Süddeutsche Zeitung

Semenya-Urteil des Cas:Der Sport braucht eine einheitliche, harte Linie

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Der Sportgerichtshof kommt im Fall Semenya zu einem pragmatischen, nachvollziehbaren und ausgewogenen Urteil. Trotzdem wird man in dieser heiklen Sache nie allen gerecht.

Kommentar von Joachim Mölter

Seit einem Jahrzehnt beschäftigt der Fall Caster Semenya nun die internationale Leichtathletik, ja die gesamte Sportwelt. Man wird ihn auch nach dem jüngsten Urteil des internationalen Sportgerichtshofs Cas nicht zu den Akten legen können. Und das nicht nur, weil die Läuferin aus Südafrika noch Berufung einlegen kann vor dem Schweizer Bundesgericht.

Zunächst einmal haben die drei mit dem Fall betrauten Cas-Richter ein pragmatisches, nachvollziehbares und auch ausgewogenes Urteil gesprochen: Der Leichtathletik-Weltverband IAAF darf auf Laufstrecken zwischen 400 Metern und einer Meile (1609 Meter) eine Testosteron-Grenze festlegen für Frauen, die von der herkömmlichen Geschlechternorm abweichen und dadurch offenbar einen Leistungsvorteil haben. Dagegen war die von Natur aus mit einem eher Männern zuzurechnenden Hormonhaushalt ausgestattete Semenya vorgegangen, sie fühlte sich durch die Regulierung benachteiligt; bereits nach ihrem ersten WM-Sieg 2009 als 18 Jahre alter Teenager hatte sie ja für einige Jahre auf Geheiß des Weltverbands ihren natürlichen Testosteronwert auf ein eher weibliches Niveau tieferlegen müssen.

Nun hält zwar auch das Sportgericht die IAAF-Regeln für diskriminierend, andererseits aber auch für "notwendig, angemessen und verhältnismäßig", um die Rechtschaffenheit von Frauen-Wettbewerben generell zu gewährleisten. Darin spiegelt sich ein Grundproblem der Rechtssprechung: Man wird nie allen gerecht werden, es wird immer Einzelfälle geben, die unbefriedigend oder sogar tragisch sein können.

Was die Leichtathletik angeht, ist nun zumindest Rechtssicherheit hergestellt: Wer bei den Frauen mitrennen will, muss einen bestimmten Testosteronwert einhalten, selbst wenn der etwas willkürlich festgelegt sein mag.

Dass der Sport unterscheiden muss zwischen Frauen und Männern, ist unstrittig gewesen

Dass man im Sport zwischen Frauen und Männern klarer unterscheiden muss als im gewöhnlichen Leben, ist auch in diesem Prozess unstrittig gewesen. Die Alternative wäre, eine offene Startklasse anzubieten, in der dann alle mitmachen - Männer wie Frauen, Intersexuelle wie Transgender, Greise wie Kinder. Und das will auch keiner, da würden gerade die Frauen dann komplett abgehängt, selbst die stets vorneweg laufenden wie Caster Semenya.

Erledigt ist deren Fall aber auch deswegen noch nicht, weil das Cas-Gremium in seinem Urteil durchaus Bedenken äußerte, was die künftige praktische Anwendung der IAAF-Regularien angeht. Der Weltverband ist ausdrücklich angehalten, "ständig auf die Fairness der Umsetzung der Verordnungen" zu achten und diese gegebenenfalls anzupassen.

Die ganze Angelegenheit bleibt ja widersprüchlich. Semenya ist ein genetischer Ausnahmefall - das sind aber die meisten Sportler, die sich mit besonders stabilen Muskelsträngen oder besonders großen Lungen auf höchstem Niveau bewegen. Im Fall von Athletinnen wie Semenya fordert der Sport nun, dass sie mittels Hormonpräparaten ihre naturgegebene Leistungsfähigkeit drosseln; andererseits erlaubt er es zum Beispiel asthmageplagten Ausdauersportlern, ihr natürlich eingeschränktes Leistungsniveau mittels Medikamenten zu erhöhen. Wenn der Sport schon auf Chancengleichheit pocht, braucht er auch eine einheitliche, harte Linie. Er dürfte im Grunde keine Ausnahmeregelungen mehr zulassen, und Asthmatiker müssten es dann halt akzeptieren, dass auch ihnen Grenzen gesetzt sind. Von der Natur oder von den Institutionen des Sports.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2019
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