Süddeutsche Zeitung

Influencer Marketing:Das Geschäft mit der Glaubwürdigkeit

Lesezeit: 6 min

Was macht man mit einem Abi von 1,0 und einer Menge Freizeit? Pamela Reif aus Karlsruhe polierte ihren Instagram-Account, hat heute Millionen Follower - und weiß, wie sich damit Geld verdienen lässt.

Von Felicitas Kock

Eine junge Frau macht Liegestütze auf einer Dachterrasse. Enge Trainingsklamotten, langes Haar, im Hintergrund verschwimmen die Dächer Ibizas. Es folgen weitere Fitnessübungen, Beine hoch, Beine runter, von Anstrengung keine Spur. Am Ende nimmt sie einen Schluck aus ihrer Thermosflasche. Lacht. Köstlich, dieses Nach-dem-Sport-Gefühl. Hätte man jetzt auch gern. Genau wie die Bauchmuskeln - und vielleicht einen Schluck aus der Flasche.

Die Frau im Video heißt Pamela Reif, sie ist zum Zeitpunkt der Aufnahme 19 Jahre alt, heute 20. Vor etwas mehr als zwei Jahren hat sie in Karlsruhe Abitur gemacht und dann ein paar Monate Auszeit genommen, um herauszufinden, was sie anfangen will mit ihrem Notendurchschnitt von 1,0 und der neu gewonnenen Freiheit. Reif beschäftigte sich erst mal eingehend mit ihrem Instagram-Account. Das Ergebnis: 2,5 Millionen Abonnenten (Stand Anfang Semptember 2016), Tendenz steigend. Hinzu kommen ein Blog, ein Snapchat-Account und jede Menge E-Mails.

Wenn Reif am Abend ein Foto auf Instagram postet und am nächsten Morgen sieht, dass es 88 000 Likes hat, ist das eine Realität, die für die 20-Jährige noch schwer zu greifen ist. "Wenn ich mir vorstelle, dass tatsächlich 88 000 Leute mein Bild gesehen und auf den Button geklickt haben, finde ich das verrückt", sagt sie und die Verwunderung klingt echt. Man kann 88 000 Likes eben durchaus mit großen Augen bestaunen - und gleichzeitig ein gutes Geschäft damit machen.

Die Abiturientin aus Baden-Württemberg postet ihre Fotos wie Millionen andere Instagram-Nutzer (konkret: neun Millionen in Deutschland, 500 Millionen insgesamt), weil sie die Welt an ihrem Leben teilhaben lassen will. Gleichzeitig sind die Bilder ihr Job, die sozialen Medien ihre Bühne und Verkaufsfläche. Pamela Reif gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Influencern.

Was das ist, muss sie hierzulande noch erklären, etwa bei der Fashiontech-Konferenz auf der Berliner Modewoche. Da steht die zierliche Frau gemeinsam mit Agenturchef Christoph Kastenholz vor 300 Menschen und spricht über ihren Job. Das heißt, erst mal spricht Kastenholz. Er hat die Influencer-Agentur Pulse gegründet - eine Schnittstelle zwischen Social-Media-Größen wie Pamela Reif und Firmen, die in ihr eine Chance sehen, ihre Produkte anzubieten. Der Mann im rosa Poloshirt spielt ein Video ab, es zeigt eine Reihe von Instagram-Posts: Pamela mit Parfum und Schmuck von Thomas Sabo, Pamela im Mini Cooper, Pamela beim Workout auf der Dachterrasse.

"Herkömmliche Werbung", sagt Kastenholz, "hat ein Problem." Firmen, so die Argumentation, würden versuchen durch Werbung Aufmerksamkeit zu bekommen. Potenzielle Kunden würden der Werbung aber so wenig Aufmerksamkeit wie möglich schenken. Konkret: Wer im Internet surft, benutzt Ad-Blocker, wer ein Magazin liest, überblättert, und wer fernsieht, zappt in der Werbepause weiter oder holt sich ein Bier. Herkömmliche Werbung unterbricht den eigentlichen Inhalt. Influencer Marketing macht, wie jede Art von Product Placement, die Produkte zum Teil des Inhalts. Das Ergebnis, so Kastenholz: volle Aufmerksamkeit. Ein Prinzip, das bei Schmink-Tutorials auf Youtube genauso greift wie bei Sport- und Lifestyle-Bildern auf Instagram.

Den Rekord für das meistgelikte Instagram-Foto aller Zeiten hält seit Mitte Juli die 24-jährige US-Sängerin und Schauspielerin Selena Gomez. Auf dem Bild trinkt Gomez mit einem Strohhalm aus einer Flasche Coca-Cola. Ein Coup für den Getränkehersteller - und natürlich kein Zufall. Gomez hat einen Werbevertrag mit dem Unternehmen und sie hat fast 100 Millionen Follower auf Instagram (Stand Anfang September 2016). Immerhin 5,4 Millionen haben das Strohhalm-Bild in den vergangenen acht Wochen mit einem Herzchen markiert. Für Coca-Cola ein nicht zu unterschätzender Werbeerfolg - für Gomez leicht verdientes Geld. Sie erhält Medienberichten zufolge 500 000 Dollar für jedes Produkt-Posting.

Die Kooperation zeigt einen weiteren Grund, warum Influencer Marketing als Werbeform der Zukunft gilt: Es geht um Glaubwürdigkeit. Selena Gomez hat schon in der Vergangenheit immer mal wieder verlauten lassen, dass sie auf klebrige Softdrinks steht. Ihre Fans nehmen ihr die Nummer mit der Cola deshalb eher ab als den zusammengecasteten Hipstern aus dem Fernsehspot.

Was für die Amerikanerin Coca-Cola, ist für die Karlsruherin Tee der Marke Skinnymint. Pamela Reif verkauft über Instagram und ihren Blog vor allem ihre "Fitness Story": Gutes Aussehen durch gesunde Ernährung und Sport - das ist ihre Nische. Eine Nische, die in den USA schon eine ganze Reihe kameraaffiner Fitnessfanatikerinnen zu Millionärinnen gemacht hat. Den Skinnymint-Tee trinke sie schon lange, sagt Reif, weil er entgiftend wirke und einen flachen Bauch mache. Sie habe das Unternehmen von sich aus auf eine mögliche Kooperation angesprochen. Sätze, die für den Teehersteller mit Firmensitz in London und Singapur Gold wert sind.

Immer mal wieder hält Pamela Reif auf ihren Fotos eine Teetasse in die Kamera. Natürlich befindet sich der Tee auch in der Thermosflasche aus dem Dachterrassen-Video. In der Textspalte verweist sie dann auf den Account des Herstellers. Ähnliche Verweise gibt es auf Proteinpulver, Uhren der Münsteraner Marke Kapten & Son, Thomas Sabo. Neuerdings können Nutzer außerdem auf ihrem Blog erfahren, welche Klamotten Pamela Reif in ihren Bildern trägt - und werden dann via Affiliate Link direkt zu den Produkten geleitet. Hosen von Levi's, Schuhe von Adidas, Handtaschen von Louis Vuitton, alles nur einen Klick entfernt. Einen Klick, für den sich Reif wiederum von den Produktanbietern bezahlen lassen kann.

Als Werbung sieht Reif das alles nicht. Wenn auf den Bildern Produkte zu sehen sind, ist das für sie eher eine Empfehlung. "Meine Follower sind vor allem junge Frauen zwischen 16 und 24", sagt Reif. Manchmal werde sie auf der Straße erkannt, dann tausche man sich kurz aus. Oft stelle sie dabei Ähnlichkeiten fest. "Wir könnten Freundinnen sein", behauptet Reif. Und deshalb glaube sie, dass die Dinge, die ihr gefallen, eben auch ihren Followern gefallen könnten. Nicht mit allen Marken, die von ihr präsentiert werden, habe sie außerdem einen Werbevertrag.

Influencer Marketing als freundlicher Service für Gleichgesinnte? Tatjana Halm muss bei dem Gedanken lachen. "Natürlich ist das Werbung", sagt die Verbraucherschützerin aus Bayern. Nur würden sich die wenigsten Social-Media-Größen an die Regeln halten.

Zuständig sind hier die Landesmedienanstalten, die im Oktober 2015 ein fünfseitiges Papier zur Werbung auf Plattformen wie Youtube oder Instagram herausgegeben haben ( PDF). Es spreche nichts dagegen, ein Produkt zu bewerben, heißt es darin. Es sei auch in Ordnung, Geld für die Präsentation zu nehmen - solange man sich dann an den Rundfunkstaatsvertrag halte, der besagt: "Werbung muss als solche leicht erkennbar und vom übrigen Inhalt der Angebote angemessen durch optische und akustische Mittel oder räumlich abgesetzt sein." Ist die Abgrenzung nicht möglich, braucht es mindestens eine Anmerkung im Textfeld. Das gilt auch für Produktplatzierungen.

Nur: Die Überprüfung ist schwierig. Die wenigsten Influencer geben an, mit welchen Firmen sie Verträge haben, von wem sie Geld für die Platzierung erhalten und von wem nicht. Und wenn kein Geld fließt, muss bis zu einem Produktwert von 1000 Euro kein Werbehinweis eingeblendet werden. Pamela Reif geht im Gegensatz zu vielen Kollegen recht offen mit dem Thema um. Zumindest vereinzelt weist sie darauf hin, dass sie mit Skinnymint kooperiert. In der Bio - einem Feld zur Selbstbeschreibung über den Instagramfotos - bezeichnet sie sich mittlerweile als "Botschafterin" der Teemarke.

Kritisch sieht Verbraucherschützerin Tatjana Halm vor allem das geringe Alter der Zielgruppe. "Es gibt da ein Schutzbedürfnis", sagt sie. Kinder und Teenager würden manchmal einfach nicht durchblicken, dass ihr Idol die Teetasse gerade nicht zum Spaß in die Kamera halte, sondern dass es sich hier um Werbung handle. Um eine Kaufempfehlung. Für die das Idol Geld bekommt.

Wie viel Geld fließt, will Pamela Reif nicht sagen. Sie könne davon leben - diese Aussage muss reichen. Die Szene ist verschwiegen, was ihre Einnahmen angeht. Die seltenen Aussagen anderer Instagram- und Youtube-Stars lassen aber darauf schließen, dass Influencer in Reifs Liga fünfstellige Beträge dafür verlangen können, wenn ein Produkt irgendwo in einem Foto oder Video auftaucht.

Etwa 20 Kooperations-Anfragen bekommt Reif am Tag. Die Agentur siebt gut 90 Prozent aus. Und dann tasten sich Influencer und potenzieller Kunde langsam aneinander heran. "Es gibt Firmen, die wollen alles kontrollieren", sagt Reif. Wie das Produkt präsentiert wird, was sie dazu schreibt. "Die denken, sie können dich kaufen, mit allem was dazugehört." Die Abiturientin mit den wachen Augen, die stets kurz abwägt, bevor sie eine Frage beantwortet, sieht das kritisch. Andere Influencer hätten sich durch zu viel Firmeneinfluss schon ihre Community kaputtgemacht. Ein Risiko, das sie nicht eingehen will. Sie achte auch darauf, dass der Kooperationspartner selbst einen ordentlichen Internetauftritt hat. "Wenn ich auf eine Seite verlinke, die nicht top ist, fällt das schließlich auf mich zurück."

Reif kennt ihre Follower. Sie weiß, welche Bilder gut ankommen (Spiegel-Selfies) und welche nicht (allzu gestellte Motive). Gerade ist sie für ein paar Monate nach Hamburg gezogen, für den Job. Danach geht es wieder zurück nach Karlsruhe zu Eltern und Bruder, die übrigens auch die meisten Fotos schießen. Ein Schnappschuss ist authentischer als ein durchgeplantes Fotoshooting. Und Authentizität ist in ihrem Geschäft alles.

Nur wenn sie glaubwürdig bleibt, kann die 20-Jährige Follower generieren und halten. Wenn sich die Leute dagegen fühlen wie in einer Dauerwerbesendung, sind sie mit einem Klick wieder weg. Deshalb ist auch bei Weitem nicht auf jedem Foto ein Produkt zu sehen. Reif wandert auf einem schmalen Grat: Ihre treue, organisch gewachsene Community ist ihr Kapital. Doch sobald sich dieses Kapital benutzt vorkommt, droht es, sich aufzulösen.

Als "Influencerin" bezeichnet sich Reif selbst nur ungern. Klar, da schwingt die Macht mit, die sie hat. Zum Beispiel wenn sie auf Ibiza Tee aus einer Thermosflasche trinkt und 2,5 Millionen Fans es ihr gerne gleichtun würden. Die Macht mag ihr selbst noch manchmal unheimlich sein - aber sie weiß schon ziemlich gut, damit umzugehen.

Was sind ihre Träume für die Zukunft? Erst mal weitermachen, sagt Reif, auch wenn das bedeutet, dass sie so gut wie keine Freizeit hat. Weiter gesund essen, fit bleiben, Bilder posten, Mails beantworten, Kontakte pflegen. Ihren Blog, den sie noch nicht lange betreibt, ausbauen. Und dann vielleicht irgendwann, wenn es weiter gut läuft, eine eigene Klamotten- oder Schmuckkollektion entwerfen.

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