Süddeutsche Zeitung

Luxus-Dirndl:Ein Charivari für Aschenputtel

Lesezeit: 2 min

Und sei es nur für einen Abend im Käferzelt: Das teuerste Dirndl der Welt zu tragen, ist ein Traum. Vorausgesetzt, man steht gern im Mittelpunkt, ohne Spaß zu haben. Eine Stilkritik.

Von Violetta Simon

München leuchtet, das gilt ganz besonders fürs Käferzelt, wo sich bekanntlich während der Wiesnzeit die schillerndsten Einwohner (und Kurzzeit-Einwanderer) Münchens einfinden: DJanes, Designerinnen, Schlagersänger und TV-Moderatorinnen, ehemalige Fußballer und Tennisgötter sowie deren Ex-Gattinnen. So ein Käfig voller Narren, pardon, Zelt voller Halbprominenter, ist die optimale Präsentationsfläche für ein spektakuläres, ach was, DAS spektakulärste Outfit schlechthin: ein Luxus-Dirndl des Stuttgarter Labels Kinga Mathe. Für 42 600 Euro.

In dem Modell namens Victoria steckte kürzlich das Model Barbara Meier, Gewinnerin von "Germany's next Topmodel" (2007). Die 32-jährige Oberpfälzerin mit dem feuerroten Haar hat nicht nur auf dem Laufsteg Übung darin, exklusive Kreationen spazierenzutragen. Auf dem Münchner Filmball im Januar hatte Meier ein Collier aus der Edelschmiede Thomas Jirgens im Wert von mehr als einer Million am Hals, dazu ein Paar passende Ohrringe - und zwei Bodyguards, die ihr überallhin folgten. Nicht einfach, sich in so einer Situation angemessen zu amüsieren.

Aber zurück zu Käfers Wiesnschänke. Zwischen all den Blingbling-Kreationen, geblümten Piroschka-Schürzen und schillernden Miedern wirkte das teuerste Dirndl der Welt überraschend unüberraschend. Das Auffallendste an dem Arrangement waren im Grunde Meiers Metallic-High-Heels und die güldene Clutch. Um die Kreation der Designerin Kira Mathe angemessen würdigen zu können, braucht es schon ein paar Hintergrunddetails. Zum Beispiel, dass vier Wochen Handarbeit in dem Dirndl stecken, das in jeder Hinsicht exklusiver ist als seine Artgenossen. Weil es genau genommen nicht zum Anziehen gedacht ist. Sondern als tragbares Kunstwerk verstanden werden muss.

Dieses Kunstwerk besteht aus reiner Dupionseide, wie sie gern für Abendgarderobe verwendet wird - gewonnen aus den Doppel-Kokons von gleich zwei Seidenraupen, die sich gemeinsam verpuppt haben. Das Mieder wurde wochenlang von Hand mit Blüten und Ranken bestickt. Und wo bei der durchschnittlichen Dirndlträgerin der Hüftspeck sitzt, ruht bei Meier der wohl größte Kostenfaktor auf der Schürze, eine Art Haute-Couture-Charivari: drei Reihen Roségold, besetzt mit echten Perlen und Diamanten, in mehr als 100 Arbeitsstunden von einer Goldschmiedin gefertigt.

Wie es sein kann, dass ein Dirndl 42 600 Euro wert ist? Nun, jetzt weiß man's. Hat niemand behauptet, dass man es auch verstehen muss.

Wobei - man kann es ja mal versuchen. Eine "Hommage an Tradition, Individualität und Handwerkskunst" wollte die schwäbische Designerin mit den ungarischen Wurzeln erschaffen, gegen Massenkonsum und Stangenware. Geht's auch kleiner? Nein, im Gegenteil. Das war erst der Anfang. Diese Worte galten dem Vorgängermodell "Grace" von 2017, damals von Lilly Becker ausgeführt. Ladenpreis: 27 000 Euro. Diesmal jedoch, zum zehnten Jubiläum, wollte sich Kinga Mathe selbst übertreffen. Das ist ihr gelungen, schon allein in Bezug auf den Preis: 15 000 Euro liegen zwischen Grace und Victoria.

Die Überlegung, ob Barbara Meier in dieser Aufmachung ein halbes Hendl oder doch lieber eine Portion Kaiserschmarrn bestellt, dürfte sich an jenem Abend erübrigt haben. Weil Kunstwerke wie diese - auch wenn Frau Mathe das in einem Anflug von Leichtsinn anders darstellte - in der Regel nicht waschmaschinenfest sind. "Ich werde vorsichtig essen und trinken und heute genau darauf achten, was alle Menschen um mich herum tun", sagte Meier in vorauseilendem Gehorsam. Tänze auf der Bank? Besser nicht, am Ende bleibt noch eine der anderen Damen mit ihrer Edelstein-Schmuckschließe in der 18-karätigen Hüftkette hängen und reißt ein paar Perlen oder Diamanten mit.

Schade eigentlich, wenn man im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, weil man im teuersten Dirndl der Welt steckt. Und trotzdem - oder gerade deshalb - nicht mitmachen kann bei der Party. Denn das Dirndl war natürlich nur eine Leihgabe und musste nach Gebrauch unbeschadet an die Besitzerin zurückgehen. Erinnert ein bisschen an Aschenputtel. Um Mitternacht, als die Prinzessin mit dem feuerroten Haar in ihrem wunderschönen Kleid den Ball verließ, war der Traum vorbei. So gesehen war der Abend im Käferzelt zweifellos: das reinste Märchen.

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