Süddeutsche Zeitung

Tennis:Federer hat sich neu erfunden

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Von Gerald Kleffmann, Miami/München

Als Roger Federer den letzten Punkt für sich entschieden und der Lärm im Crandon Park von Miami seinen größten Ausschlag erreicht hatte, staunte ein Mann wie kein anderer: Federer selbst. 18 Grand-Slam-Titel hat der Schweizer gewonnen, er ist, wie Blätter schätzen, mindestens eine halbe Milliarde schwer, ob in Euro, Dollar oder Franken ist im Grunde egal. Er hat eine liebevolle, bestens organisierte, manchmal herrlich parteiische Ehefrau, die nicht davor zurückschreckt, den Gegner kurz auszupfeifen, wie im Halbfinale dieses Turniers in Florida.

Da hatte Mirka nicht gepasst, dass Nick Kyrgios mitten im Match den Schläger wechselte. Nun stand Federer an der Grundlinie, riss die Arme hoch - und schaute, als lebe er einen Traum. Als könne das nicht wahr sein. War er nicht vorgestern im Badezimmer ausgerutscht? Wurde er nicht gestern operiert? Diese Abgesänge auf seine Karriere - begleiten sie ihn nicht seit fünf Jahren?

Seit Anfang dieses Jahres, nach sechs Monaten Pause, ist Federer zurück auf der Tennistour, seine Bilanz: nahezu makellos. 19:1 Siege, nur der Russe Jewgeni Donskoi besiegte ihn, das war in Dubai und beim kleinsten Turnier, an dem er bislang teilnahm im Jahr 2017. In Melbourne bei den Australian Open siegte er und sicherte sich den 18. Grand-Slam-Erfolg. In Indian Wells triumphierte er vor zwei Wochen, die Veranstaltung in der kalifornischen Wüste zählt zur renommierten Masters-Serie - wie die Veranstaltung in Miami, bei der er am Sonntag im Finale Rafael Nadal mit 6:3, 6:4 den nächsten Stich versetzte.

Brad Gilbert - einer der bekanntesten TV-Kommentatoren, früher die Nummer vier der Welt und höchst erfolgreich in der Rolle als Boris-Becker-Ärgerer - befand zu Federer: "Er spielt derzeit so gut wie noch nie zuvor in seiner Karriere." Das war natürlich richtig, dabei unterschlug er nur eine wichtige Winzigkeit. Er hätte ergänzen müssen: Und Federer spielt ein Tennis wie noch nie zuvor in seiner Karriere.

"Ich bin schließlich keine 24 mehr"

Denn dass der inzwischen 35-Jährige am Ende von Turnieren Pokale hochrecken könnte, sollte man bei einem wie ihm, der nachweislich das größte Gefühl für diesen Sport besitzt, ja schon theoretisch nie ausschließen. Aber Federer, und das ist auch in seiner 21 Seiten langen, englischsprachigen Wikipedia-Vita (exakt so lang wie die von Mick Jagger) etwas Besonderes, hat einen völlig neuen Aspekt in seiner Karriere zu bieten: Er hat sich, ganz praktisch, als Spieler neu erfunden. Er spielt wirklich ein anderes Tennis. Mit nur einem Ziel: den Sport, an dem er noch eine Höllenfreude hat, so lange wie möglich und dabei so erfolgreich wie möglich ausüben zu können.

Schon in Melbourne war zu sehen, mit welch klarem Plan Federer sein Comeback angegangen war; umso verblüffender ist, dass die Konkurrenz noch immer kein Rezept gefunden hat, um ihm beizukommen. Dieser neue Federer sagt ja selbst über sich, wie in Miami: "Ich muss auf meine Gesundheit achten." Und er sagt: "Ich bin schließlich keine 24 mehr."

Dieser Ansatz führt zu seiner genialen Taktik: Er hält die Ballwechsel so kurz wie möglich. Er geht viel ans Netz, klar, er ist der Volleykönig nach wie vor, einmal Händchen, immer Händchen. Aber nach hinten lässt er sich keinen Meter mehr zurückfallen. Weil das ja zu längeren Ballwechseln führen würde. Dieses Positionsspiel führt wiederum dazu, dass er den Ball oft dropkick nimmt, wie man im Fußball sagen würde - also direkt nach der Bodenberührung zurückschlägt. Dank seines Ballgefühles und dem Gespür fürs Timing kann er dieses erhöhte Risiko eingehen.

Einfach ist das nicht. Die Tour wechselt nun von Hartplatz auf Asche, Federer ist auch da bestens im Bilde, was das für ihn bedeutet. "Ich werde nur die French Open spielen. Mein Fokus liegt auf der anschließenden Rasensaison", betonte er in Miami: "Ich gehe lieber einen Schritt zurück, erhole mich gut und komme glücklich, mit viel Energie und Angriffshunger zurück." Wie ertragreich sein Ansatz ist, fasste Fußballprofi Toni Kroos, ein Tennis-Aficionado, in einem (englischen) Tweet zusammen: "Es ist Anfang April, aber wir haben schon den Sportler des Jahres gefunden."

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Quelle:
SZ vom 04.04.2017
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