Radsport:Ein rätselhafter Report

Die Sky-Mannschaft um Christopher Froome dominiert wieder die Tour de France. Aber der Umgang mit einer Studie rund um auffällige Werte von Edelhelfer Sergio Henao weckt Zweifel.

Von Johannes Aumüller, Culoz

Auch am Sonntag ist der kleine Mann mit der Rückennummer zwei wieder des Öfteren an der Spitze des Pelotons zu sehen gewesen. Sergio Henao, 28, steht schon seit ein paar Jahren bei der britischen Sky-Mannschaft unter Vertrag, aber er bestreitet gerade seine erste Tour. Er ist einer der wichtigsten Helfer von Favorit Christopher Froome, der am Sonntag beim Sieg des Kolumbianers Jarlinson Pantano im Etappen-Zielort Culoz seine Führung im Gesamtklassement verteidigte. Aber Henao ist auch ein gutes Beispiel dafür, warum die Dominanz der Sky-Mannschaften bisweilen Irritationen erzeugt.

Seit geraumer Zeit gibt es einen Vorgang rund um den Kolumbianer und seine Blutwerte. Henao bestreitet Doping nachdrücklich, es ist auch nichts nachgewiesen. Aber es geht um Transparenz, also das Wort, das Sky und der Weltverband UCI so gerne betonen, aber mit dem es in diesem Fall nicht so weit her zu sein scheint.

Im März 2014 berichtete die Gazzetta dello Sport über auffällige Werte Henaos bei einem Trainingstest der UCI aus dem vorangegangenen Winter, genommen in der Höhenlage von Henaos kolumbianischer Heimat. Sky bestätigte das. Es strich den Fahrer für eine gewisse Zeit aus dem Aufgebot und ordnete eine interne Untersuchung an, in Zusammenarbeit mit einem von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) akkreditierten Labor und geleitet durch Experten der Universität Sheffield.

Tour de France 2016 - 14th stage

Dünn, aber stark: Die Beine des Briten Christopher Froome vom Team Sky bei einer Siegerehrung bei der diesjährigen Tour de France.

(Foto: Kim Ludbrook/dpa)

Ein paar Wochen hielt sich Henao in Europa auf, dann in der kolumbianischen Höhe, danach auf Meeresniveau in Nizza. Nach einer gut zweieinhalbmonatigen Untersuchung hieß es, die Experten seien "im höchsten Grad überzeugt", dass die Werte die "normale Reaktion des Athleten" auf Höhe seien. Alle relevanten Daten würden dem Labor, der Wada und der formal unabhängigen Anti-Doping-Behörde des Weltverbandes (CADF) mitgeteilt.

Henao durfte wieder starten, mehr als eineinhalb Jahre lang tat sich nichts - bis sich die UCI an ihn wandte. Sie hat für ihre Athleten ein Blutpass-Programm eingeführt, und jeder Weltverband mit Blutpass-Programm hat eine Expertengruppe, die sich die Blutpässe näher anschaut. Bei der UCI ist es das Anti-Doping-Labor in Lausanne. Dieses wollte nun offenkundig mehr Informationen von Henao und Sky, es gehe um einen "möglichen Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln". Henao musste erneut aussetzen und gab sich empört: "Warum ich? Da sind unschuldige Leute im Gefängnis, und das ist das Gleiche", sagte er einer spanischen Zeitung. Henao und Sky antworteten den UCI-Instanzen, Wochen später war der Fall offiziell beendet.

Bei Nachfragen zu Details verweist Sky an die UCI, die UCI wiederum sagt nichts, und so bleiben ein paar Fragen offen. Warum macht der Weltverband so lange nichts, wenn ihm angeblich seit Mitte 2014 alle Informationen vorlagen, sondern erst anderthalb Jahre später? Hat er weitere Informationen verlangt oder fußt sein Entscheid ausschließlich auf der Sky-Studie?

Auf eine aktuelle Anfrage antwortet der Studienleiter gar nicht mehr

Die Studie, sie ist ein wichtiger Schlüssel für den Umgang mit dieser Causa. Sky erklärt immer mit Verve, es würde sehr transparent vorgehen. Aber wenn es um konkrete Fälle geht, gibt es diese Transparenz nicht. Im vergangenen Jahr staunten rund um den Tour-Tross alle über den Auftritt, mit dem Kapitän Froome auf der ersten Pyrenäen-Etappe die Konkurrenten deklassierte, ins Gelbe Trikot fuhr und den Grundstein für seinen Rundfahrt-Sieg legte. Nach tagelangen Diskussionen veröffentlichte Sky ein paar Leistungsdaten, das sollte die Öffentlichkeit beruhigen. Aber die für die Trainingswissenschaftler entscheidenden Werte waren nicht dabei.

Le Tour de France 2016 - Team Presentations

Hauptfigur eines unklaren Falles: der Kolumbianer Sergio Henao.

(Foto: Michael Steele/Getty Images)

Ähnlich ist es nun bei Henao. Es wäre interessant zu sehen, wie genau und mit welchen Tests die Experten der Universität Sheffield und Sky zu ihrer Einschätzung kamen. Das wollen ja nicht nur Skeptiker wissen, vielleicht versteckt sich darin ein wichtiger Hinweis, wie Blutpass-Programme zu modifizieren sind, wenn ein Athlet seinen Aufenthaltsort andauernd zwischen großer Höhe und Meeresspiegelniveau wechselt.

2014 hieß es auch in einem Statement, es gebe eine zeitnahe Publikation. Doch das ist bisher nicht geschehen. Sky verweist auf Anfrage an die Universität Sheffield. Der Report sei komplett unabhängig von der Mannschaft gewesen, und das Team sei nicht verantwortlich für die Veröffentlichung. Die Uni wiederum verhält sich abwartend. Mitte des vergangenen Jahres sagte Studienleiter Eddie Hampton gegenüber britischen Medien, es seien viele Dinge bei der Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Studie zu berücksichtigen und Verzögerungen von mehr als einem Jahr nicht unüblich in solchen Fällen. "Wir hoffen, dass wir es so bald wie möglich machen können." Aber seitdem hat sich nichts getan, und auf eine aktuelle Anfrage antwortet Hampton gar nicht mehr.

Stattdessen kann Sergio Henao in diesen Tagen problemlos seinem Kapitän Christopher Froome zum Tour-Sieg verhelfen. Offenkundig auch wegen eines Reports, der nur für einen kleinen Zirkel bestimmt ist - und für einen prompten Freifahrtsschein ausreichte, aber bisher nicht für eine wissenschaftliche Publikation.

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