Süddeutsche Zeitung

Fußball in Europa:Priorität Überleben

Lesezeit: 2 min

Die Uefa erkennt, dass sie in der Corona-Krise gerade nicht die wichtigsten Wettbewerbe im Fußball austrägt - für die Vereine ist die Verschiebung der Europawettbewerbe überlebenswichtig.

Kommentar von Christof Kneer

Vermutlich würde die Welt sich für ein Spiel Italien gegen England mehr interessieren als für eine Partie zwischen, sagen wir, der TSG 1899 Hoffenheim und dem VfL Wolfsburg. Selbst eine Begegnung zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 resp. Mainz 05 dürfte aus europäischer Perspektive betrachtet keine Chance haben, wenn man als Alternative auch FC Barcelona gegen Juventus Turin sehen könnte. Bei Mainz spielt zwar der nicht zu unterschätzende Daniel Brosinski, aber bei Barcelona und Juventus spielen halt Messi und Ronaldo.

In guten und auch in normalen Zeiten bräuchte man weder Whisteblower noch Datenhacker, um zu erfahren, welche Wettbewerbs-Hierarchie im Europaverband Uefa gepflegt wird. Erst kommen die großen und lukrativen Bühnen, also die Europameisterschaft und die Europapokale; danach erst folgen die nationalen Ligen, die das "Brot- und Butter-Geschäft" der Klubs bilden, wie der metaphernbegabte FC-Bayern-Klubchef Karl-Heinz Rummenigge das gerne ausdrückt (wobei er, da ja auch fremdwortbegabt, eigentlich "Brot-und-Butter-Business" sagen müsste/Anregung der Redaktion).

Es darf dennoch nicht überraschen, dass die Uefa die Rangliste ihrer Wettbewerbe vorübergehend neu definiert hat. Mit ihrem Beschluss, die Europapokale, die EM-Playoffs sowie die Juni-Länderspiele zugunsten der nationalen Ligen "bis auf Weiteres" zu verschieben, hat sich die Uefa beim sog. Corona-Gipfel mit den Generalsekretären der 55 Mitgliedsverbände zwar nur zu einer Selbstverständlichkeit bekannt. Dennoch war es wichtig, diese Selbstverständlichkeit formal zu dokumentieren: Brot und Butter gehen jetzt erst mal vor, Austern schlürfen kann man später immer noch. Es ist der Parallelreflex zur Gesellschaft: Auch das sog. richtige Leben konzentriert sich zurzeit nur auf das Nötigste und nimmt dafür ökonomische Einbußen in Kauf.

Das Praktische ist, dass die Uefa im produktiven Selbstgespräch zu dieser Erkenntnis kommen konnte, es sind ihre eigenen Wettbewerbe, die sie da hin und her moderiert. Die Uefa ist die Interessensvertreterin der Klubs, und niemand weiß das besser als sie: Ohne Klubs gibt es keine Wettbewerbe und ohne Wettbewerbe keine Uefa. Deshalb muss die Uefa erst mal dafür Sorge tragen, dass ihre Klubs überleben - und um zu überleben, brauchen einige Klubs die kompletten TV-Einnahmen, die in vielen Ländern nur fließen, wenn die Saisons zu Ende gespielt werden; und um die Saisons zu Ende zu spielen, brauchen die Klubs dringend die Zeitfenster, die bisher durch EM, Champions- und Europa League blockiert waren.

Was ein Champions-League-Spiel im August aber für Spieler bedeuten würde, die im Juli eigentlich vom einen Klub zum anderen gewechselt sind? Für solche Fragen braucht es sicher noch ein paar Konferenzen mit den 55 Generalsekretären.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4866410
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.04.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.