Süddeutsche Zeitung

WM-Qualifikation:Klinsmann kann einem leidtun

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Die USA verlieren die nach der Trump-Wahl aufgeladene WM-Qualifikationspartie gegen Mexiko mit 1:2 - und debattieren danach über die Verantwortlichen.

Von Jürgen Schmieder, Columbus

Der Trainer Jürgen Klinsmann konnte einem leidtun in dieser Szene Mitte der ersten Halbzeit, mit der sich der Zustand der von ihm betreuten amerikanischen Fußball-Nationalelf wunderbar beschreiben lässt: Ein mexikanischer Verteidiger umspielte erst den wild grätschenden Jermaine Jones, dann entwischte er trotz Dauerlauftempo dem anderen Mittelfeldspieler Michael Bradley. Kurz darauf kam der Ball zu Miguel Layun, dessen eher harmloser Schuss abgefälscht wurde und an Torwart Tim Howard vorbei ins Tor kullerte.

Jones und Bradley, das waren mal zwei Mittelfeld-Wildpferde mit exorbitantem Lungenvolumen und präzise getimten Grätschen. In diesen Momenten wirkten sie wie Mitglieder der Pferdekategorien Traber und Galopper. Howard war während der WM 2014 - er hatte im Achtelfinale gegen Belgien als kaum zu überwindende Einerkette fungiert - zum amerikanischen Fußballheiligen verklärt worden, bei Layuns Schuss indes sank er darnieder wie eine Bahnschranke. Das Durchschnittsalter der drei am Freitagabend: 33,7 Jahre.

Mit 1:2 verloren die Amerikaner diese WM-Qualifikationspartie gegen Mexiko, der aufgrund der Präsidentschaftswahl und der Ankündigung des Siegers Donald Trump, zwischen beiden Nationen eine Mauer errichten zu wollen, politische und gesellschaftliche Bedeutung beigemessen worden war. Der stets gefährliche Bobby Wood (Hamburger SV) hatte zu Beginn der zweiten Halbzeit nach Zuspiel von Jozy Altidore und sehenswerten Sololauf ausgeglichen, Rafa Marquez kurz vor dem Ende mit einem Kopfball-Lob den Siegtreffer für Mexiko geschafft.

Klinsmann kritisiert Jones und Bradley

Diese Szene vor dem 0:1, sie war symbolisch für die erste Halbzeit, in der die Amerikaner eher hinterherhinkten als mitspielten. Die Mexikaner trafen vor 24 650 Zuschauer im Stadion von Columbus den Pfosten und die Latte und vergaben zahlreiche Torchancen, die Amerikaner beendeten erst nach dem eher überraschenden Ausgleich das Hinterherlaufen, sie wirkten in der zweiten Halbzeit überlegen und hätten auch in Führung gehen können.

Insgesamt jedoch wirkten die Mexikaner frischer, aggressiver, spielfreudiger. "Wir sind im Mittelfeld nicht in die Zweikämpfe gekommen", sagte Klinsmann und kritisierte damit indirekt sein zentrales Duo Jones und Bradley. Nebenbei machte er sich selbst zum bemitleidenswerten Trainer.

Es würde nicht verwundern, wenn der Trainer Jürgen Klinsmann noch am Freitagabend beim Sportdirektor des amerikanischen Fußballverbandes angerufen und wütend ins Telefon gebrüllt hätte: "Mein Lieber, wann greifen denn nun endlich die von dir entworfenen Reformen zur Verbesserung und Verschönerung des amerikanischen Fußballs?" Die Antwort, sie wäre gewesen: "Lieber Jürgen, beruhige dich bitte. Es hilft doch nichts. Wir beide, du und ich, wir gehören zusammen. Wir sind sogar ein und die selbe Person."

Der Technische Direktor des US-Verbandes, das ist Jürgen Klinsmann. Der hatte die amerikanischen Akteure bei seinem Amtsantritt vor fünf Jahren aufgefordert, in die bedeutsamen Ligen nach Europa zu wechseln und sich mit den besten Spielern der Welt zu messen und von ihnen zu lernen. Die Startelf beinhaltete nun fünf Spieler aus der heimischen Liga MLS, einen aus der mexikanischen Liga und fünf aus der Bundesliga: John Anthony Brooks (Berlin), Timothy Chandler (Frankfurt), Fabian Johnson (Mönchengladbach), Christian Pulisic (Dortmund) und Bobby Wood (Hamburg). Bei den Mexikanern stammten acht Spieler aus europäischen Top-Ligen.

Der Verbandschef steht hinter Klinsmann

Es gibt interessante junge Amerikaner in europäischen Ligen, neben Pulisic und Wood sind das Cameron Carter-Vickers (Tottenham), Aron Johannsson (Werder Bremen) oder Julian Green (Bayern München). Klinsmann muss diese Talente in eine Mannschaft voller erfahrener Akteure einbauen - die sich übrigens nach Partien nicht gerne kritisieren lassen. "Wir hätten in der ersten Halbzeit eine klare taktische Marschroute gebraucht", sagte Bradley etwa und deutete an, dass nicht Klinsmann zu bemitleiden sei, sondern er selbst. In der Tat stellte Klinsmann nach dem Rückstand um (von 3-5-2 auf 4-4-2), danach lief es besser für seine Mannschaft.

Die Amerikaner stehen in der letzten Qualifikationsrunde des südamerikanischen Fußballverbandes Concacaf bereits nach der ersten Partie unter Druck. Von sechs Mannschaften qualifizieren sich drei für die WM 2018 in Russland, der Viertplatzierte darf in eine Playoff-Runde mit einem asiatischen Vertreter. Nur zwei scheiden aus.

Am Dienstag müssen die Amerikaner in Costa Rica antreten, das am Freitag Trinidad & Tobago mit 2:0 besiegt hatte. Sollten sie erneut hinterherlaufen, könnten einem der Trainer und der Technische Direktor des amerikanischen Fußballverbandes tatsächlich leidtun. Um seine beiden Jobs freilich müsste Klinsmann dennoch nicht fürchten, Verbandschef Sunil Gulati hatte vor der Partie gesagt: "Wir haben seit 27 Jahren keinen Trainer mehr während der Qualifikation entlassen. Ich erwarte, dass das auch so bleibt."

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Quelle:
SZ vom 13.11.2016
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