Süddeutsche Zeitung

Merchandising in der Modeindustrie:Das perfekte Geschäft

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Gucci verkauft Micky-Maus-Taschen, H&M Kleider mit Billie-Eilish-Schriftzug. Merchandising-Produkte sind in der Mode eine Lizenz zum Gelddrucken.

Von Silke Wichert

Die Sache mit den T-Shirts war so nie geplant. Die beiden Amerikaner Isaac Tigrett und Peter Morton hatten ihr erstes Diner 1971 in London eigentlich nur eröffnet, um endlich gescheite Burger in der Stadt essen zu können. Ein paar Jahre später sponserten sie eine lokale Fußballmannschaft, also bedruckten sie als Trikots weiße T-Shirts mit dem Logo des Restaurants: Hard Rock Cafe, London. Die übrig gebliebenen verteilten sie an Stammkunden, und was sie damit anrichteten, war irgendwann bis in die tiefste Provinz von Westdeutschland zu beobachten: Die Leute trugen das T-Shirt der expandierenden Restaurantkette mit stolz geschwellter Brust.

Man war da gewesen! (Oder zumindest jemand, den man kannte, und der sich netterweise für das Ding angestellt hatte.) In London! Später dann in New York, Tokio, Berlin! Das Hard-Rock-Cafe-Shirt avancierte zum angeblich bestverkauften Souvenir der Welt. In jedem Fall wurde es zu einem frühen Beispiel für irre erfolgreiches "Merchandising", das perfekte Ausquetschen einer Marke mit Fanartikeln.

Fast fünfzig Jahre später wird das runde Logo nicht mehr ganz so demonstrativ hergezeigt, dafür prangen auf den T-Shirts da draußen alle möglichen anderen Werbebanner: der Schriftzug der Serie "Friends", der Band Metallica, von DHL oder Kellogg's. Die Fanartikel mit dem "Artwork" zum neuen Album von Harry Styles wurden vor Weihnachten in eigens dafür eingerichteten Pop-up-Stores in London, New York und Los Angeles verkauft. Sonst allerdings ist "Merch", wie es in der Kurzform heißt, im Vergleich zu früher viel einfacher zu bekommen. Man muss nicht einmal mehr zum Konzert, einem Ort oder Fan-Shop pilgern - kann alles online bestellt werden. Und die Modehäuser helfen freundlich mit.

H&M bietet auf seiner Onlineseite in der Kategorie "Jetzt im Trend" gerade "Musik, Film & Logos" an. Mit einem Klick landet man mitten beim Fan-Bedarf für die Popstars Billie Eilish und Shawn Mendes. Levi's verkaufte im Sommer eine Kapselkollektion in Zusammenarbeit mit den Kostümbildnern der Netflix-Serie "Stranger Things", im Herbst folgte pünktlich zum Filmstart von "The Rise of Skywalker" eine "Star-Wars"-Kollektion. Statt der normalen "Friends"-T-Shirts findet sich bei Asos zum Valentinstag eines mit romantischem Fotoprint der Charaktere Rachel und Ross. "Merch-Mania" wurde das Phänomen getauft, Fanartikel als riesiger Modetrend.

Die Branchenseite " Business of Fashion " fragte nach einem überraschenden Revival von Bandshirts bereits im Sommer 2017, wie lange die Leute eigentlich noch mit Devotionalien herumlaufen wollten, ob das Ende der Fahnenstange nicht bald erreicht sei. Rückblickend kann die Frage mit "Ähm, nein" beantwortet werden. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht, die Palette wird im Gegenteil immer größer. Diesel tat sich mit Coca-Cola zusammen. Zur aktuellen Blockbuster-Ausstellung im Louvre, anlässlich des 500. Todestags von Leonardo da Vinci, wurde neben dem üblichen Museums-Merch aus Poster, Bleistift und Baumwolltasche erstmals eine eigene, limitierte Modekollektion lanciert: "Off-White x Louvre", entworfen vom amerikanischen Designer Virgil Abloh. Die Hoodies mit Da-Vinci-Motiv unterlegtem Logo werden nicht nur im Museums-Shop, sondern auch bei Off-White sowie vom Onlinehändler Farfetch verkauft. Zum Mitnahmepreis von 470 Euro.

Maximale Aufmerksamkeit durch Schriftzüge auf Socken

Für Anbieter ist Merch das perfekte Geschäft. Stars wie Billie Eilish, oder zuvor Ariana Grande, verkaufen eine Lizenz für die Nutzung bestimmter Markenrechte an Händler wie H&M und kassieren in der Regel mit jedem verkauften Artikel sogenannte Royalties. Bezahlte Werbung im umgekehrten Sinn - jemand zahlt dafür, den Namen unter die Leute zu bringen. Dafür dürfen die Schweden den Schriftzug der Stars auf Jogginghosen, Socken, Bauchtaschen drucken. Minimaler Designaufwand, maximale Aufmerksamkeit, zumal wenn Billie Eilish kurz nach dem Verkaufsstart als neue Bond-Sirene verkündet wird. Eine Lizenz zum Gelddrucken.

2018 stiegen die Royalty-Erlöse mit Merchandising-Artikeln weltweit auf 15 Milliarden Dollar. In diesen Zahlen sind natürlich auch Spielfiguren enthalten, aber Kleidung gehört laut der Organisation Licensing International zu einem der größten Umsatzbringer. Warum Kinder so gern Sweatshirts mit ihren Helden von "Lego Ninjago" oder "Frozen" anziehen, ist klar. Dass Teenager sich mit Kleidung von (Menschen-)Marken zu einer Gruppe zugehörig fühlen wollen - ebenfalls nachvollziehbar. Bleibt die Frage, warum Erwachsene mit "Friends", "Star Wars" oder Coca-Cola herumlaufen.

Es geht dabei ja eher nicht um Status wie bei all den Logo-Shirts. Die ja im Grunde, wenn man mal ganz ehrlich ist, auch nichts anderes sind als simpler Merch. Ein T-Shirt mit YSL- oder Chanel-Logo ist der Fanschal unter den Luxusartikeln, der Einsteigertarif in die nicht mehr hermetisch abgeriegelte Modewelt. Außerdem passen Basics mit irgendeiner Schrift darauf wunderbar zum anhaltenden Neunziger-Revival und machen jeden Blazer ein bisschen straßentauglicher. Seltenheitswert mag noch bei limitierten Kollektionen wie Off-White x Louvre eine Rolle spielen, aber offensichtlich geht es bei diesem Trend vor allem um die Tendenz, seiner Umwelt laufend mitzuteilen, was man gerade gut findet. Das T-Shirt ist zur analogen Außenstelle des Instagram-Accounts avanciert. Man trägt sein Herz nicht mehr auf der Zunge, sondern lieber mittig auf der Brust. Zum Reden bleibt ja heute eh kaum mehr Zeit, das textile ersetzt das verbale Statement.

Das kann natürlich auch ein ironischer Kommentar sein. Als Vetements unter dem damaligen Designer Demna Gvasalia 2016 ein T-Shirt mit DHL-Logo auf den Laufsteg schickte, war das eigentlich als Wink auf die irren Portokosten im Atelier gemeint. Es wurde aber sofort als "Anti-Merch" verstanden, als coole Konsumkritik in Zeiten des Online-Shopping. (Bestellt wurde es dann freilich online.) Im Herbst verfremdete Gvasalia bei Balenciaga die typische Paris-Souvenirware, diesen Frühling gibt es "Hello Kitty"-Taschen und "Balenciaga's Topmodel"-Shirts. Augenzwinkern für ein paar Hundert Euro das Stück. Aber führt man damit wirklich etwas vor - oder wird man womöglich selbst vorgeführt?

Während jedenfalls alle gerade von Nachhaltigkeit reden: Die Halbwertzeit dieser Kleidungsstücke dürfte überschaubar sein. Auf Instagram wird jeder Inhalt in der Regel nur einmal gepostet. Wie oft kann man das gleiche Statement auf dem T-Shirt bringen? Oder man müsste die Sachen zwischendurch nur lange genug liegen lassen. Würde Balenciaga morgen das Hard-Rock-Cafe-Shirt zurückbringen, es wäre mit Sicherheit ein Riesenerfolg.

Ein wirklicher Star ist man erst mit eigenem Fanartikel

Nostalgie, ohnehin ein Dauerthema des, nun ja, "aktuellen" Zeitgeists, spielt auch beim Merch-Trend eine große Rolle. Soziologen beobachten schon lange, dass gerade in unsicheren Zeiten positive emotionale Erinnerungen an die Vergangenheit eine willkommene Flucht aus dem Alltag bieten. Eine im Journal of Consumer Research veröffentlichte Studie legt sogar nahe, dass Konsumenten sehr viel eher dazu tendieren, Geld auszugeben, wenn sie nostalgisch gestimmt sind.

Als Gucci 2016 erstmals einen Männerpullunder mit Donald Duck über den Laufsteg schickte, erntete das noch Stirnrunzeln in der Branche. Ernsthaft? Gucci goes Disney? Mittlerweile wundert sich keiner mehr, Zeichentrickhelden sind längst Dauergäste bei der italienischen Marke. Im Januar wurde zum chinesischen Jahr der Maus noch einmal eine ganze Kollektion mit den bekanntesten Ohren der Welt gelauncht. Taschen, Koffer, Kleider, Pullover - Micky taucht überall auf. "Das sind die Gucci-Teile, von denen wir am meisten ordern", sagt Emmanuel de Bayser, Mitbesitzer der Berliner Luxusboutique The Corner. "Die Leute lieben das." Der Disney-Konzern gilt ohnehin als Meister des Merchandising und geht gezielt auf Marken zu. Seit er auch noch das "Star-Wars"-Universum verwaltet, sind die Umsätze von Disney mit lizenzierten Produkten auf fast 60 Milliarden Dollar im Jahr 2018 geklettert.

Wenig überraschend, dass Warner Brothers verstärkt nachzieht. Vor wenigen Wochen stellte Etro eine limitierte Tom & Jerry-Kollektion vor. Von Februar an werden die Figuren auf Reebok-Schuhen zu sehen sein. Nicht nur Fernsehserien mit ihren nie enden wollenden Erzählungen halten uns in der infantilen Schleife, wie die Kulturwissenschaftlerin Nathalie Weidenfeld neulich in einem Gastbeitrag in der SZ schrieb - die Mode tut es häufig auch.

Der Gesamtmarkt an lizenzierten Produkten soll bereits bei mehr als 280 Milliarden Dollar liegen. Und demnächst rollt noch der ganze "Election Merch" aus den USA an. Was folgt auf den "I'm with her"-Slogan, mit dem man sich 2016 zu Hilary Clinton bekannte? Wahlgeheimnis war gestern. Neben Magazinen wie Monocle und 032c verkauft auch die Vogue eigene Fanartikel. Als die bekannte Stylistin Giovanna Battaglia Ende 2017 ein Buch herausbrachte, ließ sie eigens dafür T-Shirts drucken und trug sie dann auch gleich selbst bei den Modenschauen. Anbieter wie printful.com werben bereits damit, für Influencer "maßgeschneiderten Merchandise für Instagram" zu produzieren. Ein wirklicher Star ist man heute erst, wenn man Fanartikel hat. Oder andersrum: Ohne Fanartikel braucht man es gar nicht erst zu versuchen.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2020
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