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Künast bei der Ethical Fashion Show:Der Traum vom informierten Verbraucher

Lesezeit: 5 Min.

Nur 3,7 Prozent der Kleidung, die in Deutschland verkauft wird, trägt ein Ökolabel. Dabei gibt es faire Mode, die auch noch gut aussieht. Renate Künast hat auf der Ethical Fashion Show in Berlin ihre Schwäche für nachhaltige Taschen offenbart. Doch sie fordert noch mehr als nur ein Umdenken der Verbraucher.

Von Elisabeth Dostert

Die Grüne trägt Grünblau. Einen grünblauen Blazer, schwarze Hose, weiße Bluse, wie immer. Renate Künast, 57, hat sich nicht lange bitten lassen, die Ethical Fashion Show in Berlin zu eröffnen, die Messe für nachhaltige Mode. Sie ist wie selten unter Gleichgesinnten. "Das hier ist eine Gegenbewegung zur Massenware", sagt die Bundesfraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin. Slow Fashion statt Fast Fashion. "Die grüne Tasche da, die ist doch wie für mich gemacht", sagt Künast und wendet sich dem Stand des deutschen Lederwarenherstellers Harold's zu. "Das hier zeigt doch, dass gute Mode auch chic und cool ist . . .dass eine andere Welt mit einem anderen Konsum möglich ist", sagt Künast. Aber es bedürfe eines Standards wie dem Textilsiegel GOTS, an dem sich Verbraucher orientieren könnten und für den sich die Politik stark mache. "Mein Traum ist der informierte Verbraucher", schwärmt sie.

Nur 3,7 Prozent der Kleidung ist öko

Der Mainstream ist immer noch Fast Fashion. Das öffentliche Getöse, das nach jeder Katastrophe in Asien anschwillt und mehr oder weniger schnell wieder nachlässt, ist wesentlich größer als die Nachfrage nach Bekleidung, die ökologisch und sozialverträglich hergestellt wurde. Etwa 44 Milliarden Euro geben die Deutschen nach Angaben des Marktforschungsunternehmens GfK jährlich für Bekleidung, Schuhe, Haus- und Heimtextilien aus. Nur 3,7 Prozent davon tragen ein Ökolabel, heißt es in einer Studie über umwelt- und sozialverträgliche Kleidung - Socialwear. Der Anteil sei in den vergangenen drei Jahren stabil gewesen, sagt GfK-Expertin Petra Dillemuth. Sie glaubt nicht, dass der Anteil von Socialwear mittelfristig stark steigen werde: "Weit wichtigere Aspekte beim Kauf sind Gefallen und Passform."

"Mode und Nachhaltigkeit sind ein Oxymoron", sagt Magdalena Schaffrin, Modedesignerin und Mitgründerin der auf gehobene nachhaltige Mode spezialisierten Messe Greenshowroom. Ein Widerspruch also. Eine Bilanz der ökologischen und sozialen Kosten und Nutzen falle in der Mode immer negativ aus. Schon vor dem Konsum entsteht jede Menge Müll, etwa Abfälle beim Zuschnitt oder Teile, die nicht verkauft werden können. Und nach dem Konsum noch mehr, weil Schuhe und Klamotten meist im Müll landen anstatt wiederverwertet oder gar aufgewertet zu werden. "Upcyceln" nennen das die Modeleute, die den textilen Abfall verarbeiten.

Reste als Anfang

Das finnische Label Globe Hope verarbeitet beispielsweise Reste von Militärbekleidung. Die estnische Designerin Reet Aus zeigt in Berlin ihre erste, mit dem Konzern Beximco aus Bangladesch entwickelte Kollektion. Das Familienunternehmen sei der größte Hersteller von Stoff und Bekleidung des Landes mit 40 000 Beschäftigten allein in dieser Sparte, sagt Manager Shaikh Khalid Raihan. Er drückt Künast die Visitenkarte und eine Firmenbroschüre in die Hand. Da steht auch eine Marktanalyse drin.

Der weltweite Markt für Mode haben ein Volumen von 600 Milliarden Dollar und werde bis 2015 auf 800 Milliarden Dollar zulegen. In den nächsten Jahren will Beximco allein die Produktion von Bekleidung von 60 Millionen auf 145 Millionen Teile steigern. In der Broschüre stehen auch die Namen der Abnehmer: s.Oliver, Zara, JC Penny und viele andere. Viel Mode, viel Abfall: zehn bis 15 Prozent je nach Produkt. In einzelnen Fällen könne der Anteil bis zu 45 Prozent betragen, sagt Shaikh. Für die Kollektion mit Reet Aus werden die Reste verwendet. Ein Anfang.

"In letzter Konsequenz müsste man unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ganz auf Konsum verzichten", sagt Schaffrin: "Aber damit würde man sowohl in Europa als auch in Asien ganze Wirtschaftszweige ausrotten mit Tausenden Arbeitsplätzen. Damit wäre auch niemand gedient." Sie hofft, dass sich die Industrie nach den Katastrophen in Fernost bessert.

Das Sicherheitsabkommen sei ein erster Schritt, dem noch viele weitere folgen müssten, so Schaffrin. Unter starkem Druck haben gut 30 Markenhersteller im Mai das Abkommen für Gebäudesicherheit und Brandschutz unterzeichnet, darunter Konzerne wie die Otto Group, C&A, Primark, KiK, Tchibo, Lidl und Aldi.

Ein marodes System

In seiner Studie "Fatal Fashion" haben das unabhängige Centre for Research on Multinational Corporations (Somo) und die Clean Clothes Campaign (CCC) die Brände in der Fabrik Ali Enterprises in Karachi im September 2012 und bei Tazreen Fashions Limited in Dhaka untersucht, bei denen Hunderte Menschen ums Leben kamen. Das seien keine Einzelfälle, so die Autoren der Studie, sondern exemplarisch für ein marodes System und mehr als ein lokales Problem. Beim Einsturz einer Textilfabrik im Rana-Plaza-Gebäude in Sabhar wurden im April mehr als 3000 Menschen verschüttet, davon kamen mehr als 1100 ums Leben.

Bei Beximco habe es keine Katastrophen gegeben, versichert Manager Shaikh. Im Gegenteil. Wenn die Sicherheitsvorschriften im Land angehoben würden, profitiere Beximco. "In unseren Fabriken müssen wird nichts ändern", sagt Shaikh. Am Sonntag reist Renate Künast nach Bangladesch, um sich ein Bild darüber zu machen, welche Konsequenzen dort aus den jüngsten Katastrophen gezogen wurden. "Ich fürchte, das meiste, was wir sehen werden, wird uns missfallen", sagte sie.

Designerin Schaffrin glaubt, dass auch große Firmen nachhaltiger wirtschaften, wenn sie wirklich wollen. Mittelständler wie Harold's arbeiten am Wandel. Das Leder stamme von Fleischrindern aus den Anden, also Tieren, die nicht allein wegen ihrer Haut gezüchtet werden, sagt Lena Nocke, die die Firma in Berlin vertritt. Gegerbt wird die Haut mit Pflanzenstoffen, wann immer es geht, und verarbeitet wird sie in Kolumbien. "Aber so eine alte Firma wie Harold's lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen", sagt Nocke. Und nicht alle sind wandelbar, sagt Schaffrin. "Wenn das Geschäftsmodell wie bei den Billigketten allerdings darauf beruht, in immer kürzerer Zeit immer mehr Kleidung zu immer günstigeren Preisen zu produzieren, lässt sich nicht nachhaltig wirtschaften", sagt die Designerin.

"Was wäre, wenn man das Teil wieder anzieht?"

Der Greenshowroom, den Schaffrin und Jana Keller 2009 gründeten, sollte nur einmal im Jahr stattfinden - als eine Art Entschleunigung im kurzatmigen Geschäft mit Mode. Die Fashion Week findet aber zwei Mal statt, im Januar und im Juli. Auf Wunsch ihrer Aussteller schlossen sich Keller und Schaffrin dann dem Takt der Fashion Week an. "Unseren Unternehmen hätte sonst ein passendes Forum gefehlt", sagt die 34-Jährige. Noch hektischer ist der Takt der Konzerne. Große Anbieter wie H&M oder Zara beliefern ihre Läden und Händler alle paar Wochen mit neuen Kollektionen. "Manchmal habe ich den Eindruck, es gibt nicht nur den Frühling, sondern den Frühfrühling, den Mittelfrühling, den Vollfrühling und den Spätfrühling", sagt Künast: "Was wäre, wenn es nur den Frühling gäbe und man das Teil nächstes Jahr wieder anzieht?" So wie ihren grünblauen Blazer, der sei schon acht Jahre alt.

"Für fünf Euro gibt es kein ökofaires T-Shirt", sagt Schaffrin. Dass sich einkommensschwache Menschen ein T-Shirt für 50 oder 60 Euro nicht leisten könnten, lässt sie nicht gelten. "Es muss nicht alle paar Wochen ein T-Shirt für fünf Euro sein, vielleicht tut es auch alle sechs Wochen eines für 30 Euro, das dann auch länger hält. Weniger ist auch wertiger." Geld und Einkommen seien nicht der Grund für den niedrigen Anteil der Ökomode am gesamten Konsum. "Wenn alle Menschen, die sich nachhaltige Mode leisten könnten, auch kaufen würden, wäre die Nachfrage schon gigantisch." Am Ende kommt Künast wieder bei Harold's vorbei. Sie befühlt eine petrolfarbene Handtasche, klatscht in die Hände. "Sehr schön", sagt Künast. Sie lacht. Sieht ganz nach Taschentick aus.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2013
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