Süddeutsche Zeitung

Viertelfinale der French Open:Djokovic schreibt Tennisgeschichte

Lesezeit: 4 min

Von Gerald Kleffmann, Paris

Da sitzt Rafael Nadal schon im Salle d'Interview, nur 13 Minuten nach seiner Arbeit, er pult an einer Flasche, sein Blick ist glasig. Es dauert, bis sich alle gesetzt haben. Einige müssen stehen, weil so viele Medienvertreter aus der ganzen Welt diesen Moment nicht verpassen wollen, der Tennisgeschichte darstellt. Man muss das absolut so hochhängen. Robin Söderling ist ja nicht mehr alleine. Seit diesem 3. Juni 2015 gibt es einen zweiten Spieler, der Nadal besiegen konnte in Paris, bei seinen French Open.

"Yeah, ich denke, ich hatte meine Momente. Aber insgesamt hatte Novak die meiste Zeit die Kontrolle. Er war besser als ich, that's it", das sagt der Spanier sofort. Wer hätte ihm auch andere Worte als diese abgenommen, nach diesem 5:7, 3:6, 1:6 gegen Novak Djokovic?

Nadal ist auf Platz sieben der Weltrangliste abgerutscht

Die Bedeutung dieses Ereignisses steckt in einer einzigen Statistik. Von 71 Matches in Paris hatte Nadal 70 zuvor gewonnen, er ist neunmaliger Champion. Seine bedeutendste Niederlage, seine einzige, war die 2009 gegen den Schweden Söderling, im Achtelfinale, in vier Sätzen. Damals war das eine Art Sensation, diesmal war es anders. Djokovic trat ja mit speziellen Leistungsnachweisen an. Fünf Turniertriumphe gelangen ihm 2015. 26 Matches in Serie ist er unbezwungen gewesen, seit 15 Monaten hat er gegen keinen Spieler verloren, der schlechter als Rang 7 der Welt steht.

Nadal ist genau auf Rang sieben abgerutscht, der 14-malige Grand-Slam-Gewinner war verletzt im vergangenen Jahr. Er hat einige Male überraschend verloren seitdem. Er war nur an Nummer sechs gesetzt in Paris. So kreuzten sich die Wege bereits im Viertelfinale. "Es wird das schwerste Viertelfinale jemals für mich", ahnte der Mallorquiner, der am Mittwoch 29 Jahre alt wurde. Sein Geburtstag war ihm egal. "Ich habe verloren, das zählt." Alles andere als ein Triumph ist frustrierend für ihn.

Dieser freundliche Sommertag in Paris wird am Ende, auch ohne die große durchgängige Dramatik, etwas Besonderes bleiben. Um 15.43 Uhr betreten die Gladiatoren den Platz. Wenn Wimbledon das Wohnzimmer von Djokovics Trainer Boris Becker war, ist der Court Philippe Chatrier der Lounge-Bereich von Nadal. Hier kennt er jedes Sandkorn mit Namen. Schon das Einschlagen ähnelt einem Kräftemessen, beide hauen erst nicht so fest auf den Ball, dann immer härter, keiner gibt nach. Längst sitzen die Entouragen beider Lager, Becker sitzt direkt neben Djokovics langjährigem Coach Marjan Vajda, sie werden gleich Zeuge eines erstaunlichen Intros.

Jeder Ballwechsel ist ein Armdrücken unter Muskelmännern

Der erste Satz beginnt, Djokovic ist aufgeräumt, variiert, streut Stopps ein, hält den Ball flacher über dem Netz. Zwei Breaks Djokovic, 4:0. Nadal fängt nun an , dieses zermürbenden Nadal-Tennis zu spielen, das 70 Mal Gegner hier enervierte. Ungemeiner Spin, erzeugt durch eine extreme Griffhaltung, kaum Fehler, jeder Ball zurück. Zwei Breaks Nadal, 4:4. Djokovic hebt ratlos die Arme, blickt nun suchend in seine Box. Becker klatscht aufmunternd. Nadals Onkel Toni, sein Trainer, seit er vier ist, mümmelt wie immer unter der Kappe, oben auf der Tribüne.

Bei 5:4, Aufschlag Nadal, hat Djokovic drei Sätzbälle, er vergibt. Bei 6:5 hat er zwei weitere. Er vergibt. Jeder Ballwechsel ist ein Armdrücken zwischen Muskelmännern, leichte oder freie Punkte bleiben weitgehend aus. Den sechsten Satzball nützt Djokovic, ein Volley Nadals landet im Aus. 7:5. Ein Grund: Beim zweiten Aufschlag gewinnt Nadal nur 4 von 16 Punkten. Und: 19:9 Winner für Djokovic - er ist der Offensivere.

Ein Viertelfinale, das sich nach Finale anfühlt

Durchschnaufen ist nicht, auf hohem Niveau setzen die beiden ihr Duell fort. Es ist ein Viertelfinale, das sich weiterhin nach Finale anfühlt. Auch der legendäre Ion Tiriac, Beckers früherer Manager, der eine Box gleich hinter der Grundlinie seit vielen Jahren besitzt und so reich ist, dass ihm wahrscheinlich schon halb Rumänien dank seiner gewieften Geschäfte gehört, schaut zu. Und er schaut sich wirklich nicht alles an. Satz 2 bleibt offen und Djokovic der Dominantere.

Diesmal gibt sich keiner zunächst eine Blöße, 4:3 Djokovic. Bei Aufschlag Nadal aber der Bruch - Djokovic verwertet den zweiten Breakball, kurz darauf hat er Satzbälle, den ersten, den zweiten, den dritten. Nadal will nicht nachgeben. Doch er muss. Djokovics vierter Satzball sitzt. 7:5, 6:3. Die Zahl dieses Durchgangs: 10:3 Winner für den Serben. Mit dem ersten Aufschlag macht Djokovic zehn von elf Punkten. Für diesen Trainingsbereich ist ja auch Becker zuständig.

Als würde Lionel Messi nicht mehr dribbeln können

Satz 3: Aus dem packenden, exzellenten Match der ersten eineinhalb Sätze ist nun ein gutes, bald sehr einseitiges Match geworden. Die Stimmung im vollen Stadion, wo immerhin 14000 Besucher Platz finden, ist nun wie im Kino, nachdem der Actionpart vorüber ist. Jetzt schnauft man durch und man glaubt zu ahnen, wie das Ende aussieht. Djokovic nimmt Nadal gleich den Aufschlag ab. Verteilt die Bälle. Das muss man sich mal vorstellen: Nadal läuft und kommt nicht an einen Ball! Das ist so, als würde Lionel Messi nicht mehr dribbeln können. 2:0. 3:0. 4:0. Sogar zwei Netzroller glücken Djokovic. Toni Nadal mümmelt weiter. Was soll er auch machen? Nach 2:26 Stunden ist das Schicksal besiegelt, bezeichnend mit einem Doppelfehler des Spaniers - 7:5, 6:3, 6:1 für den Topgesetzten. Im dritten Satz macht Nadal nur 13 Punkte. 45:16 Winner für Djokovic, auch das ist kurios auf dem Level.

"Ich bin vor allem nicht glücklich, wie ich es im dritten Satz versucht habe", sagt Nadal. "Ich werde nächstes Jahr wiederkommen und versuchen, erfolgreich zu sein", betont er. Er werde diese Niederlage akzeptieren, "wie immer bei Niederlagen". Er hat nicht viel zu sagen, klar, der Moment knabbert an ihm. Stuttgart, Queens, Wimbledon wird er als Nächstes spielen, aber alles ist weit weg und unbedeutend gerade. "Er hat gute Chancen, hier zu gewinnen", ergänzt er in Richtung Djokovic, der eine Stunde später über seinen "großen Sieg" spricht. Er lobt sein Spiel, seinen Matchplan, seine Verfassung. Er sagt aber auch etwas Wichtiges. "Es war nur das Viertelfinale. Ich kämpfe um den Titel." Am Freitag hat er schon die nächste Verabredung, dann ist Andy Murray sein Gegner, der Schotte besiegte den Spanier David Ferrer 7:6 (4), 6:2, 5:7, 6:1.

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