Süddeutsche Zeitung

Roger Federer bei den Australian Open:Mit Risiko zu alter Stärke

Lesezeit: 3 min

Roger Federer zeigt sich gegen Andy Murray von seiner fast vergessenen besten Seite - er spielt bei den Australian Open wieder scheinbar mühelos Tennis. Nun freut sich der Schweizer, im Halbfinale den Weltranglistenersten Rafael Nadal herauszufordern.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die Möwen kreisten über dem Dach der Rod Laver Arena, natürlich hatten auch die beiden Spieler das registriert, spätestens wenn sie die Bälle zum Aufschlag in die Luft warfen, mussten sie in den Nachthimmel blicken. Es wurden immer mehr Möwen, die möglicherweise vom nahen Strand St. Kilda vorbeischauten. Wenn man so will, war das für Roger Federer kein gutes Zeichen.

Schon längst hätte er Feierabend haben können. Aber er konnte diese Partie nicht beenden. Er hatte mit 2:0-Sätzen geführt, er hatte ein Break zum 5:4 geschafft und zum Sieg aufgeschlagen, dann Tie-Break, 5:2, 6:4, tatsächlich, zwei Matchbälle. Aber den dritten Satz holte dann doch der andere. Schon nahte die nächste Möwe.

Es war immerhin nur eine überschaubare Verzögerung von einer weiteren Stunde, die für den Schweizer Tennisprofi nötig war, um sich zu belohnen. Es wäre auch ein zu abruptes Ende einer Geschichte geworden, die ja so viele hier verzückt in Melbourne. "Ich freue mich riesig, zurück in den Halbfinals zu sein", resümierte Federer nach seinem 6:3, 6:4, 6:7 (6), 6:3-Sieg gegen den Schotten und Weltranglisten-Vierten Andy Murray.

Es mag Federers 34. Einzug in die Runde der letzten Vier eines Grand-Slam-Turniers sein (ein einsamer Rekord) - und doch war dieser anders als andere. "Dieser Lauf fühlt sich wie ein Traum an", sprach Federer, der selten zu derart hochtrabenden Ausdrücken greift.

Recht hat er, der große Botschafter der Tennistour: Er hat sich auf ein Niveau zurückgearbeitet, das es ihm erlaubt, tatsächlich wieder an einen große Titel denken zu können. "Ich liebe es, mich zu messen", betonte er nach seinem 3:20-Stunden-Match, "ich bin körperlich zurück, ich bin explosiv da draußen. Ich kriege die Bälle, und ich fürchte mich auch nicht mehr, offensiv zu punkten." Federer sagte das in einem Rutsch. Als würde er auch im Presseraum noch Tennis weiterspielen.

Federleicht sah sein Werk über weite Strecken gegen Murray aus, wie in den vier Runden davor begeisterte er mit mutigen Vorstößen und dann wieder geduldigem Konterspiel. Federer schwingt ja eher Tennis, das gibt ihm das scheinbar Mühelose. Dabei war das zurückliegende Jahr eine Qual. Monatelang hatte er mit Rückenproblemen zu kämpfen, die Debatte, ob er je noch fähig sein würde, um zu alter Stärke zurückzukehren, nahm an Intensität zu. "Diese Frage nach dem Rücktritt läuft ja im Grunde seit 2009", sagte er genussvoll.

Nach seiner Version hätten die zurückliegenden vier Monate die Wende gebracht, viel an seiner Fitness habe er gearbeitet, mit Schlägern getüftelt und sich für ein Modell mit einem größeren Schlägerkopf entschieden. Stefan Edberg, den früheren Serve-and-Volley-Spezialisten, holte er vor kurzem ins Team, um auch seine vermeintlichen Schwächen, Rückhand und Angriff, zu korrigieren. "Erst wenn ich fit bin, kann ich wirklich über Taktik nachdenken", ließ er nun wissen. Nach seinem bislang fünf Auftritten zu urteilen, dürften selbst strenge Kritiker überzeugt sein: Dieser 32-Jährige spielt atemberaubend gut.

Federer geht vor allem mehr ins Risiko, bleibt tiefer im Feld stehen und beschleunigt so das Spiel. Vor ein paar Tagen erst hat er wunderbar beschrieben, warum er so oft den Slice spielt mit der Rückhand, es sei eben einfacher, sich auf diese Weise bei Ballwechseln zu retten, eine natürliche Bewegung quasi, gestand er, er wolle sich daher öfter wieder dazu zwingen, den richtigen - in dem Fall den rechten - Fuß zu belasten, um dann doch den besseren Topspin-Schlag durchzuführen. Es kommt nicht oft vor, dass Spitzensportler sich öffentlich derart transparent analysieren.

Im Halbfinale steht ihm nun Rafael Nadal gegenüber, der in seinem packenden Duell mit dem talentierten Grigor Dimitrov wieder mal an die Grenze der Belastbarkeit gehen musste - aber Nadal kann ja Schmerzen wahrlich aushalten. Der Spanier, der in der vergangenen Saison die perfekte Comeback-Story lieferte und Platz eins in der Weltrangliste innehat, nahm erneut eine Auszeit, um sich eine münzgroße Blase behandeln zu lassen, die einfach nicht heilen will. Mit 3:6, 7:6 (3), 7:6 (7), 6:2 setzte sich Nadal durch gegen den 22-jährigen Bulgaren und Freund von Maria Scharapowa, der seit langem kurz vor dem Durchbruch steht.

Federer, der eine Spieleragentur gegründet hat, holte bislang zwei Profis als Kunden in seine Firma: den Argentinier Juan Martin Del Potro und Dimitrov. Noch konnte Nadal den Angriff des jüngsten Viertelfinalisten abwehren, wobei er auch drei Satzbälle abzuwehren hatte im dritten Durchgang. "Beim Aufschlag habe ich das Gefühl, dass ich meinen Schläger verliere", klagte der 27-jährige Spanier später: "Das ist ein schreckliches Gefühl. Daher habe ich langsamer aufgeschlagen. Trotzdem habe ich das Match gegen einen starken Gegner gewonnen. Das ist mehr wert als ein Sieg ohne Probleme."

"Ich hoffe, ich kann meinen Lauf gegen Rafa fortsetzen", sagte Federer in bester Laune, er erlebt gerade eben schöne Tage in Melbourne, sogar wenn er nicht spielt. Den dramatischen Viertelfinalsieg seines Landsmann Stanislas Wawrinka am Dienstagabend gegen Novak Djokovic begleitete er mit seiner schwangeren Frau Mirka vor dem Fernseher - "am Ende hatte ich wie Stan jubelnd die Hände oben", berichtete Roger Federer amüsiert. "Ich habe auch High Fives mit Mirka gemacht."

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SZ vom 23.01.2014
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