Süddeutsche Zeitung

WM 2010: Frankreich:Die Mannschaft, das wilde Tier

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Wer ist schuld an Frankreichs Blamage bei der WM? Trainer Domenech lieferte mit seiner Sturheit zwar die Vorlage zur Eskalation. Aber seine Irrtümer entschuldigen nicht das skandalöse Auftreten der Mannschaft.

Thomas Hahn

Frankreich hat noch ganz andere Probleme als seine Fußball-Nationalmannschaft, und kein klar denkender Mensch in der Grande Nation wird behaupten, dass die Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy für die blamierten Blauen Bildungs- und Sozialpolitik liegen lassen sollte. Eine Übertreibung ist es trotzdem nicht, dass dieser gespenstische Auftritt der französischen Fußballer bei der WM die höchste Politik beschäftigt und Sportministerin Roselyn Bachelot den Profis vor dem Südafrika-Spiel die Leviten gelesen hat. Spitzensportler sind Imageträger ihres Landes, ihr Handeln versteht ein Milliardenpublikum als Spiegel nationaler Mentalität. Da ist es keine Kleinigkeit, wenn die Profis ihre persönlichen Interessen in den Vordergrund rücken, vulgär schimpfen oder unsinnige Boykotts veranstalten.

Verhängnisvolle Grüppchendynamik

Die Blamage Frankreichs weist weit über dieses unwürdige Vorrunden-Aus hinaus. Es geht nicht nur um Fußball in dieser Geschichte, es geht um Fragen des Umgangs, der Moral, der Vernunft. Sie ist eine Mahnung an die Verantwortung von Berufsportlern und ihren Vorgesetzten, neben dem Ergebnis auch im Blick zu behalten, was man hochtrabend die Werte der Gesellschaft nennen könnte. Nationaltrainer Raymond Domenech hat geglaubt, seine Sturheit als Linie verkaufen zu können. Er hat dabei nicht bedacht, dass die jungen Millionäre nicht schon jemanden als Autorität anerkennen, bloß weil er das Landeswappen trägt. Er hat auch nicht bedacht, dass man Medien nicht zu Feindbildern aufbauen kann, um dann darauf zu vertrauen, dass sie still warten, bis aus dem Nichts großer Fußball erwächst.

Domenechs Irrtümer entschuldigen nicht die verhängnisvolle Grüppchendynamik in und um die Équipe Tricolore. Aber seine Unfähigkeit, eine einvernehmliche Atmosphäre zu schaffen, ist die Vorlage zur Eskalation gewesen. Im modernen Profisport ist es schwieriger geworden, Nationaltrainer zu sein. Die Großverdiener verlangen Erklärungen, sonst brechen ihre falschen Instinkte hervor, sonst lästern sie und spielen ihre Macht in den Medien aus. So eine Mannschaft kann wie ein wildes Tier sein, erst Sportministerin Bachelot hat es halbwegs zähmen können. Die Nationalspieler sollen geweint haben, als sie ihnen ihre Blamage vorhielt. Und nun übernimmt Laurent Blanc, der frühere Welt- und Europameister. Er muss aus Trümmern ein neues Team bauen, damit die Welt bald vergisst, wie klein die Grande Nation in Südafrika wirkte.

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Quelle:
SZ vom 23.06.2010
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