Süddeutsche Zeitung

Premier League:Arsène Wenger spaltet den FC Arsenal

Lesezeit: 3 min

Von Sven Haist, London

Die Fernsehkameras waren bereits aus und die Stative abgebaut, als sich Arsène Wenger und Pep Guardiola im Kabinengang über den Weg liefen. Die Ordnungskräfte wichen einen Schritt zur Seite, selbst die Pressesprecher, die sonst in der Premier League jeden Schritt der Protagonisten begleiten, ließen die beiden jetzt alleine. Einmal ungestört, fingen die Trainer an, das Spiel aufzuarbeiten. Kopf an Kopf standen sich Wenger und Guardiola gegenüber und vertieften sich in die Analyse.

Gestenreich legte Guardiola die Ideale seines Angriffsfußballs dar sowie die Diskrepanz zwischen den eigenen Vorstellungen und der Umsetzung durch sein Team. Das war leicht daran zu erkennen, dass Guardiola die meisten Situationen in doppelter Ausführung nachstellte, die erste Version meist mit Kopfschütteln versehen. In Wenger fand er einen Gleichgesinnten, der ihm zuhörte und seine Einschätzungen teilte.

Die etwa fünf Minuten währende Fachsimpelei dürfte Wenger an seine eigenen Anfänge auf der Insel erinnert haben. Im Herbst 1996 legte er beim FC Arsenal los mit neuartigen Ideen, die die Premier League letztlich in die Moderne führten und den Londoner Verein in der Saison 2003/04 zum Meistertitel - ohne ein einziges verlorenes Spiel. Nach 21 Jahren in England hat sich der revolutionäre Geist des Elsässers aber beruhigt. Er ist altersmilde geworden, es geht ihm nicht mehr darum, dem Fußball die Richtung zu weisen.

Am Abend seiner Karriere will Wenger, 67, einfach noch ein bisschen Trainer sein. Der FC Arsenal, sein Lebenswerk, lässt ihn nicht los, am liebsten würde er wohl seinen im Sommer auslaufenden Vertrag verlängern. Sicher ist er sich aber offensichtlich auch nicht - sonst hätte er Arsenals Angebot für zwei weitere Jahre schon angenommen. Wengers Personalie spaltet den Klub seit Wochen. So wurde er im Stadion mit Applaus eingedeckt, kurz nachdem andere Fans an den Zufahrtsstraßen vehement seinen Abschied gefordert hatten. "All good things must come to an end" stand auf einem Plakat, "Wexit" auf einem anderen. Im Stadion war aber auch ein Transparent mit dem Text zu sehen: "Für immer in deiner Schuld" - darunter alle Pokale, die Wenger für den Klub gewonnen hat.

Die Unschlüssigkeit unter den Anhängern überträgt sich auch auf die Chefetage des Klubs, die nicht so genau weiß, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist für einen Neuanfang. Denn jeder Neuanfang birgt ja die Unsicherheit, ob sich die Dinge danach wirklich zum Besseren wenden. Nach dem Rücktritt von Sir Alex Ferguson vor knapp vier Jahren ist bei Manchester United erstmal alles schlimmer geworden. Der Verein stürzte in eine Sinnkrise, von der er sich bis heute nicht richtig erholt hat.

Am Nächsten kommt der Befindlichkeit des Klubs das 2:2 gegen Manchester City am frühen Sonntagabend. Das Unentschieden spricht gleichzeitig dafür und dagegen, dass Wenger bleibt. Seine Kritiker werfen ihm die fehlende Balance zwischen Angreifen und Verteidigen vor. Und finden dafür gute Argumente: Übermütig nahmen die Gunners am Sonntag ihre Gegenspieler anfangs in Manndeckung. Das führte dazu, dass Leroy Sané gleich den ersten Stellungsfehler zum 0:1 ausnutzte. Nach dem mühsamen Ausgleich ließ sich Arsenal durch Sergio Agüero erneut auskontern.

Theo Walcott und Shkodran Mustafi bewahrten die Gunners vor der dritten Niederlage in Folge. "Das war ein mentaler Test, und wir haben große Ressourcen gezeigt", sagte Wenger nach dem Spiel. Sogar die verletzungsbedingte Auswechslung des Kapitäns Laurent Koscielny zur Halbzeit, dessen Verlust in den Duellen mit dem FC Bayern noch zur Selbstaufgabe geführt hatte, konnte die Mannschaft kompensieren.

Überraschend zu beobachten war auch Wengers Taktieren in der Schlussphase. Ausschließlich kümmerte er sich um die personelle Absicherung der eigenen Angriffe. Ihm war anzumerken, dass er bloß nicht zum dritten Mal in einem Spiel denselben Fehler machen wollte. Sein kritischer Blick auf die Stadionuhr zeigte jedoch, dass die Punkteteilung auf Sicht zu wenig ist. Zumal der letzte Erfolg über ein Spitzenteam, das 3:0 gegen den FC Chelsea, ein halbes Jahr zurückliegt.

Die Tendenz geht dahin, dass die Teilnahme an der Qualifikation zur Champions League für die Gunners außer Reichweite gerät. Bei einem Spiel weniger beträgt der Rückstand auf den vierten Platz schon sieben Punkte. Diesen vierten Platz hat Wenger als Trainer Arsenals bislang in jeder Saison erreicht. Ein Alleinstellungsmerkmal, das so schnell keiner seiner jüngeren Nachfolger erreichen wird. Um das wieder zu schaffen, muss Arsenal die anstehenden Stadtduelle mit West Ham am Mittwoch und Crystal Palace dringend gewinnen.

Falls das nicht gelingt und Wengers Vertrag zeitgleich mit Verpassen der Königsklasse endet, hat der Trainer mit Guardiola immerhin einen Kollegen in der Premier League gefunden, der seine offensive Spielanschauung teilt und weitertragen wird. Die Verabschiedung zwischen den beiden Trainern am Sonntag fiel förmlich aus. In drei Wochen sehen sie sich ja wieder, in Wembley, zum Halbfinale des englischen Pokals.

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