Süddeutsche Zeitung

Schwimm-WM 2009:Der Irrsinn von Rom

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Mit Hightech-Anzügen zerschmettern die Schwimmer bei der WM selbst historische Weltrekorde. Die Sportart wird damit zur Farce.

Josef Kelnberger

Nichts ist für die Ewigkeit gemacht. Aber gerade in Rom, der Ewigen Stadt, spürt man den Schmerz, wenn Monumente fallen. Und ein paar Monumente des Schwimmsports sind bereits geschleift worden bei den Weltmeisterschaften. Bob Bowman, der Trainer von Michael Phelps, hatte geglaubt, er werde den Tag nicht erleben, an dem der Weltrekord von Ian Thorpe über 400 Meter Freistil aus dem Jahr 2002 gebrochen wird. Genauso dachte man, nie werde eine Frau auf dieser Strecke unter vier Minuten bleiben. In dieselbe Kategorie fiel der Weltrekord der so verdächtig starken Holländerin Inge de Bruijn über 100 Meter Schmetterling aus dem Jahr 2000: unmöglich. Eigentlich.

Die Schwedin Sjostrom zerschmetterte wie aus dem Nichts die Marke von de Bruijn, die Italienerin Federica Pellegrini knackte die Vier-Minuten-Barriere wie im Flug, und der Deutsche Biedermann warf die Schwimm-Legende Thorpe aus den Rekordlisten. Alles an einem Tag, sechs Weltrekorde insgesamt. So viel Historisches wird zur Farce. Die Anzugproduzenten reden dem Fortschritt das Wort und opponieren nun gegen den Beschluss des Weltverbandes, 2010 zu Badeanzug und Badehose zurückzukehren und Plastikbeschichtungen zu verbieten. Sie fordern eine moderate Reform. Aber die Spirale des Fortschritts ist derart überdreht worden, dass die Radikallösung einen ganz eigenen Charme hat. Zurück zu den Wurzeln.

Es gibt genügend Fortschritt in dieser Sportart, die sich Jahr für Jahr mehr professionalisiert. Moderne Becken und Startblöcke ermöglichen bessere Zeiten, ebenso neue Schwimmtechniken, die erlaubt wurden. Aber die neuen Anzüge verändern Wasserlage und Wasserwiderstand, sie verändern Bewegungsabläufe und greifen damit ins Allerheiligste dieses Sports ein. Schwimmen ist nie ein Materialsport gewesen wie Skispringen, und ein Volkssport kann es sich nicht leisten, dass Erfolg oder Misserfolg von sündteuren Hightech-Anzügen abhängt.

Die Deutschen müssen sich nun nicht schämen für ihre ersten Erfolge in Rom. Sie zahlten im vergangenen Jahr einen hohen Preis für das Wettrüsten. Die Athleten protestierten gegen die vorgeschriebene Wahl des Anzugs, der Verband hat deshalb seinen Ausrüster und damit sehr viel Geld verloren, das nun bei der Förderung des Schwimmsports fehlt. Und Paul Biedermann muss damit leben, dass sein Weltmeistertitel unter die Rubrik des Irrsinns von Rom fällt. Ohne Weltrekord würde seine goldene Medaille noch heller strahlen.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2009
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