Süddeutsche Zeitung

US Open:Kerber ist mehr als ein One-Hit-Wonder

Lesezeit: 4 min

Im Finale der US Open beweist Angelique Kerber, zu welch einer famosen Tennisspielerin sie gereift ist. Als sie zu verlieren droht, kommt sie einfach zurück. Nur Jubelgesten muss die Deutsche noch üben.

Von Matthias Schmid

Plötzlich fasste dieser Mann Angelique Kerbers Hand, ganz vorsichtig, aber bestimmt. Von hinten hatte er sich hoch oben auf der Tribüne an sie herangeschlichen, still und heimlich, nachdem sie nach ihrem verwandelten Matchball im Finale der US Open zu ihren Liebsten geklettert war, um als erstes ihren Trainer Torben Beltz zu umarmen. Kerber, 28, wunderte sich in diesem Moment überhaupt nicht über den Fremden mit dem blauen Polo-Hemd und der schwarzen langen Hose, der noch von drei weiteren Ordnern begleitet wurde.

Der eine Mann, es musste der Chefordner gewesen sein, ließ Kerbers Hand erst wieder los, als sie sicher auf dem Court stand. Die Deutsche eilte hinüber zur Bank und setzte sich. Jetzt erst übermannten sie die Emotionen. Langsam schien sie zu kapieren, was ihr da gerade in Flushing Meadows gelungen war: Mit dem 6:3, 4:6, 6:4 gegen die Tschechin Karolina Pliskova hatte Kerber ihr zweites Grand-Slam-Turnier ihrer Karriere gewonnen, das zweite in diesem Jahr.

Kerber begann zu weinen, immer wieder legte sie ihre Hand vor den Mund. Das Wasser rann ihr über die Wangen, als hätte sie gerade gebadet.

"Hier hat alles vor fünf Jahren angefangen"

Es sind besondere Tage für Kerber, sie ist nicht länger nur die beste deutsche Tennisspielerin, sondern sie steigt am Montag zur besten Tennisspielerin des Planeten auf. Bevor sie den Siegerpokal endlich überreicht bekam, musste sie Fragen beantworten. Die Tränen waren verschwunden, das erfrischende Lächeln in ihr Gesicht zurückgekehrt. "Es ist alles einfach unglaublich", bekannte sie vor den mehr als 20 000 Zuschauern im größten Tennisstadion der Welt: "Es ist das beste Jahr meiner Karriere. Hier hat alles vor fünf Jahren angefangen und jetzt stehe ich gleich mit dem Pokal da."

Überall, wo Angelique Kerber hinkommt, ist eine andere natürlich schon gewesen. Es ist gerade schick, Kerbers Erfolge mit Hilfe des Namens Steffi Graf historisch einzuordnen. Und man muss es auch tun, um begreiflich zu machen, wie gut die gebürtige Bremerin tatsächlich geworden ist, wie sehr sie sich abhebt von den Generationen nach Graf, Boris Becker und Michael Stich, denen allesamt ein Grand-Slam-Titel oder gar der Nummer-eins-Status verwehrt geblieben ist. Kerbers Siege sind sogar im internationalen Vergleich außergewöhnlich, wenn man mal die US-Amerikanerin Serena Williams außen vor lässt, die die Einzige ist, die ebenso viele Grand-Slam-Siege geholt hat wie Graf, nämlich 22.

Kerber ist nun die erste Spielerin nach der wunderbaren Justine Henin vor neun Jahren, die zwei Grand-Slam-Turniere innerhalb eines Kalenderjahres für sich entscheiden konnte. "Ich bin einfach überglücklich, dass ich das geschafft habe", sagte Kerber.

Mit den Steffi-Graf-Vergleichen geht sie inzwischen ganz entspannt um, sie hat gelernt, dass sie die Fragen nicht abblocken kann, also hat sie sich eine Standardantwort zu recht gelegt, die sie bei jeder Gelegenheit wiederholt: "Steffi ist immer mein Vorbild gewesen, sie ist eine Legende - aber ich muss meinen eigenen Weg gehen."

Angelique Kerber geht seit dem Gewinn der Australian Open in diesem Jahr gegen Serena Williams längst ihren eigenen Weg. Sie schaffte es anschließend noch ins Finale von Wimbledon und den Olympischen Spielen in Rio. Sie ist keine dieser Spielerinnen, die nur bei einem Turnier über sich hinausgewachsen sind und hinterher wieder in der Anonymität verschwinden. Diese Sorgen hatte sich Kerber nach Australien gemacht, hat die Fed-Cup-Chef und Vertraute Kerbers, Barbara Rittner in den Tagen von New York verraten: "Angie hatte Angst davor, dass sie ein One-Hit-Wonder bleibt."

Vor allem, nachdem sie nach ihrem Triumpf in Melbourne und dem ganzen Trubel danach zwei Erstrundenniederlagen und später das frühe Aus bei den French Open zu verarbeiten hatte. Kerber nahm in dieser Zeit alles mit, sie genoss die Fernseheinladungen, Sponsorentreffen und Empfänge. Die so zurückhaltende Norddeutsche fand Gefallen daran, hofiert zu werden und im Mittelpunkt und auf den Covern der bunten Blätter zu stehen. Sie konnte nicht Nein sagen, ihr Tennis litt darunter und nicht wenige begannen zu raunen, dass sie sich ihren Erfolg abkaufen lasse.

Doch Kerber tat das, was sie am besten kann: Sie befreite sich einfach selbst aus dem Tief. Sie erreichte in Wimbledon das Endspiel und unterlag erst nach einer starken Leistung Williams, die an diesem Tag Aufschläge übers Netz zauberte, die auch viele Männer nicht mehr zurückgespielt hätten. "Dass sie das Match auf Augenhöhe und offen bestritt, hat ihr Ruhe und Selbstvertrauen gegeben", erzählt Rittner: "Von da an war sie wieder total fokussiert und komplett bei sich."

"Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr"

Bei den US Open gab Kerber bis zum Finale überhaupt keinen Satz ab. Sie spielte beständig auf höchstem Niveau, druckvoll von der Grundlinie, sie spielte wie die neue Nummer eins der Weltrangliste, die sie von Montag an auch offiziell sein wird. Auch das Endspiel gegen Pliskova dominierte sie, die sie gut kennt, weil sie beiden im vergangenen Jahr in der deutschen Bundesliga gemeinsam beim TC Rot-Blau Regensburg aufgelaufen sind.

"Ich weiß jetzt ganz genau, wann ich draufgehen muss", sagt Kerber. Vor allem im ersten Satz präsentierte sie sich erstaunlich abgeklärt. Sie gewann mit 6:3 und erlaubte sich nur drei leichte Fehler. Das Match erinnerte anschließend allerdings an ihre Karriere vor dem Sieg in Melbourne. Kerber zog sich weit hinter die Grundlinie zurück, sie verteidigte nur noch und spielte zu vorsichtig. Sie verzagte, zertrümmerte sogar ihren Schläger und jammerte nach verlorenem zweiten Satz im finalen Durchgang nach dem 1:2 auf der Bank: "Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr." In diesem Moment fühlte sie das wirklich so.

Doch die Erfolge der vergangenen Monaten haben ihr Selbstvertrauen so gestärkt, dass sie Schwächephasen nicht mehr herunterziehen, sie hat gelernt, die selbstzerstörenden Neigungen zu überwinden. "Ich versuchte dann trotzdem irgendwie positiv zu bleiben und nicht zu hoffen, dass Karolina nun mehr Fehler macht. In dieser Hinsicht war die letzten Monate goldwert für mich. Ich wollte das Spiel in meine Hände nehmen." Das gelang ihr, auf bemerkenswerte Weise. Sie spielte die Bälle wieder wuchtig übers Netz, mit Raffinesse und Köpfchen. Und gewann am Ende den dritten Satz nach einem 1:3-Rückstand noch mit 6:4 und schließlich das Match.

Als Pliskovas letzte Vorhand weit ins Aus flog, ließ sich Kerber nach vorne fallen, glücklich und erschöpft. Das sah lustig aus. "Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie ich gejubelt habe", bekannte sie später. Und als am Ende die Fotografen ihr obligatorisches Bild mit Kerber und dem Siegerpokal haben wollten, musste erst ein Turnierverantwortlicher kommen, und den Pokal für sie richtig herumdrehen. Angelique Kerber, das steht nach ihrem zweiten Grand-Slam-Sieg endgültig fest, wird noch zahlreiche Gelegenheiten bekommen, die Siegerpose zu üben.

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