Süddeutsche Zeitung

FC Schalke 04:Ein Artefakt des Unheils

Lesezeit: 3 min

Shkodran Mustafi erzielt beim Schalker 0:5 in Wolfsburg ein Eigentor, das sinnbildlich für die Saison des Tabellenletzten steht. Fans fordern in einer Petition die Verpflichtung von Ralf Rangnick.

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Wenn sich die Saison des FC Schalke 04 mit einer einzigen Szene versinnbildlichen ließe, als Artefakt allen Unheils, Pechs und Unvermögens - dann hat Shkodran Mustafi der Nachwelt am Samstag genau diese Szene hinterlassen. Nun war es nicht so, dass der Verteidiger bei der 0:5-Niederlage beim VfL Wolfsburg hinterher gar nicht mehr unrühmlich in Erscheinung getreten wäre. Aber wenn sich kommende Generationen mal erkundigen, was genau los war damals, auf dieser Schalker Abschiedstournee aus der ersten Liga - der königsblaue Leidensweg wäre mit dem Videomaterial aus der 31. Minute hinreichend dokumentiert.

Was war geschehen? Mustafi, der wie der Rest der Schalker Mannschaft bis dahin einen soliden Auftritt dargeboten hatte, bekam von seinem Verteidigerkollegen Malick Thiaw den Ball im eigenen Strafraum zugespitzelt, hoch und in einem durchaus ungünstigen Winkel. Eine Rückgabe erschien dem unbedrängten Mustafi daher als naheliegende Idee, eine Sicherheitsverwahrung des Balles in den Händen des Schalker Torwarts Frederik Rönnöw.

Doch von Mustafis Kopf plumpste der Ball auf den Boden, ehe er schließlich vorbei rollte an Rönnow, der bereits einen Schritt in die andere Torecke gemacht hatte. Die Heimelf führte durch Mustafis Eigentor mit 1:0, aus dem Nichts, und in diesen Sekunden entschwand auch die Sonne vom Wolfsburger Himmel. Ein leichter Nieselregen setzte ein, flankiert von einer gewaltigen Sturmböe, als habe der Wettergott höchstselbst den weiteren Verlauf des Schalker Nachmittags ankündigen wollen.

Ein einfacher Rückschlag genügt mal wieder als Initialzündung für ein Debakel

Letztendlich war es zwar nicht so, dass sich eine Ansammlung teilnahmsloser Fußballer einfach ihrem Schicksal ergeben hätte. Aber einmal mehr in dieser Saison genügte ein einfacher Rückschlag als Initialzündung für ein fußballerisches Debakel. In Wolfsburg setzte es für den abgeschlagenen Tabellenletzten die siebte Niederlage mit mindestens vier Gegentoren, eigentlich alle folgten dem gleichen Schema. "Man merkt den Jungs an, dass sie zu kauen haben", sagte der Schalker Trainer Dimitrios Grammozis hinterher, "dass die vergangenen Monate noch in ihnen drin stecken." In diesen Monaten haben sie 66 Gegentore kassiert und eine Tordifferenz von -50 erspielt. Minus 50.

Dass auch in dieser Mannschaft mehr steckt, zumindest in der Theorie, bewies sie in der ersten halben Stunde der Partie. Von einem "harten Stück Arbeit" sprach Wolfsburgs Coach Oliver Glasner, weil der Gegner bis zu Mustafis Missgeschick eine aggressive und raumverengende Spielweise an den Tag gelegt habe. Nur: Danach, fügte Glasner an, seien bei Schalke "die Köpfe nach unten und bei uns weiter nach oben" gegangen.

Die defensive Solidität der Schalker war gebrochen, und der Tabellendritte und Champions-League-Aspirant Wolfsburg fiel in der zweiten Hälfte leidenschaftlich über seine Beute her. Erst spielte Ridle Baku den Wolfsburger Mittelstürmer Wout Weghorst frei, der mit einem satten Schuss das 2:0 und damit seinen 16. Saisontreffer erzielte (51.). Er kommt damit auf genauso viele Tore wie die Schalker zusammen.

Auch der neue Trainer Grammozis konnte in seinem zweiten Spiel keine Wende herbeiführen

Und dann war es wieder Mustafi, der für die Heimelf beim Toreschießen maßgebliche Unterstützung leistete. Der Verteidiger vertändelte im Aufbauspiel den Ball, und weil ihm dieser Fehler am eigenen Strafraum unterlief, war der Weg zum nächsten Treffer nicht mehr weit. Weghorst passte quer auf Baku, der freistehend zum 3:0 einschoss (58.). Daraufhin war "die Messe gelesen", sagte Grammozis, der Mustafi angesichts des fortschreitenden Verfalls seiner Mannschaft jedoch nicht zum alleinigen Sündenbock deklarieren wollte. Den Rest erledigten die Wolfsburger Angreifer Josip Brekalo (64.) und Maximilian Phillipp (79.), jeweils nach flotten Kombinationen und gegen eine immer langsamere Defensivreihe der Gästeelf.

So sieht sie aus, die Schalker Gegenwart. Auch der neue Trainer Grammozis konnte in seinem zweiten Spiel keine Wende herbeiführen, doch am Horizont hatte sich am Freitag dahingehend ja ein kleiner Hoffnungsschimmer abgezeichnet: Die Berichte über die geplante Rückkehr von Ralf Rangnick, als neuer Sportvorstand und Architekt der Zukunft. Aber weil der FC Schalke nun mal der FC Schalke ist, war schon tags darauf nicht mehr von einer potenziell frohen Kunde für die königsblaue Leidensgemeinschaft zu lesen, sondern von einer "Schlammschlacht" ( Bild) sowie von "Verrat und Verschwörung" ( WAZ). Heißt: Im Schalker Aufsichtsrat soll, nun ja, leidenschaftlich über eine mögliche Zukunft mit Rangnick debattiert worden sein.

Parallel zu diesem Treiben hat ein Schalker Anhänger eine Online-Petition gestartet, in der eine Verpflichtung Rangnicks eingefordert wird. Bis Samstagabend hatten 20 000 Menschen unterschrieben, etwa die Hälfte von ihnen hat auch die Kommentarfunktion genutzt. Der ausweislich erhobener Daumen beliebteste Beitrag kommt von Hilmar aus Meschede, der schreibt: "Nur Herr Rangnick kann den Sumpf auflösen."

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