Süddeutsche Zeitung

Marathon-Läuferin Steinruck:"Ein Limit setze ich mir gar nicht"

Lesezeit: 3 min

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Den Urlaub hat sich Katharina Steinruck verdient. Am Dienstag ist die Läuferin mit ihrem Ehemann Robert nach Lanzarote geflogen, Beine hochlegen, eine Woche abschalten, Handy ausmachen, wie Steinruck sagt: "Wenn ich etwas tue, dann allenfalls ein bisschen am Strand wandern." Den ausgiebigen Teil ihres Sportprogramms hat sie bereits am Wochenende hinter sich gebracht. Da setzte Steinruck in ihrer Wahlheimat Frankfurt ein aus deutscher Sicht selten gewordenes Ausrufezeichen bei einem großen Stadtmarathon.

Steinruck, vielen noch unter ihrem Mädchennamen Heinig bekannt, unterbot in 2:27:26 Stunden nicht nur locker ihre Bestzeit um mehr als eine Minute. Sie erfüllte auch die vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) geforderte Norm (2:29:30) für den olympischen Marathon im kommenden Jahr in Tokio. "Mit meiner Zeit habe ich ein Brett vorgelegt. Ich hoffe natürlich nicht, dass noch zwei Mädels schneller laufen werden", sagt Steinruck. Allzu große Sorgen muss sie sich nicht machen. Besser war zuletzt nur die gebürtige Äthiopierin Melat Kejeta vom Laufteam Kassel, die in Berlin in 2:23:57 Stunden in der historischen deutschen Bestenliste auf Platz drei stürmte, hinter Irina Mikitenko (2:19:19) und Uta Pippig (2:21:45). Steinruck gelang in Frankfurt, beim zweitgrößten deutschen Marathon nach Berlin, immerhin die zehntbeste Zeit, die einer Deutschen bislang über 42,195 Kilometer gelungen ist. Frenetischer Jubel schwappte von der Tribüne, als die 30-Jährige von der LG Eintracht Frankfurt auf dem roten Teppich in der Festhalle einlief.

Steinrucks Vorleistungen über zehn Kilometer und im Halbmarathon hatten auf die kleine Herbstüberraschung hingedeutet - "aber Theorie und Praxis", sagt sie, "sind ein großer Unterschied". Ihr war in der Vergangenheit oft vorgehalten worden, dass sie den eigenen Fähigkeiten zu wenig vertraue, obwohl doch ihre Verletzungsgeschichte zur Vorsicht riet: Die erste Operation an der Ferse bedrohte 2015 ihre Karriere, im vergangenen Jahr folgte ein weiterer Eingriff. Kaum jemand hat sich über alternative Trainingsmethoden vom Skiroller bis zum Aquajogging so ein breites Fundament zugelegt wie die gebürtige Leipzigerin. Und kaum jemand hat auch sonst einen so breiten Zugang zu den Tücken und Chancen des zehrenden Ausdauergewerbes.

Steinrucks Mutter Katrin Dörre-Heinig war eine prägende Läuferin der Achtziger- und Neunzigerjahre, sie gewann Olympia-Bronze 1988 und siegte bei den Stadtmarathons von London, Osaka sowie Frankfurt. Ihre Bestzeit lief Dörre-Heinig vor 20 Jahren in Hamburg (2:24:35). Nun, nach Frankfurt erzählte Steinruck, wie sie ihre Mutter darauf hinwies, "es sind nur noch drei Minuten!" - worauf die Mutter parierte, sie könne die Tochter auch so coachen, dass sie ihr nicht zu nahe komme. Denn Dörre-Heinig ist Steinrucks Trainerin, neben der Rolle als DLV-Coach. Und die 58-Jährige findet, ihre Tochter habe "alles richtiggemacht, jetzt weiß sie, was sie laufen kann".

Der Laufstil der beiden ist durchaus ähnlich, ansonsten hält Steinruck so viel von den Vergleichen wie die meisten Kinder, die prominenten Eltern im Sport nacheifern: gar nichts. "Wir leben in einer völlig anderen Zeit. Damals konnte man mit ihren Zeiten Medaillen holen, das ist heute leider nicht mehr machbar", sagt Steinruck. Der Familienname, er lag auch immer ein bisschen schwer auf den Schultern des 1,66 Meter großen Leichtgewichts.

Zumal ihr Vater Wolfgang Heinig die Szene polarisiert, obwohl er unter anderem noch eine von Steinrucks besten Freundinnen erfolgreich betreut: die gerade mit WM-Bronze dekorierte 3000-Meter-Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause. "Er ist halt ehrlich und direkt. Das kommt nicht immer gut an", glaubt Steinruck. Für ihre läuferischen Belange wechselten innerhalb der Familie vor sechs Jahren trotzdem die Zuständigkeiten: "Mama hat das Sagen, mein Papa hält sich raus." Steinruck ist froh, dass sie generell "aus einem guten Topf an Wissen" schöpfen kann, sie hat aber auch einen gewissen Abnabelungsprozess hinter sich. Auch, indem sie nach der Hochzeit den Namen ihres Mannes annahm.

Und doch bleibt der Leistungssport für die Familie ein guter Kitt, wie Steinrucks innige Umarmung mit den Eltern in Frankfurt zeigte: "Es ist uns allen unheimlich viel Last abgefallen", sagt sie. Und nun? "Man leckt natürlich Blut. Ein Limit setze ich mir gar nicht. Ich traue mir ein 2:26er-Zeit zu." Vielleicht schon bei einem Frühjahrsmarathon 2020. Der nächste emotionale Gipfel sollen aber die Olympischen Spiele sein, es wären ihre ersten.

Steinruck mag keine Hitzerennen, das habe sie wohl von der Mutter geerbt, sagt sie. Sie begrüßt es daher, dass das Internationale Olympische Komitee die Wettbewerbe der Marathonläufer und Geher von Tokio nach Sapporo verlegen will, nachdem zuletzt Bilder von kollabierenden Marathonläuferinnen bei der Leichtathletik-WM in Doha um die Welt gegangen waren. "Das ist eine gute Entscheidung", findet Steinruck, "denn die Spiele sind für die Athleten." Sie hat vor fünf Jahren einen Staffellauf in Chiba bestritten, damals begriff sie: "Japan ist ein völlig euphorisches Läuferland. Der Stimmung wird es keinen Abbruch tun, wo wir laufen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4662575
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 31.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.