Süddeutsche Zeitung

Angelique Kerber bei den US Open:Gegen die Bessere verloren

Lesezeit: 3 min

Angelique Kerber unterliegt bei den US Open im Achtelfinale gegen die furcht- und respektlose Leylah Fernandez - und hat in diesem Sommer dennoch gezeigt, dass sie zur Weltspitze gehört.

Von Jürgen Schmieder, New York

Angelique Kerber schüttelte ungläubig den Kopf, dann sah sie hinüber zu ihrem Trainer Torben Beltz, und es wirkte, als wisse sie, dass diese Partie vorbei ist und dass sie nicht gewinnen würde. Wie bitte? Angelique Kerber, die Kämpferin, die nie aufgibt, die sich schon in Houdini-Manier aus den kompliziertesten Situationen befreit hat, die war sich sicher, dass da nicht mehr viel geht in dieser Partie gegen die erst 18 Jahre alte Leylah Fernandez aus Kanada? Nun, Fernandez hatte sich einen Matchball erspielt, die Analyse von Kerber war also korrekt - nicht nur wegen des Spielstandes, sondern auch wegen der Spielweise der Gegnerin.

Die hatte in der Runde davor bereits Naomi Osaka (Japan), Gewinnerin der US-Open-Turniere 2018 und 2020, besiegt. Danach wurde sie gefragt, wann sie denn daran geglaubt habe, Osaka schlagen zu können; ihre Antwort: "Als ich auf den Platz gekommen bin."

Sie hat an sich geglaubt, auch gegen Kerber, am Ende gewann sie eine grandiose und spannende Partie 4:6, 7:6(5), 6:2, und um das ganz deutlich zu sagen: Kerber hat diese Partie nicht verloren, Fernandez hat sie gewonnen. "Sie hat mit lockerem Händchen gespielt, sie hatte nichts zu verlieren, sie war mutig", sagte Kerber danach: "Ich habe solche Partien oft gewonnen, aber man muss dann eben auch einsehen, wenn die Gegnerin in den wenigen prägenden Punkten besser ist."

Sportler reden sich die eigene Stärke bisweilen ein

Kerber muss sich trotz der Niederlage nicht grämen. Was für sie bei den US Open den Ausschlag gegeben hat, wahrscheinlich schon seit Wimbledon, ist der Unterschied zwischen glauben und wissen. Sportler reden sich die eigene Stärke bisweilen ein, und das müssen sie auch; Erfolg ist einfacher zu erreichen, wenn man daran glaubt. Kerber allerdings weiß, aufgrund ihrer Leistungen seit Juni und auch aufgrund der Ergebnisse bei den US Open bislang, dass sie jede, wirklich jede der verbliebenen Spielerinnen im Turnier besiegen kann. Mehr noch: Sie weiß, dass es die anderen auch wissen. "Der Respekt ist wieder da", sagte sie vor der Partie gegen Fernandez.

Das bedeutet auf dem Platz ganz konkret: Es sieht manchmal so aus, als würden Kerbers Gegnerinnen unfassbar schlecht spielen; als wäre da irgendwo ein Schwarzes Loch, das ihnen sämtliche Begabungen raubt. Sie machen dann scheinbar leichte Fehler, werden nervös, machen noch leichtere Fehler, sind wütend, machen groteske Fehler und verlieren irgendwann komplett den Faden.

Dieses Schwarze Loch jedoch, das ist Angelique Kerber - die weiß und nicht glaubt. Die Kontrahentinnen wissen dann, dass sie die Bälle knapp übers Netz und nahe an die Linien spielen müssen, sonst kassieren sie einen Konter nach dem anderen. Es sieht dann aus wie leichte Fehler, sind letztlich aber eine Folge des Risikos, das man gegen Kerber in dieser Form nun mal eingehen muss.

Am Sonntag spielte sie aber gegen die respekt- und furchtlose (der Unterschied zwischen Furcht und Respekt ist so groß wie der zwischen glauben und wissen) Fernandez, die aufgrund ihrer Jugend und dieses Erfolges gegen Osaka die Worte "Furcht" und "Respekt" noch nicht in ihren Sport-Wortschatz aufgenommen hat. "Ich war nach dem Sieg gegen Osaka wie im Rausch - Gottseidank habe ich gestern Doppel gespielt (sie gewann mit Erin Routliffe aus Australien und steht im Achtelfinale), das hat mich wieder ein bisschen geerdet und auf den Boden zurückgeholt."

Kerber ist enttäuscht, sie hatte in diesem Sommer 17 von 19 Partien gewonnen

Fernandez spielte, wie eine 18-jährige Hochbegabte nun mal spielt, wenn sie sich am eigenen Talent berauscht - und Alexander Zverev hatte nach der Partie gegen Jack Sock am Tag davor (der hatte im ersten Satz 18 Gewinnschläge geschafft und sich nur drei leichte Fehler geleistet) gesagt, was nun auch für Kerber galt: "Wenn der Gegner so spielt, gibt es nichts, was du machen kannst." Oder, in Zahlen: Fernandez schaffte 102 Punkte gegen Kerber, 45 resultierten aus direkten Gewinnschläge, 35 weitere erzwangen einen Fehler von Kerber.

Natürlich ist Kerber enttäuscht, sie hatte in diesem Sommer 17 von 19 Partien gewonnen und jeweils nur gegen Ashleigh Barty (Australien) verloren - die bei den US Open bereits ausgeschieden war. "Ich nehme viele positive Dinge mit", sagte sie danach: "Ich habe Spaß auf dem Platz und sehe auch, dass ich gut spielen und gegen die Besten der Welt gewinnen kann." Was sie gelernt haben dürfte: Sie darf nicht nur glauben, dass sie zur Weltspitze gehört. Sie muss es wissen.

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