Süddeutsche Zeitung

Tokio 2020:Vorliebe für strahlende Spiele

Lesezeit: 4 min

Das Internationale Olympische Komitee überrascht mit seiner Entscheidung, die Olympischen Spiele 2020 an Tokio zu vergeben. Die Hauptstadt liegt nur 250 Kilometer von Fukushima entfernt, wo immer noch radioaktives Wasser austritt. Wirtschaftliche Probleme in Madrid und politische in Istanbul hält das IOC offensichtlich für bedenklicher.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Draußen setzen sintflutartige Gewitter das schöne Buenos Aires unter Wasser, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) eine asiatische Metropole beglückt. Drinnen im bunkerartig abgeriegelten Hotel Hilton im schicken Hafenviertel Puerto Madero tritt am Samstag gegen 17 Uhr ein schmaler Mann an ein Pult, die Herren der Ringe machen es spannend. IOC-Präsident Jacques Rogge dankt mit seiner ruhigen, fast einschläfernden Stimme allen "für ihre harte Arbeit" und sagte, dass es "nur einen Sieger geben" könne - dann öffnet der Belgier Rogge feierlich einen Briefumschlag.

Nur Istanbul und Tokio sind noch im Rennen bei der Vergabe der Sommerspiele 2020, Madrid hat sich überraschenderweise schon in der ersten Abstimmungsrunde der 94 Stimmberechtigten am Vormittag verabschiedet. Nach der Stichwahl zieht Rogge jetzt eine Karte mit den fünf Ringen hervor, und darauf steht: Tokyo 2020.

Tokio? Da kann man sich einerseits wundern. Die japanische Hauptstadt hatte Olympia erstens bereits 1964 veranstaltet und bekommt nun als eine der wenigen Städte die Ehre, das neben der Fußball-WM größte Sportfest der Welt ein zweites Mal ausrichten zu dürfen. Zweitens hat Japan bekanntermaßen ein paar Probleme: Nach Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe tritt an dem havarierten Reaktor in Fukushima immer noch radioaktives Wasser aus, in diesen Tagen machen wieder Horrormeldungen die Runde. Fukushima liegt nur 250 Kilometer nordöstlich von Tokio, wo also in sieben Jahren die besten Sportler das Publikum verzücken sollen.

Der Nuklearunfall sei kein Problem, man habe alles im Griff, hatten die Bewerber aus Fernost vorher versichert. Auch Ministerpräsident Shinzo Abe beruhigte in seinem Plädoyer bei der letzten Vorstellung der drei Kandidaten mit entwaffnendem Lächeln. "Tokio ist eine der sichersten Städte der Welt, jetzt und 2020", sagte er. "Einige sind beunruhigt wegen Fukushima, aber die Situation ist unter Kontrolle, das hatte nie Einfluss auf Tokio."

Abe war wie die Kollegen Mariano Rajoy aus Spanien und Recep Tayyip Erdogan aus der Türkei erst kurz davor vom G-20-Gipfel aus Sankt Petersburg in Russland eingeflogen, 13.000 Kilometer entfernt. Statt um Giftgas in Syrien und einen möglichen US-Angriff ging es plötzlich um Strahlung und Sportstädten, Spitzenpolitiker sind da flexibel. Ab sofort dürfte oft von strahlenden Spielen die Rede sein, doch das Thema ließ die Juroren offenbar am Ende kalt.

Tokio gewann in Runde eins und auch den Showdown gegen Istanbul, obwohl sich die Verbindung von Europa und Asien bereits zum fünften Mal bewarb. Obwohl das PR-Video der Türken zumindest Unbeteiligten sympathischer vorkam als das der Japaner. Politische Lage, Konzept und Finanzierung überzeugte die undurchsichtige Loge des IOC weniger als das Paket aus Fernost, außer den Protesten kürzlich gegen Erdogan dürfte auch der syrische Bürgerkrieg in der türkischen Nachbarschaft seine Rolle gespielt haben. So wird also wieder Tokio mit seinen 13 Millionen Einwohner und 36 Millionen Menschen im Großraum Gastgeber dieses Spektakels, angeblich sind drei von vier Tokiotern dafür.

Finanziell steht die Megalopolis deutlich besser da als ihre beiden Gegnerinnen, Japans Konzerne gehören zu den bedeutendsten Konzernen des IOC. Es geht also nicht zuletzt ums Geld, und um Milliarden Fernseher und Kunden in Asien. Außerdem ist die Gefahr von Protesten in Japan deutlich geringer als in Spanien und der Türkei, und der Nahverkehr funktioniert. Außerdem stehen 15 Arenen in Tokio schon, weitere elf sollen entstehen, darunter ein neues Olympiastadion an der Stelle des alten. Die Sportstätten liegen in einem Radius von acht Kilometern des Olympischen Dorfes, das küstennah geplant ist. Der Staat will mindestens 4,38 Milliarden Dollar investieren, die Organisatoren wollen 3,4 Milliarden Dollar ausgeben, erfahrungsgemäß wird es noch teurer.

Istanbul ist enttäuscht, Madrid noch mehr. "Das ist ein politisches Spiel auf hohem Niveau, das wir nicht spielen können", klagt ein spanisches Delegationsmitglied nachher. Dabei hatten vor allem die Spanier allerhand Prominenz aufgeboten. Schon Tage vor Rajoys Ankunft machte Kronprinz Felipe Stimmung, zu den weiteren Werbeträgern gehörten Plácido Domingo, Antonio Banderas, Basketballer Pau Gasol und sogar der argentinische Fußballer Lionel Messi, der beim FC Barcelona spielt und für Turkish Airways Reklame läuft. Madrid warb damit, dass 80 Prozent der Anlagen fertig seien und deshalb alles billiger werde als je zuvor.

Rajoy schwärmte von einem "nationalen Projekt" und der "Hilfe ganz Spaniens", die Finanzkrise erklärte er zur Verblüffung des Publikums für mehr oder weniger beendet. Aber das vertrieb nicht Wirtschaftsprobleme, Arbeitslosigkeit, Korruptionsskandale und Dopingsünden. Obendrein hatte eine siegessichere Titelseite der Zeitung El Mundo unvorteilhafte Folgen im IOC-Klub, Patron Rogge rief deshalb den spanischen IOC-Mann Juan Antonio Samaranch Junior an.

Obendrein fiel während der Präsentation dummerweise der Strom aus. An der fernen Puerta de Alcalá im Zentrum Madrids standen derweil wieder Tausende hoffender Zuschauer vor einer Großleinwandung und zogen still ab, als ihre Heimatstadt im vierten Versuch diesmal nicht einmal Runde eins überstand.

Die geheimnisvolle IOC-Riege entschied sich für eine andere unbefriedigende Lösung, Tokio. Damit brach möglicherweise auch eine Strategie in sich zusammen. Es hieß, im Zuge von Madrid werde der deutsche Favorit Thomas Bach zum IOC-Präsidenten gewählt - als sein wichtigster Unterstützer gilt der mächtige Scheich und IOC-Vertreter Ahmad Al-Fahad Al-Ahmed Al-Sabah, der angeblich auch für die spanische Variante eingetreten war. Tagelang hatten die IOC-Grande und ihre Strippenzieher um Stimmen gerungen. Nie war die Lobby des Hilton so sehr Lobby, und nie war das Hilton ein Raumschiff, zu dem Normalsterbliche kaum mehr Zutritt haben. Magnaten und Monarchen gehören zu diesem olympischen Gral und seinen Freunden, darunter Fürst Albert aus Monaco.

Am Freitag hatte die IOC-Familie ihre 125. Session im ehrenwerten Teatro Colón eingeleitet. Nun wurde Tokio gekürt. Am Sonntag wird beraten, ob Ringen wieder ins Programm darf oder Baseball und Softball oder Squash. Am Dienstag wird entschieden, ob der frühere Fechter Bach der Nachfolger des Belgiers Rogge wird oder Richard Carrión aus Puerto Rico, Denis Oswald aus der Schweiz, Ser Miang aus Singapur, Ching-Kuo Wu aus Taiwan oder der ewige Stabhochsprungweltrekordler Sergej Bubka aus der Ukraine. Ab Montag soll es heiß werden in Buenos Aires.

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