Süddeutsche Zeitung

Struff bei den French Open:Ein Hüne von einem Struwwelpeter

Lesezeit: 4 min

Von Gerald Kleffmann, Paris

Henri ist erst süße acht Wochen alt, und es ist davon auszugehen, dass er nicht alles mitkriegt, was ihm sein Papa in diesen Tagen per Facetime-Schalte übermittelt. Aber wenn er größer ist, wird ihm Jan-Lennard Struff sicher schildern, wie das damals war, im Frühsommer in Frankreich. "Das ist schon ein großer Glücksmoment", sagt er in Paris und meint zunächst die Tatsache, dass er Vater wurde. Einen Dank an die Mutter des Babys schickt er nach: "Ich habe das Glück, dass meine Freundin zu Hause sehr viel abfängt und mir den Rücken stärkt." So habe er den Kopf frei, "ich will ja auch hier sein", was verständlich ist.

Struff, 29, aus der Bierstadt Warstein, ein Hüne von einem Struwwelpeter, ist in der besten Form seiner zehnjährigen Profikarriere. "Einfach alles" bedeute es ihm, es erstmals bei einem Grand-Slam-Turnier ins Achtelfinale geschafft zu haben, also in die zweite Woche. Womit feststeht: Die Deutschen müssen bei den French Open 2019 ständig gegen Vertreter der Big Four antreten: zuerst Yannick Hanfmann und Yannick Maden gegen Rafael Nadal, dann Oscar Otte gegen Roger Federer - nun trifft Struff am Montag auf die Nummer eins der Welt, Novak Djokovic. Vielleicht hat er von allen die beste Chance in dem ungleichen Duell.

Das Spiel dazu hat er. "Früher, wenn man auf ein Grand Slam kam und eine Runde gewinnen konnte, war man happy", erklärt er: "Irgendwann sagt man sich: Man möchte mehr!" Dieser neue Ehrgeiz gab Struff einen Schub. In der Weltrangliste ist er erstmals bester Deutscher hinter Alexander Zverev (5.). Er hat den ewigen Philipp Kohlschreiber abgelöst. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, das sei mir nicht aufgefallen", sagt er in seiner typischen Art. Um ihn euphorisch zu erleben, muss man ihm beim Tennis zusehen. Da ist er nicht wiederzuerkennen.

Struff hat geleistet, als wahrgenommen wird

Struff treibt sich schon seit Jahren in einem respektablen Weltranglistenbereich herum, 2014 drang er als 46. in die Top 50 ein, 2017 war er 44., ansonsten pendelte er umher. Nie aber stieß er in die Top 40 vor - bis jetzt, er wird sich mindestens auf Rang 38 verbessern. Und dass er nun gegen den Serben Djokovic spielt, sieht er nicht als Ende des Turniers: Genau für solche Matches trainiere er ja. Sicher spielt er in einer der großen Arenen von Roland Garros. Ähnliche Erfahrungen hat er längst hinter sich. 2018 spielte er zweimal gegen Federer, bei den Australian Open in Runde zwei, dann in Wimbledon. Dabei hatte er es fertig gebracht, zwischenzeitlich jeweils einen 0:2-Satzrückstand aufzuholen.

Überhaupt hat Struff mehr geleistet, als wahrgenommen wird. Meist standen Zverev und Kohlschreiber im deutschen Fokus, aber es war Struff, der 2016 und 2017 das DTB-Team in der Weltgruppe des Davis Cups hielt. Und beim Patentamt sollte er sich mal die Marke "Tim und Struffi" sichern; mit dem Frankfurter Tim Pütz hat er alle vier Doppel für Deutschland gewonnen; Doppel spielt er auch regelmäßig auf der Tour. Dass ihm nun der nächste Schritt im Einzel gelang, liegt daran, dass er selbstbewusster, zäher geworden ist.

Vor allem lange Gespräche mit seinem Trainer Carsten Arriens, einst auch Profi und sogar mal Davis-Cup-Teamchef, hätten ihm "Impulse" gegeben, besonders fürs Mentale. In Rom Mitte Mai besiegte er erst den früheren ATP-Weltmeister Grigor Dimitrov aus Bulgarien. Dann trat er an nur einem Tag, da sich wegen Regens Matches verschoben hatten, gegen Ex-US-Open-Sieger Marin Cilic und Top-Ten-Größe Kei Nishikori an. Den Kroaten besiegte er, den Japaner fast auch noch. "Aus solchen Spielen lernt man, das hat mir gezeigt: Hey, ich kann diese Jungs schlagen", erklärt er.

Wie akribisch Struff mit Arriens und Fitnesscoach Uwe Liedtke arbeiten muss, lässt sich an kleinen Weisheiten erkennen, die er in Paris offenlegte. Zu allem hatte er einen tieferen Gedanken. Es gehe darum, Stärken zu stärken. Beim Aufschlag sei er unter den ersten Zehn in der Rubrik "gewonnene Punkte beim ersten Aufschlag", eine Folge davon, dass er sich noch mehr auf den Service fokussiere. Er "pushe" sich auch mehr. "Ich bin ein ruhiger Typ, wir haben versucht, dass ich mehr aus mir rausgehe", sagt er. Es klappt: "Mittlerweile kommt es von innen."

In den ersten zwei Runden hatte Struff den Kanadier Denis Shapovalov in drei Sätzen abgefieselt und den "zähen Hund" Radu Albot niedergerungen, wie er den Moldauer respektvoll nannte. Gegen den Kroaten Borna Coric, 15. der Welt, saß er, nach vier Stunden, beim Seitenwechsel auf dem Stuhl und machte eine Faust. 4:6, 6:1, 4:6, 7:6 (1), 11:9 siegte er und sank auf die Knie. "Struffi, Struffi", riefen Fans.

Bei diesem Turnier ist er nicht der einzige deutsche Marathonmann. Alexander Zverev hat fünf seiner letzten sieben Matches über fünf Sätze bestritten. In Paris hat er gegen den Australier John Millman und den Serben Dusan Lajovic über die volle Distanz gehen müssen. Es gibt Krisendebatten über den 22-Jährigen. Doch er sagt, er fühle sich wohl in der Rolle des Außenseiters. Dass über andere - Nadal, Djokovic oder den Griechen Stefanos Tsitsipas (der in fünf Sätzen gegen den Schweizer Stan Wawrinka verlor) - viel mehr geredet werde, "nimmt Aufmerksamkeit von mir". Zverev trifft nun auf den Italiener Fabio Fognini, derzeit so gut wie noch nie.

Struff lässt zunehmend das Borstigere in sich zu. Auf dem Platz greift er wieder und wieder an, mit seinem penetranten Serve & Volley kann er Gegner nerven. Privat kriegt seine Freundin seine sauerländische Sturheit zu spüren. Sie mag seinen Bart nicht, aber "wenn ich mich rasiere", findet er, "sehe ich aus wie Zwölf, das ist das Problem". Humor hat er auch. Bei einem wie ihm muss man nur tiefer graben.

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Quelle:
SZ vom 03.06.2019
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