Süddeutsche Zeitung

"What Artists Wear":Wie die Kunst die Mode beeinflusst

Lesezeit: 4 min

Von Andy Warhols' Jeans-Fimmel bis zu Yayoi Kusamas Loch-Kleidern: Was Künstler tragen, beeinflusst die Mode-Industrie stark und prägt unsere Alltagskleidung mit.

Von Jan Kedves

Man kann viel Geld für Kunst ausgeben, und man kann viel ausgeben, um auszusehen wie ein Künstler. Für mehr als 400 Euro gibt es zum Beispiel die "Replica"-Sneakers von Maison Margiela, die schon fertig mit Farbklecksen verziert sind, als hätte man sich den ganzen Tag über Leinwände gebeugt wie Jackson Pollock und den Pinsel tropfen lassen. Von Dolce & Gabbana und Junya Watanabe gibt es für 600 bis 900 Euro Jeans mit Pinselklecksen. Auch sie sehen aus, als komme man direkt aus dem Atelier und habe, berauscht von der Erschaffung eines neuen Meisterwerks, die Malerhose einfach angelassen. Von Helmut Lang gab es solche auch schon.

Interessanterweise erwähnt Charlie Porter diese Produkte in seinem Buch gar nicht. Das ist aber kein Problem. Dem britischen Modejournalist, bekannt durch Artikel im Guardian, in der New York Times und in GQ, geht es in "What Artists Wear" (Penguin, soeben erschienen) nicht darum nachzuzeichnen, wie sich die Modeindustrie Atelier- und Malerei-Mythen aneignet, um auch normalen Büromenschen mal die Chance zu geben, wie Kunst-Genies auszusehen. Vielmehr untersucht Porter genau, wie Künstlerinnen und Künstler sich kleiden und gekleidet haben, in Ateliers und außerhalb. Und wie sie Mode und Kleidungsstücke als Material für ihre Kunst nutzen oder genutzt haben. Ein interessantes Feld, das publizistisch bislang in der Tat unterbeleuchtet war und zu dem einem sofort Bilder in den Kopf schießen: Joseph Beuys mit seinen Filzhüten und Fischerwesten, Andy Warhol mit seinen silberweißen Perücken und schmalen Bluejeans, Cindy Sherman mit den Horror-Clownskostümen, die aussehen wie aus dem Halloween-Fundus, oder Yayoi Kusama mit ihren Kleidern, die, wie ihre Kunst, fliegenpilzartig gepunktet sind.

Von Künstlern erwartet man, dass sie gegen den Dresscode verstoßen

Kusama, schreibt Charlie Porter, habe sogar einmal ihre eigene Mode verkauft, während ihrer New Yorker Zeit Ende der Sechzigerjahre. Sie entwarf für ihre Happenings Unisex-Kleider mit praktischen Löchern für die Intimzonen. "Das waren Kleider für Orgien. Sie spielten mit der Faszination der meisten Menschen für das Entblößtsein - und mit der Angst davor", so Porter. Die "Yayoi Kusama Fashion Company" war allerdings kurzlebig. Die Kaufhäuser, etwa Bloomingsdales in New York, wollten immer nur die konservativsten Stücke ins Sortiment nehmen. "Die radikalen Avantgarde-Entwürfe, für die ich meine Energie aufgewandt hatte, verkauften sich am Ende nur selten", sagt die japanische Künstlerin im Buch. Mit anderen Worten: Als Mode-Designerin war Kusama ihrer Zeit (zu) weit voraus.

Charlie Porter beschreibt Künstlerinnen und Künstler in "What Artists Wear" als gesellschaftliche Sonderfiguren, die ihr Leben außerhalb einer Office-Routine mit ihrem Nine-to-five-Rhythmus und ihrer Trennung zwischen Wochentag und Wochenende führen. In den Ateliers schaffen sie eigenständige Welten, in einem " continual push for self-expression" - einem beständigen Streben danach, sich kreativ auszudrücken. Diese Art der Selbstverwirklichung kann auch immer wieder routiniert die Erwartungen durchkreuzen.

Die Malerin Rosa Bonheur bat bei der Pariser Polizei um Erlaubnis, einen Anzug zu tragen

Porter schildert eine Art Heureka-Moment, den er hatte, als er vor einigen Jahren während der Biennale in Venedig zu einem Dinner der Tate Gallery eingeladen war. Der Dresscode für den Abend lautete "Lounge suit", für Männer also dunkler Anzug, für Frauen: elegantes, festliches Kleid oder Kostüm. Die Künstlerinnen, die Porter vor Ort traf - unter ihnen die Turner-Preisträgerinnen Charlotte Prodger und Helen Marten - trugen aber bunt zusammengewürfelte Standards der Casual-Wear: Trenchcoat, T-Shirt, Sneakers, Jogginghosen. Niemand sah sie komisch an. Warum sollten sich Künstlerinnen auch an Dresscodes halten? Sie dürfen gegen die Regeln verstoßen. Es wird von ihnen erwartet.

Was dies mit der Tradition der Herrenschneiderei zu tun hat, legt Porter in einer Art Gender-Schwerpunkt in seinem Buch dar. Als nämlich Frauen begannen, Kunst zu schaffen - das heißt: als sie begannen, in die Männerdomäne Kunst vorzudringen -, stellte dies an sich schon einen Regelverstoß dar. Und dieser spiegelte sich oft in ihrer Garderobe. Die Liste der Künstlerinnen, die neben ihren Werken dafür bekannt wurden, Herrenanzüge zu tragen, ist mindestens so lang wie die Liste ihrer Gründe dafür. Das Cover von "What Artists Wear" zeigt den letzten schwarzen Anzug, den sich die Malerin und Feministin Georgia O'Keeffe, seit den Vierzigerjahren Anzug-Fan, noch im Alter von 96 Jahren bei dem New Yorker Herrenschneider Emsley anfertigen ließ. Frida Kahlo malte ein Selbstporträt von sich im Anzug, die Musikerin und Performance-Künstlerin Laurie Anderson trat zu Beginn ihrer Karriere im Anzug auf. Warum? Diese Künstlerinnen wollten ernst(er) genommen werden, sie lehnten Stereotype ab, sie wollten funktionaler und konzentrierter aussehen als in üblicher Damengarderobe.

Als Ahnin und Vorkämpferin dieses textilen Manövers ließe sich, aus dem 19. Jahrhundert, die legendäre Tiermalerin Rosa Bonheur ergänzen. Sie musste sich ihr Recht, Herrenhosen zu tragen, noch erkämpfen und bekam dann 1857 von der Pariser Polizei eine Sondererlaubnis mit Urkunde ausgestellt: "Erlaubnis zum Transvestismus".

Nach dem Lesen solcher Passagen kann es einem fast übertrieben vorkommen, wenn heute meist Coco Chanel als diejenige angeführt wird, die quasi im Alleingang die Frauenmode mit Elementen aus der Herrengarderobe revolutioniert habe. Nein, da waren auch sehr viele Künstlerinnen. Ähnlich erhellend ist ein Blick auf den Siegeszug der sogenannten Workwear und Sportswear, auf Jeans und Overalls. Dass heute die halbe Welt in Jeans, Sneakers, Latzhosen und Bomberjacken herumläuft, wird meist dem Einfluss der Hip-Hop-Kultur zugeschrieben. Daran ist auch nichts falsch. Aber der Einfluss der Künstler darf auch hier betont werden.

Beim Besuch im Weißen Haus trug Andy Warhol seine Jeans unterm Smoking

Charlie Porter schildert, wie Barbara Hepworth, Agnes Martin, Richard Hamilton und andere Kunstgrößen des 20. Jahrhunderts sich eine Arbeitsuniform zusammenstellten, die größtmögliche Freiheit bieten sollte. Unmodische, billige Overalls, Schürzen, gesteppte Armee-Nylonjacken, Jeans-Käppis. Wie wahnsinnig stark, wie verwegen und rebellisch die Künstler in diesen Outfits aussahen! Porter hat hier schöne Anekdoten parat, zum Beispiel, dass Andy Warhol seine Jeans so liebte, dass er, als er 1975 von Präsident Gerald Ford zum Dinner ins Weiße Haus eingeladen wurde, sie unter seinem Anzug trug. "Die Smokinghose ist mir zu kratzig", soll er gesagt und dann Susan Ford, der Tochter des Präsidenten, die Jeans unter seiner aufgeknöpften Smokinghose gezeigt haben.

Mit anderen Worten: Es waren eben auch die Künstler, die mit ihrer Mischung aus Lässigkeit, praktischem Denken, Lust an Grenzüberschreitung und nicht zuletzt ihrem Sinn für Schönheit das geprägt haben, was man heute "cooles Anziehen" nennt. Siehe Jack Whitten: Der afroamerikanische Maler mochte es nicht, nach einem Arbeitstag mit beklecksten Schuhen nach Hause zu kommen. Er wollte jeden Tag frisch glänzende Schuhe tragen. Also lackierte er seine Nike-Schuhe, immer bevor er sein Atelier verließ, noch schnell mit silberner Sprühfarbe. Auch aus dieser Idee sind in der Modeindustrie sicher schon fertige Kunst-Sneakers geworden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5306291
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.