Süddeutsche Zeitung

Alexander Zverev:Blaupause für Grand Slams

Lesezeit: 3 min

Ein bisschen Trotz, frischer Mut, klare Match-Strategien: Alexander Zverev zeigt sich beim Masters-Turnier in Madrid von seiner besten Seite - und zementiert seinen Ruf als weltbester Profi unter 25 Jahren.

Von Gerald Kleffmann, Madrid/München

Alexander Zverev setzte zum Interview auf dem Platz an. Und brach ab. Etwas passte ihm nicht. Was genau, blieb unklar bei der Fernsehübertragung. Vielleicht war es die Technik. Das Mikrofon. Oder vielleicht störte ihn, dass im Hintergrund noch ein Video mit Höhepunkten der Woche lief, auf dem großen Bildschirm im Stadion-Areal namens Caja Mágica, Zauberkiste. Klar war aber: Zverev hatte den Moment im Griff. Wie ein Regisseur lotste er ein, zwei Leute, wartete, dann, nach zwei Minuten, gab er das Okay. Als wäre er Steven Spielberg. Souveränität wird manchmal in kleinen, unscheinbaren Momenten sichtbar. Zverev ruhte komplett in sich. Das tut er immer, wenn er weiß: Er hat die Kontrolle.

Hat er sie nicht, dann wirkt er schon mal wie in der vorvergangenen Woche, beim Turnier in München. Nach wochenlangen Ellbogenproblemen wackelte sein Aufschlag, seine Doppelfehler, zu denen er gerne neigt, sahen teils gruselig aus. Sein Blick wird dann immer unsicher, sein Spiel sowieso. Gegen den Belarussen Ilja Iwaschka schied er aus, im Viertelfinale. Und diesmal? "Es war eine gute Woche für mich", resümierte er nach seinem engen 6:7 (8), 6:4, 6:3-Finalerfolg gegen den italienischen Vorhand-Pistolero Matteo Berrettini.

Zverev wollte sein Schicksal selbst steuern, aktiv werden.

2:40 Stunden knallten sich die beiden die Bälle um die Ohren, am Ende machte der Wille den Unterschied aus. "Ich habe das Gefühl gehabt, ich werde mutig sein. Wenn ich das Match gewinne, dann gewinne ich es. Und wenn ich das Match verliere, verliere ich es. Das hat funktioniert", erklärte Zverev später bei Sky. Er wollte sein Schicksal selbst steuern, aktiv werden, und mit diesem Ansatz hat er tatsächlich dafür gesorgt, dass seine Erfolgsstatistiken ein Update benötigen. Mal wieder.

15 ATP-Turniere gewann er bereits, im März erst sein 14. in Acapulco. Mit seinem zweiten Triumph in Madrid ist er bei vier Titeln bei Turnieren der Masters-Kategorie angelangt. Natürlich führen die sogenannten Big Four meilenweit, sie sind ja auch viel älter und länger dabei. Aber Zverev, 24, pirscht sich heran, Fünftbester ist er schon hinter Novak Djokovic (36 Masters-Titel), Rafael Nadal (35), Roger Federer (28), Andy Murray (14). Nur drei andere gewannen das exklusive Sandplatzturnier in Madrid überhaupt mehr als einmal: Federer, Nadal und Djokovic. "Es gibt wenige Turniere, die wichtiger sind" erkannte Zverev richtig, streng genommen sind nur die vier Grand Slams und das ATP Final bedeutsamer. Letzteres gewann Zverev auch schon, 2018.

Zu Recht durfte er sich in Madrid also freuen, zumal er bei den Siegen gegen Nadal und Dominic Thiem in den Runden zuvor die beiden besten Sandplatzkönner bezwungen hatte. Beide sind zwar nicht in bester Verfassung, doch gegen die meisten würde es immer noch reichen. Nicht aber gegen Zverev, wenn der so spielt und mental eingestellt ist wie in Madrid.

Seine vier Masters-Siege - 2017 in Rom und Montréal, 2018 und 2021 in Madrid - könnten ihm jedenfalls als vorzügliche Blaupause dafür dienen, wie er sein größtes Sehnsuchtsziel erreichen könnte, einen Grand-Slam-Titel. Er braucht einen funktionierenden Aufschlag. Und variablere Matchstrategien, je nach Gegner, die ihm sein Talent auch ermöglicht. Zum Klub der Super-Ehrgeizigen gehört er ohnehin, diesen Motor braucht er nicht extra. Bei der Pressekonferenz entfuhr es ihm Bezeichnendes: "Ich will für 30 Sekunden glücklich sein - und dann kommt Rom als Nächstes."

Sein Erfolgshunger war noch nie sein Problem, ihn zu kanalisieren schon. Es ist bekannt, dass er sich nur von Wenigen etwas sagen lässt, davon zeugt auch sein Trainer-Verschleiß. Selbst sein Bruder Mischa, zehn Jahre älter, verriet mal, dass er sich seine Worte sanfter Kritik sehr genau überlegen müsse. Sonst knallt's im Hause Zverev.

"Ich habe zuvor gegen keinen gespielt, der mit 235 km/h aufschlägt"

Zverev, und das muss man ihm vielleicht lassen, will es eben auf seine Weise schaffen. Aus dem Trotz heraus kam er oft genug am stärksten hervor, und in Madrid klang es tatsächlich so, als hätte er nach dem unstrukturierten Auftritt in München die Gegneranalyse neu für sich entdeckt. Auf Berrettini war er wirklich vorbereitet. "Ich habe zuvor ja gegen keinen gespielt, der mit 235 km/h aufschlägt und den Ball dominiert, wie er es macht", erklärte Zverev und gab zu verstehen, dass er anders agieren musste als etwa gegen Nadal und Thiem.

So hatte er sich bewusst vorgenommen, "den Ball zurück ins Spiel zu bringen". Und nicht gleich zu versuchen, höchstes Risiko zu gehen. Oder sich zu weit zurückzuziehen. Er blieb trotz des Drucks näher an der Grundlinie postiert. Sein Positionsspiel und seine Punkte-Konstruktion, das hat Boris Becker mal in seiner Tennis-Weisheit erkannt, sind bei Zverev sicher Aspekte mit Verbesserungspotenzial.

Die Basis seines starken Egos auf dem Platz bleibt indes der Aufschlag. Er kann Zverev runterziehen wie in München - oder ihm Macht verleihen wie in Madrid; wenngleich er weiterhin Dinge umsetzt, die fassungslos machen können. Bei 8:8 im Tie-Break des ersten Satzes feuerte er den zweiten Aufschlag mit mehr als 200 km/h kerzengerade ab, ein unnötiges Vabanque-Spiel. Aber wie das im Sport so ist: Der Sieger hat die Argumente. "Ich habe auch keine Lust, das ganze Match durchzugehen, ich habe jetzt die Trophäe neben mir", sagte Zverev bei Sky und lächelte genießerisch. "Das ist das Einzige, das zählt."

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