Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Der Trainer darf bleiben!

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Personalwechsel sind im Fußball der Problemlöser Nummer eins. Bremen zeigt, dass es in der Krise auch anders geht - ist das nun Klüngel oder Haltung?

Kommentar von Ralf Wiegand

Es gab viele außergewöhnliche Pressekonferenzen in der Geschichte des Fußballs, die von Giovanni Trapattoni liegt immer noch ganz weit vorne, Flasche leer und so. Der genaue Wortlaut findet sich im Internet, abrufbar wie der Text eines guten Songs. Klaus Augenthaler hat sich als Trainer des VfL Wolfsburg die Fragen einmal selbst gestellt, er war dann nicht mehr lange Trainer. Und jene PK der führenden Herren des FC Bayern natürlich, als sie feststellten, die Würde des Menschen sei unantastbar, und man solle sich doch bitteschön mit Respekt begegnen - aber der Juan Bernat, der habe schon einen rechten Scheißdreck zusammen gekickt. Herrlich.

Werder Bremen hat nun auch eine denkwürdige Pressekonferenz hinter sich, sie war groß und lang. Auf dem Podium reihten sich der Chef des Aufsichtsrats, der Vereinspräsident, der Trainer, der Sportchef und der Vorsitzende der Geschäftsführung aneinander, als eine Art Fünferkette der Transparenz. Am Montag erst hatten die Bremer die letzte Ausfahrt Heidenheim genommen, um über die Relegation in der Bundesliga zu bleiben, aus der sie fast schon draußen waren. Und nun erklärte die versammelte Führungsetage also, was sich alles nicht ändern wird trotz der miesesten Saison der 121-jährigen Vereinsgeschichte.

Es gehört zweifellos zu den Ausnahmen, dass ein Bundesligist eine Saison, die beinahe mit dem Abstieg geendet hätte, mit demselben Personal analysiert, das am Anfang der Saison die Teilnahme am Europacup als Ziel ausrief. Der Trainer Florian Kohfeldt ist noch da, der 20 Punkte bis Weihnachten versprochen hatte, die dann an Ostern noch nicht erreicht waren. Der Sportchef Frank Baumann ist noch da, der zwar viele Spieler verpflichtet hat, aber den einzigen Weggang, Max Kruse, nicht hat kompensieren können. Und der Aufsichtratsvorsitzende Marco Bode ist noch da, der in der Kritik stand, weil Baumann und Kohfeldt bleiben durften. Klüngel oder Haltung?

Bremen trotzt dem öffentlichen Druck

Der Unterhaltungsbetrieb Fußball erlaubt normalerweise den wenigsten, Fehler bei sich selbst zu suchen und es beim nächsten Mal besser zu machen. Ein nächstes Mal gibt es meistens nicht, der Personalwechsel ist im Fußball der Problemlöser Nummer eins. Nicht selten sind die Probleme danach aber nicht weg, sie werden nur vererbt, vom Vorgänger auf den Nachfolger. Die Bremer haben den Anschauungsunterricht direkt vor der Haustür. Beim Hamburger SV, eine Autostunde entfernt, sind so viele Manager, Trainer, Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsräte durchgeschleust worden, dass man einen eigenen Almanach auflegen müsste, um den Überblick zu behalten. Weder ließ sich so der Abstieg vermeiden noch der Aufstieg bewerkstelligen.

Die Bremer haben sich für einen anderen Weg entschieden, gegen durchaus vorhandenen öffentlichen Druck - das ist ihr gutes Recht. Offenbar trauen die Gremien des Vereins den leitenden Angestellten so viel Fachkompetenz zu, dass sie die Umstände einer in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Saison analysieren und eigene Fehler beheben können. Das drückt nicht nur eine große Wertschätzung für die handelnden Personen aus, es ist auch ein in der normalen Arbeitswelt durchaus üblicher Weg: Wer in der Regel gute Arbeit abliefert, aber einmal daneben liegt, fliegt nicht zwangsläufig raus. Auch wenn er viel Geld verdient. Es gibt kein Gesetz, das verbieten würde, so etwas auch mal im Fußball zu probieren.

Die Bremer haben am Freitag versucht, so viel zu erklären, wie öffentlich überhaupt möglich ist. Sie haben interne Probleme benannt, eigene Fehler definiert, externe Faktoren ausgemacht, die Finanzen erläutert, eine Philosophie definiert, aber keinen Sündenbock geopfert. Und sie haben versprochen, es besser zu machen. Diese PK kommt auf jeden Fall ins Archiv, zur Wiedervorlage 2021.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2020
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