Süddeutsche Zeitung

Doping im Radsport:Skyfall

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Der frühere Arzt des Teams Sky wird verurteilt, weil er verbotene Substanzen beschafft hat: für Dopingzwecke, urteilt eine Ärztebehörde. Das bringt das erfolgreiche Ineos-Radteam in immer größere Erklärungsnöte.

Von Johannes Knuth, München

Die Saga um den einstigen britischen Sportarzt Richard Freeman, hat der einstige britische Radprofi Sir Bradley Wiggins einmal zu Recht reklamiert, könnte man problemlos zu einem Filmstoff verweben. Wobei der naheliegende Titel "Sir Brad und Dr. Freeman" eher nach einer trashigen Version des x-ten Sherlock-Holmes-Abklatsches klingt.

Die Frage, die die Londoner Times zuletzt aufwarf, ist nur: Welchem Genre müsste man dieses cineastische Meisterwerk zuordnen? Krimi? Film noir? Katastrophenstreifen? Was ist das, wenn ein Arzt angeblich versehentlich Dopingstoff ordert, Laptops verliert und sich bei seiner Anhörung hinter einem Sichtschutz verschanzt, während ein Zeuge ihn als "feigen Saufbold" beschimpft? Die Times fand sich beizeiten an Quentin Tarantinos "Reservoir Dogs" erinnert, vor allem an jene Szene, in der drei Gangster ihre Waffen aufeinander richten und der vierte hysterisch ruft: "Kommt schon Leute, wir sollten uns doch wie verdammte Profis benehmen!"

So ähnlich hatten sie das auch immer beteuert: Freeman, Wiggins, auch Dave Brailsford, bis heute Chef der Radsport-Equipe Ineos (früher Team Sky), bei der Freeman lange angestellt war. Das Verdikt, das die nationale ärztliche Aufsichtsbehörde in Manchester nach zwei Jahre dauernden Ermittlungen am Freitag erließ, kam indes zu einem vernichtend anderen Schluss. Das Tribunal sah es als erwiesen an, dass Freeman, der neben Sky auch beim britischen Radverband als Arzt diente, ein Paket mit Testosteronpräparaten orderte, seine Handlungen verschleierte und - der massivste Befund - dass der Arzt "wusste oder davon ausging, dass der Stoff für einen Fahrer gedacht war, um dessen Leistung zu erhöhen". Sprich: für Dopingzwecke.

Sky hat jegliche Grenzübertritte stets bestritten

Es war ein Urteil, das, wie viele britische Medien befanden, Schockwellen durch den Sport schickte - und noch fester an den jahrelangen Erfolgen des britischen Radsports rüttele. Dessen Reputation lag ohnehin längst in Scherben.

Um die filmreife Saga halbwegs zu verstehen, eine Rückblende in den Januar 2010. Eine Welle an Dopingenthüllungen war gerade auf den Radsport niedergeprasselt, Brailsford und sein frisch getauftes Team Sky behaupteten indes, dass sie dem Sport einen sauberen Champion verschaffen könnten: Man müsse nur ein hochprofessionelles Umfeld schaffen und an allen Leistungsschräubchen drehen, nur an den legalen natürlich. Der erste Versuch der neuen Equipe bei der Tour de France endete enttäuschend, Wiggins, ihre größte Hoffnung, verlor fast 40 Minuten auf den Sieger Alberto Contador (der seinen Titel später wegen Dopings verlor). Die Stimmung im Team war angespannt, ein Verantwortlicher schlug offenbar vor, "innerhalb der Regeln zu betrügen", wobei Sky jegliche Grenzübertritte stets bestritt.

Im Mai 2011 traf dann eine Lieferung am Velodrome in Manchester ein, wo der britische Radsportverband und Sky damals einquartiert waren. In dem Paket befanden sich 30 Beutel Testosteron-Gel, geordert von Freeman. Der behauptete zunächst, die zuständige Firma habe das Paket versehentlich angeliefert. Wie bitte?

Brailsford hat bis heute nicht überzeugend erklärt, weshalb man einen Hustensaft von England nach Frankreich liefern ließ

Der Arzt und sein Team waren bald von weiteren Merkwürdigkeiten umweht. So hatte ein Sky-Trainer, ebenfalls 2011, unter großen Mühen eine Arznei von Manchester nach Frankreich transportiert: für Wiggins, der ein Jahr später als erster Brite die Tour de France gewann und in London das olympische Zeitfahren. Angeblich steckte in dem Paket ein Hustenlöser, behauptete Sky-Teamchef Brailsford, den könne man halt nicht in jeder Apotheke erwerben. Die Belege befänden sich auf Freemans Laptop. Der sei ihm aber, welch ärgerlicher Zufall, während eines Urlaubstrips in Griechenland gestohlen worden.

Als Freeman vor die Ärztekammer in Manchester zitiert wurde, gab er nach einigem Hin und Her zu, gelogen zu haben. Fortan wolle er aber die Wahrheit erzählen. Und zwar, dass er das Testosteron zwar schon geordert habe, aber nur für einen Verbandstrainer: Shane Sutton. Der habe ihn dazu gedrängt, weil er an einer erektilen Dysfunktion leide.

Sutton stritt das während einer Anhörung vehement ab ("Meine Frau kann bezeugen, dass das eine verdammte Lüge ist!"), während Freeman sich hinter einer Sichtblende versteckte. Allerdings hatte eine Textnachricht Suttons an Freeman auch die Glaubwürdigkeit des Trainers angekratzt. "Sei vorsichtig, was du sagst", stand darin, "du bist nicht die einzige Person, der ich Schaden zufügen kann."

Das Tribunal hielt Sutton nun trotzdem für glaubwürdiger als Freeman, denn: Für welche Zwecke sollte ein Arzt, der sich Testosteron jederzeit problemlos beschaffen könnte, Dopingstoff in die Team- und Verbandszentrale ordern? Wenn, dann ja wohl, um einen Fahrer aufzupäppeln? Viele Fragen sind freilich weiter offen: Wem kam die Lieferung zugute? Was bedeutet das für Freemans einstiges Rad-Team, das sieben der vergangenen neun Tour-Sieger stellte, darunter Wiggins und Christopher Froome, der 2018 einen umstrittenen Freispruch für eine Salbutamol-Inhalation kassierte? Oder für den britischen Radsportverband, der seit 2008 einen atemberaubenden Aufstieg im olympischen Medaillenspiegel erlebte? Vor allem bei den Heim-Spielen 2012 in London, ein Jahr nach Freemans ominöser Testogel-Bestellung?

Der britische Radsportverband sprach am Freitag von einem "verstörenden" Urteil, man habe seit Freemans Entlassung aber viele Dinge zum Besseren verändert. Ineos teilte mit, es gebe keine Belege dafür, dass einer ihrer Fahrer das Testosteron genutzt habe.

Aber wer dann?

Noch ist das Verfahren vor der Ärztebehörde nicht beendet, in den kommenden Wochen geht es auch darum, ob Freeman seine ärztliche Zulassung verliert. Auch die britische Anti-Doping-Agentur ermittelt wieder, fürs Erste nur gegen den Arzt. Das dürfte, nach Stand der Dinge, ein wenig zu kurz gegriffen sein.

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