Süddeutsche Zeitung

Rücktritt von Uli Hoeneß:FC Bayern verliert seinen Bauch

Lesezeit: 3 min

Uli Hoeneß baute mit einer Mischung aus knallharter Geschäftspolitik und heimeliger Familienatmosphäre aus dem FC Bayern ein einzigartiges Konstrukt. Jetzt musste die Vaterfigur zurücktreten. Den Verein wird das verändern.

Von Thomas Hummel

Wann hat zuletzt ein Prozess um einen Menschen die Bevölkerung derart polarisiert? Als sich am Donnerstag gegen 14 Uhr die Türen zum Gerichtssaal im Münchner Landgericht II schlossen, stand für einige Minuten die Zeit still. Das Interesse an dem Urteil zwang die Internetseiten einiger Nachrichtenportale fast in die Knie, die Webseite des FC Bayern war eine Weile nicht zu erreichen.

Drei Jahre und sechs Monate Haft wegen Steuerhinterziehung von 28,5 Millionen Euro. Am Freitagvormittag die Erklärung, keine Revision gegen das Urteil einzulegen, von den Ämtern als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Bayern München zurückzutreten.

Im Grunde ein normaler Vorgang, bei einem Politiker wäre das eine zwingende Folge und deshalb eine Randmeldung gewesen. Doch der FC Bayern und Uli Hoeneß, das ist eine besondere Geschichte. Und weil zudem der Fußball in diesem Land bei den Leuten viel mehr den Bauch als das Hirn anspricht, kommen die großen Emotionen hoch.

Für die Anhänger des FC Bayern ist Uli Hoeneß eine Art Vaterfigur. Mit allen Facetten, die eine Vaterfigur eben hat. Was zuallererst bedeutet: Er kümmert sich um die Familie, sorgt für deren Wohlergehen, wehrt Angriffe von außen ab. Im Falle des heute 62-Jährigen war dies ein unschlagbares Gesamtpaket.

Als Uli Hoeneß noch Spieler war, hatte er dem Münchner Klub 1978 einen lukrativen Sponsorenvertrag mit demLastwagenhersteller Magirus-Deutz aus seiner Heimatstadt Ulm vermittelt. Mit diesem Geld konnte damals Paul Breitner zurückgeholt werden, womit der FC Bayern seine zweite erfolgreiche Phase nach der Beckenbauer-Müller-Maier-Ära einläutete. Der Deal verdeutlichte bereits die Kombination aus sportlicher Kompetenz und wirtschaftlichem Talent, mit der Hoeneß den Klub später zur Weltmarke aufbauen sollte.

Hoeneß war dabei nie zimperlich. Mitbewerber hat er stets geschwächt, indem er zur Not genug Geld auf den Tisch warf und die besten Spieler abwarb. Wer ihm intern nicht ins Konzept passte, der wurde abserviert. Der niederländische Trainer Louis van Gaal war so ein Beispiel. Uli Hoeneß ist ein Machtmensch, der stets seine eigenen Regeln durchsetzte.

Immer wieder drangen Geschichten nach draußen, dass er sich um diesen oder jenen Mitarbeiter kümmerte. Zu einem neuen Job verhalf, aus finanziellen Problemen befreite, et cetera. Auch in Bezug auf Spieler gab es die Erzählungen von Güte und Rückhalt. Als Franck Ribéry wegen seiner Sexaffäre mit einer minderjährigen Prostituierten mächtig in Schwierigkeiten geriet, holte er den Franzosen in eine Art FC-Bayern-Kokon, schützte ihn vor allen Angriffen, gab ihm einen neuen Vertrag.

Es ist diese Mischung aus knallharter Geschäftspolitik und heimeliger Familienatmosphäre, die den FC Bayern zu einem einzigartigen Konstrukt macht. Ohne Uli Hoeneß ist das vorbei.

Aus dem legendären Wutausbruch in der Jahreshauptversammlung 2007 blieb unter anderem eine eigentlich unverschämte Passage hängen: "Was glaubt ihr eigentlich, was wir das ganze Jahr über machen, damit wir euch für sieben Euro in die Südkurve gehen lassen können? Was glaubt ihr eigentlich, wer euch alle finanziert? Die Leute in den Logen, denen wir die Gelder aus der Tasche ziehen."

Es gab keinen Logen-Besitzer, der dagegen protestiert hätte. Gegen den Chef wollte sich niemand stellen. Man durfte froh sein, dabei zu sein.

Uli Hoeneß brachte in seiner FC-Bayern-Familie den Vorstandschef mit einem Millioneneinkommen und den Arbeiter zusammen. Hier die Verbindungen zum Who-is-who der deutschen Wirtschaft: VW, Audi, Allianz, Telekom, Adidas. Dort die vom Präsidenten den Spielern, dem Trainer und sich selbst verordneten Fanklub-Besuche rund um Weihnachten. Deshalb verziehen ihm die Familienmitglieder auch lange diese Steuergeschichte.

Wer soll die Familie nun in die Zukunft führen? Ist es ohne den Vater überhaupt noch eine Familie? Wird es nun ein ganz normaler Konzern? Übernehmen nun die Technokraten? Sicher ist, dass sich der Klub ohne Hoeneß verändern wird.

Dabei hat er alles getan, um ein ordentliches Erbe zu hinterlassen. Die wirtschaftliche Seite ist mit relativ jungen Leuten exzellent besetzt. Finanziell steht der Klub seit dem Einstieg der Allianz mit 110 Millionen Euro vor wenigen Wochen strahlend da. Die klubeigene Arena dürfte damit komplett abgezahlt sein, jährlich sollen dadurch etwa 30 Millionen Euro mehr für Investitionen in den Klub oder die Mannschaft bereitstehen. Sportlich ist der FC Bayern auf dem Höhepunkt seiner Macht, der Kader ist erlesen wie noch nie. Mit Pep Guardiola hat Hoeneß persönlich den vielleicht besten Trainer der Welt nach München gelockt. Mit Matthias Sammer einen ehrgeizigen und kompetenten Sportchef vom DFB abgeworben.

Vielleicht wird sich der früher als "Killer-Kalle" bekannte Karl-Heinz Rummenigge mit 58 Jahren auf ein präsidiales Amt zurückziehen wollen und sich als Integrierer versuchen. Oder rückt der Machtmensch Sammer in der Hierarchie nach oben? Was Rücksichtslosigkeit und Erfolgsdenken betrifft, ist er Hoeneß durchaus ähnlich. Wohlfühlen wird sich in Bayern allerdings niemand mit dem bisweilen verbissenen Sachsen.

In seiner Erklärung schreibt Uli Hoeneß, er wolle mit dem Rücktritt "Schaden von meinem Verein" abwenden. Der FC Bayern ist mein Lebenswerk und wird es immer bleiben." Es ist sein Werk, die neue Führung wird aus diesem Klub nun ein anderes Konstrukt machen. Oder? "Ich werde diesem großartigen Verein und seinen Menschen auf andere Weise verbunden bleiben solange ich lebe." In diesem ganz speziellen Fall, in dem der Bauch so viel mehr Bedeutung hat als das Hirn, scheint nichts ausgeschlossen.

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