Süddeutsche Zeitung

Schwimmer Michael Phelps:Trocken alle nass machen

Lesezeit: 3 min

Michael Phelps überwindet sein Alkoholproblem und ist nun so durchtrainiert wie nie. Bei Olympia könnte ihm eine beeindruckende Stehaufmännchen-Geschichte gelingen.

Von Saskia Aleythe, München

Es genügt ein einziger Blick. Michael Phelps hätte sich alle Interviews sparen können, alle Offenbarungen der vergangenen Tage, wie es ihm derzeit ergeht, welche großen Ambitionen er für die kommenden Monate hat. Als er bei der US-Pro-Swim-Serie in Minneapolis erstmals wieder zum Startblock tritt und seinen nur von einer Schwimmhose verpackten Körper präsentiert, ist klar: Dieser Mann will es wissen.

Phelps ist durchtrainiert wie nie. Besser in Form als zu den Zeiten, als er 22 Medaillen erschwamm und Mr. Olympia wurde, der erfolgreichste Olympionike der Geschichte. Bei den Spielen in Rio will Phelps in neun Monaten seine Konkurrenten noch einmal bezwingen. Glückt ihm das, liefert er Amerika die größte Stehaufmännchen-Geschichte dieses Sports. Vor einem Jahr: Absturz, Alkohol, Bewährungsstrafe, Sperre. Nun: Start in die Olympia-Saison mit einem Sieg über 200 Meter Lagen. Die Zeit ist ausbaufähig, es ist ein Formcheck; auf der Spitze soll Phelps im August 2016 ankommen. Doch seine Form ist schon jetzt beeindruckend. Auch die mentale.

Dem Magazin Sports Illustrated hat Phelps jüngst Einblicke in ein Leben gewährt, das zwischendurch aus den Fugen geraten war. Phelps erzählte von einem Moment, in dem er nicht mehr leben wollte. Das war im September 2014. Auf dem Weg zu einem Casino wurde er in seiner Heimatstadt Baltimore von Polizisten angehalten, er fuhr betrunken Auto. Michael Phelps tauchte in allen Nachrichten auf. Er war nun ein gefallener Held.

Zehn Jahre zuvor war er schon mal wegen eines ähnlichen Delikts verurteilt worden, viele zweifelten an der Ehrlichkeit seiner Entschuldigung. Vier Tage lang verbarrikadierte Phelps sich. "Ich war an einem wirklich dunklen Ort", sagt er nun darüber. Freunde und Familie rieten ihm zu einer Suchttherapie. Ein Gericht in Maryland verurteilte ihn zu einer einjährigen Bewährungsstrafe. "Wenn Sie die Botschaft jetzt nicht verstehen oder Sie vergessen sollten", sagte damals der Richter, "dann ist die einzige Option, die dem Gericht noch bleibt, das Gefängnis."

Der US-Schwimmverband sperrte Phelps für sechs Monate und signalisierte früh, dass die WM in Kasan/Russland im August 2015 für ihn unerreichbar sei. Ein herber Rückschlag. Nach den Spielen 2012 in London war Phelps zwar zurückgetreten. Als er 2014 alkoholisiert am Steuer erwischt wurde, arbeitete er aber längst an einem Comeback.

Phelps wollte wieder schwimmen. Aber er war nicht bereit, dafür seinen Lebensstil zu ändern. Warum auch? So hatte er es ja schließlich zum Übersportler des Jahrzehnts gebracht. Phelps wurde mit dem Schwimmen erwachsen. Er war gerade 15, als er seinen ersten Weltrekord aufstellte, so jung war kein Schwimm-Weltrekordler zuvor. Ein extrovertierter Typ war Phelps nie, aber er entwickelte Leidenschaften. Fürs Pokern. Für Pferdewetten. Und oft waren da Leute, die gerne mit ihm einen Drink nahmen.

Als Phelps seinen alten Trainer Bob Bowman 2013 überzeugen wollte, ihn wieder zu betreuen, hatte er mehr als zehn Kilogramm Übergewicht. Bowman war skeptisch, er sorgte sich. "Ich dachte ehrlich: So wie er sich verhält, wird er sich töten", sagt Bowman, "nicht dass er sich das Leben nehmen wird, aber so etwas wie diese Alkoholfahrt oder noch schlimmer."

Erst die Nacht im September, in der die Polizei Phelps anhielt, markierte den Wendepunkt. Der Schwimmer begab sich in eine Suchttherapie. Er steckte sich neue Ziele. Andere Ziele. Er wandelte sich. "Ich wusste, wer ich als Sportler war, aber nicht, wer ich als Mensch war", sagt Phelps. Er verlobte sich mit seiner Freundin, nach den Spielen in Rio wollen die beiden heiraten und Kinder bekommen.

Nach der Therapie trainierte Phelps mit einer Motivation, die ihm früher oft gefehlt hatte. Das ist auch eine Botschaft dieser Tage: Trotz all der Rekorde und Medaillen - sein Potenzial schöpfte er oft gar nicht aus. Trainingseinheiten auszulassen, das kommt nun nicht mehr in Frage. "Mein Körperfettanteil ist deutlich gesunken", berichtet Phelps, "ich bin drahtiger als je zuvor." Er verspricht: "Ihr werdet einen anderen Mann sehen als in allen anderen Olympischen Spielen zuvor." Für die Konkurrenten muss das wie eine Drohung klingen.

Er ist 30. Und die jungen Gegner zeigen keine Zurückhaltung

Trainer Bowman glaubt, dass Phelps in Rio Zeiten erreichen kann, die er zuletzt mit dem Hightech-Anzug 2009 aufstellte. Spätestens dann werden die Zweifel auftauchen, ob wirklich alles nur mit rechten Dingen zugeht. Offiziell erklären Bowman und Phelps den Wandel mit einem geänderten Training. Phelps, 30, braucht inzwischen mehr Zeit zum Regenerieren. Statt 85 Kilometer pro Woche schwimmt er 60. Doch durch seine höhere Muskelkraft sind die Züge effektiver.

Wie effektiv, das zeigte sich bereits im August: Als die Weltelite in Kasan um WM-Medaillen kämpfte, trat er bei den US-Meisterschaften an - und schwamm über 100 und 200 Meter Schmetterling sowie über 200 Meter Lagen Weltjahresbestzeiten. Die Spiele in Rio wären seine fünften. Sollte er tatsächlich Gold in einem Einzelrennen holen, hätte er wieder einen Rekord aufgestellt: Phelps wäre der älteste Schwimm-Olympiasieger der Geschichte. Und der erste, dem ein Titelgewinn zwölf Jahre nach dem ersten Sieg gelingt.

Ein Selbstläufer aber wird die Nummer nicht. Beim nationalen Meeting in Minneapolis musste Phelps sich in zwei von drei Rennen geschlagen geben. Über 200 Meter Schmetterling lag er bis 25 Meter vor dem Ziel in Führung, dann zog sein Trainingspartner Chase Kalisz vorbei. "Er ist 21 und weiß nicht, wie sich Schmerzen in einem Rennen anfühlen", scherzte Phelps, bevor er anfügte: "Aber je härter und frustrierender es jetzt ist, umso besser wird es am Ende." In Rio.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2015
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