Süddeutsche Zeitung

Hip-Hop-Mode:Streetwear mit Luxus-Twist

Lesezeit: 6 min

Rihanna und Kanye West sind mit ihren Mode-Kollektionen sehr erfolgreich. Die Verbindung von schwarzer Musik und Mode hat eine lange Tradition.

Von Jan Kedves

Kanye West freut sich nicht häufig, oder er lässt es sich nicht anmerken. Gelächelt haben wird er allerdings, als Anfang Februar ein Paket von Ralph Lauren kam. Darin: eine Baby-Bomberjacke, als Geschenk für Wests und Kim Kardashians zwei Monate alten Sohn Saint West, mit Widmung von Ralph Lauren persönlich. Das Paket muss eine Riesenbestätigung für West gewesen sein, denn seit einer Weile erzählt er nicht nur bei jeder Gelegenheit, er sei der nächste Picasso, der nächste Jesus, der beste Rapper sowieso, sondern eben auch: der schwarze Ralph Lauren. Ralph Lauren, der weiße, scheint das nicht so schlimm zu finden, sonst hätte er kaum etwas fürs Baby geschickt. Bedeutet das also, dass Lauren Kanye West als Kollegen - als Modedesigner - ernst nimmt?

Warum eigentlich nicht? Lauren wurde auch nicht damit erfolgreich, einen komplett neuen Look zu erfinden, sondern er eignete sich den Preppy-Stil an, mit dem das weiße Amerika an Ivy-League-Unis und in Country-Clubs lässig Statusbewusstsein signalisiert. Segelschuhe, Cordblazer, Poloshirt. Schaut man sich die drei Kollektionen an, die Kanye West bislang unter dem Namen "Yeezy" präsentiert hat - zuletzt Mitte Februar im New Yorker Madison Square Garden, gesponsert von Adidas - wird eine vergleichbare Strategie deutlich: West nimmt Standards der urbanen Straßenmode und verpasst ihnen einen Luxus-Twist. Sneakers, Armeejacken, Kapuzenpullis, alles in gedeckten, etwas schlammigen Farben, oder in Kanariengelb, mal mit aufgepumptem, mal mit reduziertem Volumen. Aus der Welt der hohen Mode schlägt West dafür elitärer Dünkel entgegen: Da könnte ja jeder kommen! Nicht von Ralph Lauren.

Der Popstar im Vordergrund, dahinter die versierten Helfer

Der erinnert sich noch gut an das viele Geld, das er verdiente, als sein Label Polo Sport in den Neunzigerjahren in der Hip-Hop-Szene angesagt war. Polo Sport war zwar nie für Hip-Hop-Fans gedacht, aber die liebten die Sachen, weil sie jung aussahen und gleichzeitig das Flair des sorglos privilegierten Oberschichtenlebens vermittelten. Sorglos wollte man gerne sein. Oder zumindest so aussehen.

Kanye Omari West also, 38 Jahre alt, Modedesigner. Natürlich entwirft er nicht alles selbst. Am Ende von Blockbustern stehen im Abspann alle Beteiligten, am Ende einer Modenschau nicht. So ist das in der Modeindustrie. Und doch sind in letzter Zeit einige Namen aufgepoppt. Leute, die West als Creative Consultant oder Style Advisor zur Seite stehen - etwa der Designer Virgil Abloh, der für den LVMH-Preis nominiert war, den Förderpreis des französischen Luxuskonzerns, zu dem Louis Vuitton und Givenchy gehören. Oder der 22-jährige Stylist Ian Connor, der gerade so etwas wie der Oberhipster unter den modesüchtigen Hip-Hop-Kids ist.

Der Popstar im Vordergrund, dahinter die versierten Helfer: In ähnlichen Konstellationen entstehen gerade viele Kollektionen. So viele, dass man sich fragt, welcher Rapper oder R&B-Star eigentlich gerade nicht Modedesigner ist. Pharrell Williams besitzt Anteile an den Streetwear-Marken Billionaire Boys Club und Ice Cream, seit Kurzem ist er auch Teilhaber des niederländischen Jeanslabels G-Star. Der New Yorker Rapper A$AP Rocky hat gerade eine Kollektion für das kalifornische Label Guess entworfen, mit Jeans-Latzhosen, Jeans-Collegejacken und, konsequent, dem Dollarzeichen im Logo: Gue$$.

Und natürlich: Rihanna. Die R&B-Sängerin wurde vor Kurzem von einem New Yorker Marktforschungsinstitut zur most marketable celebrity gekürt, zum vermarktbarsten Star. Neben Songs, Parfüms und Samsung-Smartphones verkauft Rihanna nun ihre eigene Linie: "Fenty by Rihanna", produziert von Puma, benannt nach Rihannas Familiennamen. Präsentiert wurde sie Mitte Februar während der New Yorker Modewoche, einen Tag nach Kanye Wests Yeezy-Schau. Und ja, "Fenty by Rihanna" geht gar nicht so sehr auf Nummer sicher: Box-Outfits für japanische Gothic-Lolitas? Sehr viel Schwarz. Hübsch: die überdimensionierten Rucksäcke aus Plüschfell.

Warum es schwarze Popstars zur Zweitkarriere als Fashion-Designer drängt, und was genau das mit Hip-Hop zu tun hat? Wer das verstehen will, sollte sich den Dokumentarfilm "Fresh Dressed" (2015) anschauen. In ihm wird, von den Siebzigerjahren bis heute, die Evolution der Hip-Hop-Mode nachgezeichnet. Regisseur Sacha Jenkins hat dafür unter anderem Pharrell Williams interviewt, auch Kanye West, und den Rapper Sean "Puffy" Combs. Der hieß früher Puff Daddy und wurde 2004 als erster afroamerikanischer Menswear-Designer mit dem renommierten CFDA-Preis ausgezeichnet, für sein Label Sean John, das er 1998 gegründet hatte.

Zu Hip-Hop gehört Luxus

Combs' hochoffizielle Ehrung durch den Berufsverband der amerikanischen Modedesigner wurde in der schwarzen Community der USA als wichtiges Signal gefeiert. Denn als es losging mit der Hip-Hop-Kultur, in den Siebzigerjahren in der Bronx, gab es noch keine schwarzen Modedesigner. Was als Hip-Hop-Mode später um die Welt ging, bestand zunächst aus Kleidung, die es schon zu kaufen gab und die nicht unbedingt teuer war. Sie wurde nur auf neue Weise kombiniert: "fresh". Die "Gazelles" von Adidas und die "Suedes" von Puma waren fresh, auf jeden Fall in Kombination mit der Barettmütze von Kangol mit dem Känguruh-Logo.

Der erste Designer, der begriff, dass zur Hip-Hop-Kultur aber auch Luxus gehört, oder vielmehr: der Traum vom sozialen Aufstieg, war Daniel Day. Der Inhaber von "Dapper Dan's Boutique" in Harlem druckte in den Achtzigerjahren im eigenen Auftrag Gucci-Logos auf T-Shirts und schneiderte Bomberjacken aus gefälschtem Louis-Vuitton-Canvas. Dapper Dan ist eine Legende, sein Einfluss auf die Mode, auch außerhalb der Hip-Hop-Kultur, nicht zu unterschätzen. Natürlich gab es juristischen Ärger. Als Dapper Dan seine urban luxury fashion, die kein bisschen ironisch gemeint war, nicht mehr verkaufen durfte, stieg die Szene um auf echte Luxuslabels: Tommy Hilfiger, und eben Ralph Lauren. Mode, die nach außen projiziert: Ich hab's.

Allerdings sahen afroamerikanische Geschäftsmänner irgendwann nicht mehr ein, warum sie weißen Designern das Geschäft überlassen sollten. Um 1990 herum gründeten sie eigene Marken: Fubu, Cross Colours (mit Doppel-C im Logo, ähnlich wie bei Chanel), Karl Kani. Diese Labels verkauften, so wie Sean John, eine Weile sehr erfolgreich den Baggy-Look. Er wird bis heute mit Hip-Hop assoziiert: alles ein paar Nummern zu groß. Das brachte Milliardenumsätze, war aber nach ein paar Jahren wieder out, und das Community-Denken ("von Schwarzen für Schwarze") hielt die Marken auch nicht fresh.

Der Markt für Hip-Hop-Mode brach Mitte der Nullerjahre ein, es folgte modischer Konservatismus, wie in vielen Wirtschaftskrisen: Alteingesessene europäische Luxusmarken wurden zum Fetisch, Paris zum Sehnsuchtsort. Kanye West und Jay Z priesen in ihrem Hit "Niggas in Paris" (2011) Gucci und Louis Vuitton. A$AP Rocky zählte in seiner Single "Fashion Killa" (2013) Balenciaga, Dior und Prada auf und zog im dazugehörigen Video mit Rihanna durch eine Nobel-Boutique.

Nur: Warum sollte man so viel Geld für Pariser Mode ausgeben und umsonst Werbung für andere Marken machen, wenn man selbst mit Mode verdienen kann? Genau das ist die Überlegung, die hinter den Aktivitäten von Kanye West und Rihanna steht. Dabei schließt sich auch ein Kreis, denn Puma und Adidas waren ja von Beginn an Teil der Hip-Hop-Kultur. Zumindest für Puma lohnt sich der Rihanna-Deal schon jetzt: Der "Creeper", mit dem die Kooperation im vergangenen Jahr eingeläutet wurde, ist ein klassischer Puma-Wildleder-Turnschuh, allerdings mit dicker Kreppsohle - ein Schuh-Remix, wie er auch in "Dapper Dan's Boutique" in Harlem hätte verkauft werden können. Das Modell ist so erfolgreich, dass das gerade strauchelnde Unternehmen Puma kürzlich melden konnte, dass die Umsätze im vierten Quartal 2015 die Erwartungen übertroffen haben.

Bei Kanye West läuft es noch nicht ganz so gut: Er habe mit seinen Mode-Ambitionen 53 Millionen Dollar Schulden angehäuft, teilte er kürzlich mit. Selbst wenn die Zahl stimmen sollte: Yeezy wird eine gute Investition sein. Denn die Sneakers laufen ausgezeichnet, und wie in "Fresh Dressed" zu lernen ist: Sneakers sind das Allerwichtigste. Als Adidas vorvergangene Woche eine neue Ladung des "Yeezy 350" auslieferte, für 200 Euro das Paar, waren die wieder innerhalb weniger Stunden vergriffen. Auf Ebay kosten sie 800 Euro. Das Modell - oben mit "Primeknit"-Technologie gestrickt wie eine Socke, unten mit wulstig geriffelter Sohle wie ein Hovercraft-Mondmobil - ist schon jetzt ein Designklassiker. Er braucht nur noch in allmählich steigender Auflage in verschiedenen Farbkombinationen durchdekliniert zu werden, um in den nächsten Jahren verlässlich hübsche Profite einzufahren (an denen West prozentual beteiligt ist).

Mäntel und Pullis der Yeezy-Linie sind unerschwinglich

Die Mäntel, Pullis und Bodysuits der Yeezy-Linie sind derweil so gut wie unerschwinglich. Das ist kein Fehler in der Kalkulation, sondern entspricht - auch das lernt man in "Fresh Dressed" - der Logik von Hip-Hop-Mode: Solange man sich den Schuh leisten kann, darf der Rest ruhig wehtun, sonst fiele das wichtige Element der aspiration weg: Sehnsucht und Ehrgeiz. Die einen machen Überstunden, andere sparen sich die Teile von der Handyrechnung ab, andere klauen. Das war schon in den Neunzigern so, als Polo Sport angesagt war. Ralph Lauren ist davon nicht arm geworden. Nur noch bekannter.

"Meine Mode muss auf dem Ralph-Level sein", erklärt Kanye West im Film "Fresh Dressed". Er meint damit das Zusammenspiel von Kontinuität im Stil, Qualität und kleinen Innovationen, mit dem Ralph Lauren vom simplen Krawattenverkäufer zum Herrscher der amerikanischen Mode geworden ist. Er erinnert sich stolz an das cremefarbene Polo-Sport-Shirt, das ihn am College zum König machte. Da lächelt Kanye West dann wieder - und klingt auch gar nicht mehr so irre, sondern einfach wie jemand, der genau begriffen hat, wie's läuft.

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Quelle:
SZ vom 27.02.2016
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