Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Der Zweite, der nicht Erster sein will

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Bauke Mollema überrascht bei der Tour de France als stärkster Herausforderer von Christopher Froome. Wobei: Was heißt hier herausfordern?

Von Johannes Aumüller, Bern/Culoz

Richtig vergnügt stand der Mann mit den blonden Haaren im Schatten des Mannschaftsbusses, er trug kein Radler-Dress mehr, sondern Freizeit-Kluft. Fast wirkte er so, als habe er die vorangegangene schwere Etappe der Tour de France nach Culoz nicht auf dem Rad absolviert, sondern gemütlich im Begleitwagen. Er lachte und plauderte, und dem Pressesprecher schien es ein größeres Bedürfnis zu sein, die Fragerunde zu Ende zu bringen, als dem Befragten.

Dessen Botschaft war ohnehin bald klar: "Die Tour zu gewinnen, wird wirklich schwer", sagte er über mögliche Ambitionen nach ganz oben. Der Führende im Gesamtklassement, Christopher Froome, sei "der große Favorit und es bräuchte schon einen wirklich sehr schlechten Tag von ihm".

Das war schon ein etwas erstaunlicher Wortbeitrag. Denn bei diesem gut gelaunten Mann mit den blonden Haaren handelte es sich tatsächlich um den Niederländer Bauke Mollema. Nicht einer der erwarteten Kandidaten liegt am zweiten Ruhetag und vor den vier entscheidenden schweren Alpen-Tagen auf Platz zwei der Gesamtwertung, nicht der kolumbianische Kletterspezialist Nairo Quintana (Movistar), nicht Fabio Aru, der italienische Frontmann der Astana-Truppe, auch nicht Romain Bardet (AG2r), die Hoffnung der Franzosen. Sondern eben Bauke Mollema, der 29 Jahre alte Kapitän der Trek-Mannschaft.

Froome selbst nennt ihn den "wahrscheinlich stärksten Herausforderer"

Froome selbst hat den Niederländer zum "wahrscheinlich stärksten Herausforderer" geadelt, die Differenz zwischen den beiden beträgt derzeit 1:47 Minuten - ein klarer Vorsprung, aber andererseits nicht unaufholbar im Radsport im Allgemeinen und ob des schweren Profils der Schlusswoche im Speziellen.

Und was sagt also dieser Bauke Mollema im Schatten des Busses? "Die Tour zu gewinnen, wird wirklich schwer."

Nun mag es bisweilen angeraten und auch strategisch nicht unklug sein, als Herausforderer defensiver und mit etwas Demut zu agieren. Aber in diesem Fall ist es offenkundig weniger strategische Zurückhaltung, sondern eher die schlichte Abbildung der Realität. Froome gilt nach mehr als zwei Tour-Wochen als quasi unbezwingbar, er hat nicht nur eine gute Form und eine bemerkenswerte Taktik, er hat auch die besten Rennfahrer in seinem Team, allen voran den unermüdlichen Niederländer Wouter Poels. Schneller als Sky könne man einen Gipfel nicht hochfahren, tat Quintanas Teamkollege Alejandro Valverde nach der Ankunft in Culoz am Sonntag fast schon resignierend kund. Und der gilt gemeinhin als einer derjenigen, die sofort etwas probieren, sobald sich nur ein Zipfelchen Angriffsfläche bietet.

So aber erfolgen kaum Attacken auf Froome. Es gibt unter den Klassement-Fahrern keinen Hasardeur, der mal ein Risiko eingeht, und die anderen scheinen nach folgendem pragmatischen Motto zu verfahren: Wer bei den Bergetappen am häufigsten und am längsten das Hinterrad von Froome und Poels halten kann und dann noch ein brauchbares Zeitfahren hinlegt, der kommt in Paris hinter dem britischen Patron aufs Podium. Das ist ja auch nicht schlecht, und Bauke Mollema ist dafür gerade der richtige Anwärter.

In den Niederlanden sind sie jedenfalls ganz aus dem Häuschen ob der Leistungen ihres Landsmannes. Sie sind zwar eine Radsport-Nation, aber eher keine Klassementfahrer-Nation. In der Geschichte der Tour gab es nur zwei niederländische Gesamtsiege (1968 Jan Janssen und 1980 Joop Zoetemelk), in den vergangenen zwei Dekaden eine einzige Top-Fünf-Platzierung.

Ein wenig erstaunlich ist es ob der bisherigen sportlichen Vita schon, dass Bauke Mollema so weit vorne mitfährt. Er hat seine Karriere noch im Trikot des Skandal-Teams Rabobank begonnen, bei dem es nach Aussagen damals Beteiligter im Zuge eines großen Anti-Doping-Reports bis 2012 zu systematischem Teamdoping gekommen sein soll. Seit zwei Jahren fährt Mollema für das amerikanische Team Trek. Unter den besten Zehn haben ihn viele erwartet, so wie schon drei Mal in den vergangenen Jahren, aber für einen Podiumsplatz schien ihm doch immer ein wenig die Klasse in den Bergen zu fehlen.

Aber er klettert in diesem Jahr erstaunlich gut mit, Statur und Fahrweise sind der von Froome nicht unähnlich. Gleichmäßiges, hohes Tempo ist ihm lieber als die mürbemachenden Rhythmus-Wechsel, die Quintana oder Aru an guten Tagen präsentieren können. Andererseits war Mollema neben Richie Porte der einzige Klassement-Fahrer, der bei Froomes einziger bisheriger Bergauf-Attacke am Mont Ventoux auch mithalten konnte - bis ein in den Zuschauermassen steckengebliebenes Motorrad das Trio stoppte.

Das war der Tag, an dem Froome teilweise bergauf joggen musste und ein Jury-Entscheid die Zeiten der vom Sturz betroffenen Fahrer korrigierte. Und wie sich Mollema da verhielt, verdeutlichte exemplarisch seine Ambitionen. Er moserte nämlich ein wenig ob dieses Urteils - aber nicht, weil der Jogger Froome trotz eineinhalbminütiger Verspätung dieselbe Zeit erhielt wie er selbst. Sondern wegen der paar Sekunden, die Movistar-Kapitän Quintana von der Jury gutgeschrieben bekam. Also Mollemas Rivale im Kampf um die Podiumsränge.

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SZ vom 19.07.2016
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