Süddeutsche Zeitung

Spitzenküche:Sternekoch wider Willen

Lesezeit: 2 min

Von Marten Rolff

Der Guide Michelin gilt als Maß aller Dinge in der Spitzenküche. Seit Jahrzehnten entscheidet der Gastroführer mit seiner Sterne-Vergabe über Auf- und Abstieg der besten Köche. Für viele ist es ein Lebenstraum, irgendwo auf den tausend Seiten, die eine größere Länderausgabe des Guide Rouge oft fasst, überhaupt Erwähnung zu finden - und sei es unter "Bib Gourmand", der "Gut und günstig"-Rubrik des Buches.

Weniger bekannt war bislang, dass ein Koch, der die Zuneigung des Michelin erst einmal genießt, diese so schnell nicht mehr loswird. So ein Fanklub aus Restaurant-Testern und Fine-Dining-Groupies kann regelrecht hartnäckig sein, wie der Franzose Sébastien Bras dieser Tage erfahren darf.

Bras wollte nicht mehr im Guide geführt werden

Bras gehört zu den prominentesten Köchen seines Landes, sein Vater, Michel Bras, gilt in Frankreich als Legende und wird oft in einem Atemzug genannt mit Ikonen wie Paul Bocuse, Joël Robuchon oder Alain Ducasse. Umso schockierter war die Gourmetnation, als Bras vor anderthalb Jahren verkündete, er verzichte für sein Restaurant "Le Suquet" künftig auf seine drei Sterne, die höchste Auszeichnung, die der Michelin zu vergeben hat.

Der damals 46-jährige Koch bat darum, in der nächsten Ausgabe nicht mehr geführt zu werden, und begründete das mit dem zu großen Druck, der durch die Auszeichnung und all die Aufmerksamkeit auf ihm laste. Er wolle lieber frei von dieser Bürde kochen, sagte Bras.

Ein Wunsch, der nicht nur in Frankreich eine Debatte über den Wert von Auszeichnungen und den Stress in der Spitzenküche auslöste - und dem der Michelin nach monatelangem Zögern schließlich entsprach. Bras habe auch private Gründe für den Verzicht auf seine Sterne angeführt, bekundete damals der Pariser Verlag und strich den Koch aus seiner Ausgabe für 2018, "wir respektieren seine familiäre Entscheidung".

Sterne können eigentlich nicht zurückgegeben werden

Umso erstaunlicher ist nun, dass der Gastroführer diese Entscheidung ein Jahr später revidiert hat. In der neuen Ausgabe des französischen Michelin, die Anfang der Woche erschien, wird Bras wieder geführt, sein lange für duftige Gemüse- und Blütenküche bekanntes Restaurant "Le Suquet" in Laguiole im Zentralmassiv wird nun aber nicht mehr mit drei, sondern mit zwei Sternen bewertet. Sébastien Bras sagte am Montag, er nehme das "mit Erstaunen" zur Kenntnis, die "widersprüchliche Entscheidung" des Guide mache ihn "skeptisch".

Doch gemessen am Selbstverständnis des Michelin ist diese Korrektur alles andere als widersprüchlich. Sterne, so lautet eine wichtige Regel des Hauses, werden verliehen oder aberkannt, aber nie zurückgegeben. Oder anders formuliert: Wer in der Küche wie lange eine Legende ist, entscheidet immer noch der Michelin - ein Credo, das in Zeiten zunehmender Konkurrenz durch Rankings und Internetbewertungen sowie der schwindenden Bedeutung der Restaurantkritik eisern verteidigt werden muss.

Vergiftetes Lob für den Spitzenkoch

Natürlich drückt man das offiziell ein bisschen anders aus. Als Bras darum ersucht habe, nicht mehr im Michelin geführt zu werden, habe sich sein Restaurant im Umbruch befunden, erklärte Gwendal Poullennec, internationaler Direktor des Michelin, auf Anfrage der SZ. "Die Leidenschaft und die Ernsthaftigkeit dieses Kochs haben uns berührt, deshalb beschlossen wir damals nach langem Nachdenken, ihm Zeit zu geben, sein neues Konzept reifen zu lassen und seine Erwähnung auszusetzen."

Nun aber sei der Umbau abgeschlossen und die Michelin-Tester würden das Restaurant und seine "qualitativ so hochwertige Küche" selbstverständlich weiter beurteilen. Schließlich sei der Guide einzig für den Leser gemacht, dem man eine "solch herausragende Adresse nicht verschweigen" könne.

Mancher mag darin ein perfekt vergiftetes Lob erkennen. Bras indessen sagte etwas resigniert, die Sterne und die "Strategien" des Gastroführers würden ihn ohnehin nicht mehr interessieren. Vor dem Stalking der Inspektoren dürfte ihn das kaum bewahren. Solange die Sterne auf ihn abstrahlen, war es dem Michelin schon immer egal, welchen Koch er gerade wie fest an seine Brust drückt.

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Quelle:
SZ vom 23.01.2019
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