Süddeutsche Zeitung

Russland:Krieg mit Hilfe des Fußballs

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Der Kreml will die vier annektierten Gebiete in den nationalen Fußballbetrieb integrieren. Es wird Zeit, dass die internationalen Verbände Russland sanktionieren - sonst stehen sie bald Seit an Seit mit Staaten wie Nordkorea oder Belarus.

Kommentar von Johannes Aumüller

Die Fußballwelt ist zwar manchmal an der Frage verzweifelt, ob der treffende Vorname nun Schachtjor oder Schachtar lautet, aber im Kern hat sie sich in den vergangenen Jahren an das Team aus Donezk gewöhnt. 13 Mal ukrainischer Meister, Stammgast im Europapokal. Lange war der Klub ein Symbol für den Russland-nahen Osten der Ukraine und wurde daher unter dem russischen Begriff "Schachtjor" berühmt.

Wegen der Kriegszustände in seiner Heimatregion verlegte er seine Basis jedoch schon vor Jahren nach Kiew und firmiert seitdem unter dem ukrainischen "Schachtar". Aber bald existieren womöglich zwei Donezker Mannschaften. Schachtar - und Schachtjor.

Denn der Kreml in Moskau schickt sich mal wieder an, den Fußball für seine Zwecke einzusetzen. Die ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson, die sich Russland vor etwas mehr als einem Monat einverleibt hat, sollen zur nächsten Saison in den heimischen - also russischen - Ligenbetrieb integriert werden. Das ergibt sich aus einem Gespräch zwischen Staatspräsident Wladimir Putin und Vize-Premier Dmitrij Tschernyschenko zu Wochenbeginn. Und das ist ein Szenario, das die internationalen Fußballverbände auf den Plan rufen müsste.

Trotz des Angriffskrieges ist Russland ja immer noch ganz regulär Mitglied im Weltverband Fifa - wie auch in quasi allen anderen internationalen Sportverbänden. Die Sanktionen, die der Weltsport nach dem Überfall verhängte, betreffen allenfalls Athleten oder Mannschaften, nicht aber das Gros der Funktionäre und der nationalen Föderationen. Das oft vorgetragene Argument: Russlands Sportverbände hätten doch mit dem Krieg nichts zu tun.

Belarus, Nordkorea, Syrien und Nicaragua - in diese formidable Gesellschaft begibt sich der internationale Fußball nun

Das ist ohnehin ein ulkiger Hinweis, weil über fast zwei Jahrzehnte Putins Regime so eindrücklich wie kaum ein anderes Sport und Politik aneinandergekoppelt hat. Aber der neue Fußballplan zeigt nochmal besonders klar, wie sehr der Sport Teil des Krieges ist. Russland schafft sich eine neue Realität. Und der Fußball soll mithelfen, diese neue Realität aufzuführen, wenn in Moskau oder Sankt Petersburg bald Schachtjor Donezk genannte Klubs oder andere Mannschaften aus den annektierten Gebieten antreten.

Kürzlich stimmten in der Vollversammlung der Vereinten Nationen nur vier Staaten dagegen, die Annektierung der vier Regionen zu verurteilen: Belarus, Nordkorea, Syrien und Nicaragua. In diese formidable Gesellschaft begibt sich der internationale Fußball nun, falls Russland seinen Plan durchziehen darf, ohne dafür sanktioniert zu werden. Aber das Thema richtet sich nicht nur an die Spitze der Organisationen. Es steht jedem nationalen Verband frei, sich entsprechend zu positionieren - auch dem deutschen.

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