Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Tour-Sieger Froome auf der Suche nach Sympathie

Lesezeit: 3 min

Chris Froome dominiert mit seinem Sky-Team die Tour de France deutlicher, als es Lance Armstrongs US-Postal-Team einst tat. Doch die Doping-Rufe werden weniger. Warum?

Von Johannes Aumüller, Morzine

Für Christopher Froome ist es eine vertraute Situation. Annecy-Semnoz 2013, L'Alpe d'Huez 2015, jetzt also Morzine 2016. Wenn der letzte echte Tour-Tag vorbei ist, kommt der Mann in Gelb ins Pressezentrum fürs große Abschlussgespräch. Der Jour d'honneur in Paris steht noch aus, aber das tangiert nicht. Das Klassement ist gemacht, jetzt kann Froome ausführlich erzählen, was er so denkt über die Tour, die mal wieder seine Tour war.

"Es ist ein großartiges Gefühl, absolut großartig. Es könnte auch das erste Mal sein." In gewissem Sinne ist es auch eine Premiere. 2013 war Froome ein Gewinner, der beim Volk auf wenig Sympathie stieß, der vergleichsweise oft auf der Straße Pfiffe und in Presserunden Dopingfragen hörte. 2015 ebenso. Und 2016? Da war es etwas anders. Wer Froome und sein Sky-Team in den vergangenen drei Wochen beobachtete, konnte zum Schluss kommen, dass es ihnen diesmal nicht nur um ein sportliches Projekt und den dritten Tour-Sieg ging. Sondern auch um den Versuch, mehr Sympathien zu gewinnen.

Das zeigte sich einerseits, wenn Froome auf dem Rad saß. Seitdem 2012 die nahezu ungebrochene Sky-Dominanz begann, erarbeitete sich das Team das Image, eine Wattzahl-hörige Combo zu sein, die immer langweilige Rennen darbietet. Aber diesmal hatte Froome auch seine anderen Momente, eine Attacke auf der Abfahrt, bei der er nur auf dem Mittelrohr seines Velos saß, eine Attacke im Seitenwind vor Montpellier. Das erfreute das Rennfahrer- und das Zuschauer-Herz, auch wenn es nur ein paar Sekunden einbrachte und Froome die großen Klassement-Abstände auf Romain Bardet (Frankreich/+4:05 Minuten) und Nairo Quintana (Kolumbianer/+ 4:21) vor allem im Zeitfahren erzeugte.

Aber kleine unerwartete Aktionen bringen Zuneigung, Froome will nicht mehr nur als kalkulierender Dominator dastehen, sondern auch als vielfältiger Instinktfahrer. Dass er dann am Mont Ventoux nach einem Sturz gut 100 Meter durch die Massen bergauf joggen musste, weil zunächst kein Ersatzrad da war, oder dass er nach einem Sturz auf der vorletzten schweren Berg-Etappe mit zerrissenem Maillot Jaune und sichtbaren Wunden ins Ziel kam, vollendete nur das Bild von Froome, dem kämpfenden Racer. Aber nichts eignet sich mehr zur Sympathievermehrung als die notwendige Verbeugung vor "la tour". Lance Armstrong hat sich nie demütig gegeben, das haben ihm die Franzosen nie verziehen. Bei Froome schien das anfangs ähnlich zu sein, inzwischen aber sieht das anders aus: Er parliert auf Französisch, rühmt die Tour als "French Event" und die Atmosphäre als fantastisch. Und es ist ihm offenkundig ein Anliegen gewesen, sich gut zu stellen mit Gerard Holtz, Frankreichs Tour-Gesicht bei den Live-Übertragungen des Fernsehens - und irgendwie lässt sich das auch als Aussöhnung deuten. Denn Holtz' TV-Partner war Ex-Fahrer Laurent Jalabert, der 2015 zu den Ersten gehörte, die sich ob Froomes Leistung stark verblüfft zeigten.

Und damit also zu den Zweifeln. Es ist schon sehr erstaunlich, wie Froome die Tour 2016 mit Blick auf die Doping-Thematik verlebte. Die Rahmenbedingungen waren die gleichen wie 2013 und 2015. Hinter Froome steckt immer noch eine Radsport-Biographie, die aus einem Hinterherradler und Spätberufenen nach einer schweren Erkrankung den Rundfahrt-Dominator machte. Sein Team Sky veröffentlicht immer noch nicht alle Leistungsdaten, die Trainingswissenschaftlern zu einer seriösen Einstufung helfen. Noch immer geschehen bei Sky Dinge, die Fragen aufwerfen, wie etwa der Umgang mit einer Blutwerte-Untersuchung von Froomes Helfer Sergio Henao.

Und vor allem: Wieder dominierte Sky das Rennen massiv, in diesem Jahr vielleicht sogar mehr als je zuvor, nahezu jeden Berg diktierten sie. Inzwischen ist vielleicht auch der Vergleich mit Lance Armstrongs US-Postal-Équipe zu Beginn der Nullerjahre falsch - weil US Postal damals nicht so dominant war wie jetzt Sky. Froome schien, trotz der beiden Stürze, unangreifbar zu sein. Es gibt 2016 also ungefähr genauso viele (oder wenige) Gründe an Froomes Sauberkeit zu glauben wie früher. Trotzdem waren weniger Dopage-Dopage-Rufe, weniger kritische Fragen und Einlassungen zu vernehmen.

Nur: Warum war das so? Vielleicht ist es Sky im fünften Jahr ihrer Dominanz gelungen, die Kritiker so mürbe zu radeln wie die Gegner. Vielleicht führen zunehmende Sympathiewerte auch zu sinkender Skepsis. Und vielleicht lag es auch daran, dass es nicht diesen einen Moment gab, in dem sich scheinbar Unglaubwürdiges offenbarte. 2015 kamen die Zweifel von allen Seiten und die Forderung nach der Offenlegung von Leistungsdaten auf, als Froome auf der ersten Bergetappe nach La-Pierre-Saint-Martin allen rasant davonkletterte. Diesmal war seine erste auffällige Tat die Abfahrtseinlage, davon könne man nun mal keine Leistungsdaten verlangen, sagte Team-Manager David Brailsford. In den Zeitfahren, in denen sich Froome den Tour-Sieg sicherte, ist der Unterschied zur Konkurrenz nicht gar so offenkundig, der direkte Vergleich fehlt.

Team Sky hat sich in den vergangenen Jahren den Ruf erworben, alles zu kontrollieren und zu beachten, selbst die Matratzenstärke und die Faserreinheit der Gemüsesäfte. Liegt da nicht der Gedanke nahe, dass es vielleicht auch bewusst auf diesen einen unwirklich erscheinen könnenden Bergauf-Moment verzichtete?

Froome ist 31, nur Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain gewannen öfter die Tour (alle fünf Mal). Aber der Brite hat bei den nächsten Auflagen noch was vor: "Es wäre mein Traum, in den nächsten fünf oder sechs Jahren an der Startlinie zu stehen und um den Sieg kämpfen zu dürfen." Es wird interessant sein zu sehen, wie dann seine Sympathiewerte sind.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2016
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