Süddeutsche Zeitung

Uruguay bei der Fußball-WM:Suárez soll die Heimat retten

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Nach dem verpatzten Auftakt glaubt das Nationalteam Uruguays, dass nur noch ein Einsatz des zuletzt angeschlagenen Luis Suárez Hilfe bringt - doch wie fit ist der Liverpool-Stürmer? Gegner England zittert bereits vor dem Torschützenkönig der Premier League.

Von Peter Burghardt, Rio de Janeiro

Luis Suárez sollte man sicherheitshalber ernst nehmen, das hat sich inzwischen herumgesprochen. Bei der WM 2010 in Südafrika verwandelte sich der uruguayische Stürmer im Viertelfinale gegen Ghana kurz in einen Torwart und wehrte den andernfalls wohl entscheidenden Vorstoß der Afrikaner in der letzten Minute mit den Händen ab - Platzverweis, doch den Strafstoß trat der Ghanaer Asamoah Gyan gegen die Querlatte, während der Sünder freudig in die Kabine schlenderte.

Das Elfmeterschießen nach Verlängerung gewann später Uruguay. In England fiel Suárez später mit rassistischem Unfug sowie tysonhaften Beißattacken auf, die Folge waren Geldstrafe und zehn Spiele Sperre. Doch in der vergangenen Saison war der unkalkulierbare Angreifer des FC Liverpool der beste Schütze der Premier League, und jetzt soll er mit 27 Jahren mal wieder seine Heimat retten.

Das wäre erstaunlich, denn vor drei Wochen verlängerte der Herr Suárez aus der Kleinstadt Salto zunächst die Krankenliste dieser WM. Er lag beim Training der Auswahl im Gras - Meniskusschaden. Das Turnier schien einen weiteren Prominenten zu verlieren, wie Radamel Falcao aus Kolumbien und den Franzosen Franck Ribéry. Der Patient wurde in Montevideo sofort operiert, den Eingriff leitete Luis Francescoli, ein Bruder des früheren Spielmachers Enzo Francescoli.

Nationaltrainer Óscar Washington Tabárez strich seinen inzwischen bekanntesten Profi trotzdem nicht aus dem Aufgebot und nahm ihn mit nach Brasilien, obwohl kaum jemand wusste, ob er dort mehr sein kann als nur ein Maskottchen. Doch nun wird er gebraucht, denn der erste Versuch ohne ihn ging gründlich schief.

Das Debüt gegen die verblüffend eleganten Costa Ricaner endete am Sonntag in Fortaleza 1:3, ein unverhoffter Einstand im wohl ungemütlichsten Sektor der Vorrunde. Zur Gruppe D gehören ja auch noch Italien und England, auf das Uruguay am Donnerstag in São Paulo trifft. Für beide geht es bereits um die günstigstenfalls vorletzte Chance, denn wer noch mal verliert, der kann nach Hause fliegen.

Die Engländer hatten beim 1:2 gegen die Italiener immerhin keine Karikatur abgeliefert wie die Uruguayer, der WM-Vierte von Südafrika und Amerika-Meister 2011. Nach dem Führungstreffer von Edison Cavani aus elf Metern brachen die Favoriten in der zweiten Halbzeit zusammen, so hölzern hatte man eine der erfahrensten Belegschaften dieser WM schon lange nicht mehr gesehen. Also: Ihr Einsatz, Señor Suárez!

An seiner Stelle stürmte beim Reinfall gegen Costa Rica das ehemalige Idol Diego Forlán, der beste Mann vor vier Jahren. Unterdessen nähert sich Forlán im Alter von 35 Jahren bei Cerezo Osaka in Japan fürstlich bezahlt der Frührente, aber seine Zeit auf höchstem Niveau scheint vorbei zu sein. Auch Cavani brachte mit der Nummer 21 auf dem himmelblauen Trikot wenig zustande, dabei hat Paris Saint-Germain 60 Millionen Euro für ihn bezahlt.

Auf der Ersatzbank saß mit der Nummer 9 Luis Suárez und wusste, dass er trotz der Blamage seiner Kollegen noch warten musste. "Mir war klar, dass ich nicht auf den Platz durfte", sagte Suárez. Gegen England will und soll er aufs Feld.

Es geht um die Ehre und um die nähere Zukunft. Im Falle eines Unentschiedens müssten beide Mannschaften auf ihr jeweils letztes Gruppenmatch hoffen, das wäre zumindest für Uruguay gegen Italien gewagt. Es müsste also gewonnen werden, und da soll weniger als einen Monat nach der Knieoperation Luis Suárez helfen.

"Ich hatte in keinem Moment gedacht, dass ich die Weltmeisterschaft verpassen würde", erläuterte der zuvor maulfaule Held gerade. "Nach einer Verletzung ist es schwierig, zurückzukehren und bei 100 Prozent zu sein. Vielleicht glaubt jemand, dass ich körperlich nicht auf der Höhe der anderen bin. Aber ich fühle mich gut."

Tabárez wird ihn aufstellen, ehe die Expedition ins Nachbarland endgültig scheitert, wobei für Uruguays Trainer erschwerend hinzu kommt, dass sein Kapitän und Abwehrchef Diego Lugano mit Knieproblemen ausfällt. 1950 hatte das kleine Land Brasilien erobert - diesmal folgte dem Debakel gegen Costa Rica ein zünftiger Streit mit allerlei Intrigen in der Kabine. Auch missfiel dem Coach, dass sein geplanter Wechsel gegen England auf drei Positionen nach außen drang.

Die Engländer wissen jedenfalls, dass sie es mit dem Torjäger des FC Liverpool zu tun bekommen. Sie werden sogar ihre Besetzung auf ihn einstellen, wobei man sich "keine Obsession mit Luis" erlauben dürfe, wie sein dortiger Sturmpartner Daniel Sturridge rät. Sturridge traf 22 Mal für Liverpool, Suárez schoss 31 Tore, Englands Trainer Roy Hodgson stichelte schon mal: "Man kann ein großartiger Spieler in der Liga sein, aber wenn einer beweisen will, dass er einer der Größten ist, dass muss er das bei einer WM zeigen."

Luis Suárez zeigte beim Üben erst mal lachend seine Zähne. Liverpool zahlt ihm seit einem Angebot von Arsenal angeblich 245 000 Euro in der Woche, Real Madrid bietet eine mutmaßliche Ablöse von 85 Millionen Euro. Und Argentiniens ewiger Chefanalytiker Diego Maradona traut dem bissfesten Uruguayer in bewährter Wortwahl praktisch alles zu: "Er hat die Eier dafür, ohne Eier kommt man im Fußball nirgendwo hin."

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Quelle:
SZ vom 18.06.2014
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