Süddeutsche Zeitung

Ukrainisches Team bei den Paralympics:Ausgerechnet jetzt

Lesezeit: 3 min

Einfach ein paar Medaillen gewinnen und glückliche Sportler sein? So einfach ist das nicht mehr - und so einfach will es sich das Paralympics-Team der Ukraine auch nicht machen. Die Sportler nutzen die Willkommenszeremonie im Paralympischen Dorf zu einer Demo in eigener Sache.

Von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Die nächste Jubelwelle geht durchs Paralympische Dorf in den Kaukasus-Bergen von Krasnaja Poljana, denn die nächste Mannschaft zieht ein zum Willkommensgruß. Team Ukraine ist da mit seinen 23 Sportlern und deren Betreuern. Fähnchen fliegen, Gesichter lachen, beschwingte Musik erfüllt den kleinen Festplatz mit Blick auf die Gipfel von Krasnodar. Die Ukrainer stellen sich auf, sie haben große Nationalfahnen mitgebracht und schauen ernst zur Bühne. Sie stehen da wie eine Wand aus gelb-blauer Entschlossenheit.

Bald zieht ein Corps von Trommelmädchen ein, bald spricht ein gewagt frisierter Moderator Begrüßungsworte "im Namen Russlands", bald tanzt eine Performance-Gruppe zu beschwingtem Russland-Pop. Dorf-Vize-Bürgermeister Sergej Poddubny sagt zu den Athleten, dass sie schon jetzt Gewinner seien. Pelzmützen-Männer bringen im Stechschritt die ukrainische Fahne. Die ukrainische Hymne erklingt, die Ukrainer schauen zu, wie sich ihre Fahne langsam den Mast emportastet, und sie singen. Aus vollem Halse singen sie. "Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben, noch wird uns lächeln, junge Brüder, das Schicksal."

Sie singen, weil sie wirklich meinen, was sie singen.

Die Hymne endet. Der Moderator kündigt die Maskottchen an. Da dreht sich die Mannschaft um und geht. Verbandspräsident Valeri Suschkewitsch gibt in seinem Rollstuhl das Kommando, dann ziehen sie durchs Paralympische Dorf. Und sie rufen: "Frieden für die Ukraine. Frieden für die Ukraine. Frieden für die Ukraine."

Bis sie den Wohnbereich des Dorfes erreicht haben, rufen die Sportler in Gelb und Blau: "Frieden für die Ukraine."

Das ist eine Friedens-Demonstration im besten Sinne gewesen, was die Mannschaft der Ukraine am letzten Tag vor der Eröffnung der Paralympischen Spiele von Sotschi veranstaltet hat. Die Willkommenszeremonie der Teams im Athletendorf ist bei Paralympics wie bei Olympia ein Ritual, das die Veranstalter mit mehr oder weniger Hingabe abspulen. Vor Beginn der Spiele wird es täglich ein paar Mal gegeben, wortgleich für die diversen Mannschaften, was im Falle der Zeremonie im Bergdorf von Krasnaja Poljana dazu führt, dass die Darbietungen etwas heruntergerattert und leblos wirken.

Die Willkommenszeremonie ist ein reiner Höflichkeitsakt. Aber an diesem Donnerstag haben es die Ukrainer dabei nicht belassen wollen. Die Zeiten sind nicht danach, nur lustig mitzuwippen, wenn ein russischer Gastgeber die Trommelstücke schwingt. Die Unsicherheit für die Menschen in der Ukraine ist groß.

Nichts deutet darauf hin, dass die Übergangsregierung nach dem Sturz des prorussischen Präsidenten Janukowitsch die Interessenskonflikte im Land sehr bald auflösen kann. Stattdessen belastet die Krim-Krise die Weltpolitik, weil Russlands Präsident Wladimir Putin der Meinung ist, er müsse die Russen auf der ukrainischen Halbinsel Krim mit Militärpräsenz vor den Folgen des Umsturzes schützen.

Ausgerechnet jetzt sind die Paralympier der Ukraine Gast des großen Nachbarn, im eingezäunten russischen Hochsicherheitstrakt zwischen Sotschi und Krasnaja Poljana. In den Jahren, in denen sie sich auf die Paralympics 2014 vorbereiteten, dachten sie bestimmt mal, sie könnten hier einfach ein paar Medaillen gewinnen und ansonsten glückliche Sportler sein. Aber so einfach ist das jetzt nicht. Und so einfach wollten sie es sich auch nicht machen. Ihr Friedensmarsch durchs Paralympische Dorf war ein beeindruckender kleiner Beitrag zum Thema Zivilcourage auf den Bühnen des weltsportlichen Leichtsinns.

Die Verzichtserklärungen häufen sich infolge der Putinschen Aggression in der Ukraine. Am Mittwoch meldete der Online-Dienst inside the games, dass zwei prominente Ehrenratsmitglieder des Internationalen Paralympischen Komittees (IPC) die Spiele nicht besuchen werden: Prinzessin Margriet aus den Niederlanden und Kronprinzessin Victoria von Schweden. Am Donnerstag legte die deutsche Bundesregierung nach.

Putin lässt sich davon nicht anfechten - er spielt die Leistungen der Paralympier gegen die Symbolhandlungen seiner Gegner aus. Die Paralympics seien ein Forum, bei dem Menschen mit Behinderungen, "sich selbst und der Welt beweisen können, dass sie Menschen ohne Grenzen sind", hat er zuletzt gesagt, "wenn jemand sie zu ruinieren versucht, heißt das, dass den Leuten nichts mehr heilig ist".

Aber so richtig kann er auch nicht leugnen, dass seine Spiele keine normalen Spiele mehr sind. Immerhin, sie werden beginnen. Die Sportler sind ja da. Und die Ukrainer?

Nach ihrer Demonstration erschien Präsident Suschkewitsch im Torbogen des Wohnbereichs im Paralympischen Dorf. Hinter ihm hatten sich die Sportler aufgestellt wie ein dichter gelb-blauer Rückhalt für den Wortführer. Suschkewitsch sprach energisch, ohne laut zu sein: "Mein Team will Frieden im Krieg. Frieden in Europa. Frieden in meinem Land. Wir sind hier nicht nur für den Wettbewerb. Wir sind hier, weil wir für Frieden kämpfen."

Ob die Mannschaft antrete bei den Paralympics, fragte ein Journalist.

"Morgen wird das entschieden", sagte Valeri Suschkewitsch. Er bedankte er sich bei den Zuhörern und ging mit seiner Mannschaft weg.

Am Freitagmorgen erschien Suschkewitsch erneut vor den Reportern. "Wir wollen teilnehmen", sagte er. "Für den Frieden in der Ukraine, in Europa und der Welt."

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Quelle:
SZ vom 07.03.2014
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