Süddeutsche Zeitung

US Open:Hat Zverev endlich die Ruhe gefunden?

Lesezeit: 2 min

Von Jürgen Schmieder, New York

Es gibt im sozialen Netzwerk Twitter den herrlichen Account "Pseudo McEnroe": Jemand tut so, als wäre er der einstige Tennisspieler, die Einträge sind auf gleich drei Ebenen urkomisch: Sie verkohlen den einst so wilden John McEnroe mit Fotos von früher, sie verhohnepipeln die Versuche des heutigen Tennisdeuters, ganz besonders intellektuell zu wirken - und sie kommentieren das aktuelle Geschehen auf köstliche Art und Weise. Es ist zum Beispiel ein Foto von Alexander Zverev zu sehen, wie er die Tennisanlage in Flushing Meadows betritt, darunter steht: "Weiß der nicht, dass er gleich spielen muss? Mal ehrlich: Zverev sieht aus, als würde er auf dem Weg in die Bibliothek sein."

Es ist tatsächlich erstaunlich, was für ein Alexander Zverev da bei den US Open unterwegs ist: ein gut gelaunter, lächelnder und scheinbar in sich ruhender junger Mann, der noch keine seiner Partien als "lächerlich" beschrieben hat und auch noch nicht über Gegner, Schiedsrichter oder Organisatoren gemotzt hat. Man ist versucht zu glauben, dass es sich um einen Klon des sonst so wilden und bisweilen auch jähzornigen und pampigen Typen handelt, der diese Sportart bald dominieren soll - doch wer beim Training mal ganz nah an ihn herantritt, der stellt zweifelsfrei fest, dass das tatsächlich die Originalversion von Zverev sein muss.

Zverev hat seine ersten beiden Partien bei den US Open locker gewonnen: 6:2, 6:1, 6:2 gegen Peter Polansky (Polen) und 6:4, 6:4, 6:2 gegen Nicolas Mahut (Frankreich) und er hat dabei in der Hitze von New York im Gegensatz zu vielen anderen ordentlich Energie gespart. In der dritten Runde trifft er nun auf Philipp Kohlschreiber. Die beiden haben in New York schon einmal gegeneinander gespielt, 2015, und Kohlschreiber hat damals auch deshalb in fünf Sätzen (6:7, 6:2, 6:0, 2:6, 6:4) gewonnen, weil er damals noch der bessere Tennisspieler, vor allem aber der erfahrenere, der ausgebufftere, der abgezocktere war.

Er ist schon immer noch der Erfahrenere, der Ausgebufftere, der Abgezocktere - aber er ist nicht mehr der bessere Tennisspieler. Im Sinne der Science-Fiction-Reihe "Star Wars" scheint sich Prophezeiung von Zverev nun langsam zu erfüllen, der junge Padawan (Schüler) hat in Ivan Lendl einen Trainer gefunden, der ihm als Lehrmeister, als eine Art Yoda dient, und der ihm beibringen möchte, seine außerordentlichen Fähigkeiten zu nutzen. Das weiß auch Kohlschreiber: "Wenn er das Spiel von oben weg spielen kann und mir Aufschläge, Vorhand und Rückhand in die Ecken zimmert, dann wird er seinem Favoritenstatus gerecht werden."

Er ist ein unangenehmer Gegner, der Philipp Kohlschreiber, und das weiß er ebenfalls: "Ich bin ein fitter Typ, ich kann viele Wege gehen. Ich muss die Partie physisch und abwechslungsreich gestalten, ich muss verschiedene Winkel, Höhen und Tempi spielen. Dann kann ich vielleicht in seinen Kopf reinkommen." Er sei mit seinen Leistungen trotz der Erfolge - 7:6, 5:7, 6:4, 6:4 gegen Yannik Hanfman (Deutschland) und 6:7, 6:3, 6:2, 6:0 gegen Matthew Ebden (Australien) - nicht zufrieden ("Mein Trainer sagt, ich sehe das zu negativ."), er sagt aber auch: "Es ist ein Fünf-Satz-Match - und ich muss hoffen, dass er vielleicht darüber nachdenkt, dass es bislang bei Grand-Slam-Turnieren noch nicht so geklappt hat."

Es könnte eine interessante Partie werden, und sie wird nicht in einer Bibliothek, sondern am Nachmittag als dritte Partie im Louis-Armstrong-Stadium ausgetragen. Wer sich nebenbei ein bisschen amüsieren möchte, der guckt währenddessen auf Twitter bei "Pseudo McEnroe" vorbei. Der kommentiert gewöhnlich die Matches in den großen Stadien, also sehr wahrscheinlich auch das Duell zwischen Kohlschreiber und Zverev.

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