Süddeutsche Zeitung

Premier League:Eine der erstaunlichen Geschichten dieses Fußball-Winters

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Fischer

In der Szene, über die alle sprachen, stand Ralph Hasenhüttl nur daneben, eher unbeteiligt und verwundert. In der 77. Minute des Spiels zwischen dem FC Southampton und Tottenham Hotspur, es stand 1:0, war José Mourinho, der für seine Streitlust berüchtigte Trainer der Gäste, in Southamptons Coaching-Zone hinüber spaziert. Mourinho, angesichts der bevorstehenden Niederlage offensichtlich schlecht gelaunt, schaute einem von Hasenhüttls Assistenten auf den Notizzettel und sagte dazu ein paar Worte. Dann sah er die gelbe Karte. Sein Kommentar dazu klang später so: "Ich war unhöflich. Aber ich war unhöflich zu einem Idioten."

Fußballspiele in der Premier League, zumal unter Beteiligung des selbsternannten "Special One" Mourinho, sind nie einfach nur Fußballspiele, sondern immer auch ein bisschen Schmierentheater und Spektakel. Dass der Trainer Hasenhüttl auf dieser besonderen, großen Bühne des Sports noch immer als Trainer von Southampton auftritt, war vor zwei Monaten nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Dass er auf dieser Bühne wieder als Sieger steht, nachdem er mit dem 1:0 gegen die Spurs am Neujahrstag das dritte von vier Spielen in Serie gewann, ist eine der erstaunlichen Geschichten dieses Fußball-Winters.

Es ist etwas mehr als ein Jahr her, dass der Grazer Hasenhüttl, 52, nach drei Spielzeiten in der Bundesliga und sechs Monaten Pause den Job in Southampton annahm, als erster Österreicher in England. "Mein Ziel ist es, mir einen Namen in der Premier League zu machen", sagte er zum Einstand. Zuvor hatte er mit jedem Vereinswechsel eine neue Stufe erreicht: Mit Ingolstadt war er in die Bundesliga aufgestiegen, mit Leipzig in die Champions League eingezogen. Auch in der ersten Halbserie in England erfüllte er die Erwartungen.

Hasenhüttl nennt ehrgeizige Ziele

Ralph Hasenhüttl übernahm im Dezember 2018 eine Mannschaft, die von 15 Spielen nur eines gewonnen hatte und Drittletzter der Tabelle war. Bald sangen die Fans das Wham!-Weihnachtslied "Last Christmas" in einer abgeänderten Version: Statt "someone special" schenkten sie ihr Herz "Hasen-hüttl". Southampton vermied zwei Runden vor Schluss den Abstieg.

Vor seiner zweiten Saison sprach der Trainer dann ehrgeizig von einem einstelligen Tabellenplatz, doch der Start misslang. "Wir hatten Probleme im Sommer", sagte Hasenhüttl jüngst und meinte damit die Transferperiode. Im Januar will er nun zwei Spieler verpflichten, für mehr Balance im Kader. Zudem wechselte im Sommer Assistenztrainer Danny Röhl, von den Spielern dem Vernehmen nach sehr geschätzt, zum FC Bayern, wo er nun vom Trainer Hansi Flick sehr geschätzt wird. Im Oktober verließ auch noch Sportchef Ross Wilson den Klub. Southampton gewann von den ersten 17 Spielen nur vier. Das eindrücklichste Abbild der Misere war ein desaströses 0:9 gegen Leicester City, die höchste Niederlage der Liga-Geschichte.

"Wer ein 0:9 überlebt, verliert sämtliche Ängste", sagte Hasenhüttl dem Spiegel in einem Interview nicht ganz ernst gemeint. Ernst meinte er aber, dass die Reaktionen auf das Debakel innerhalb der Mannschaft und im Verein mit die wichtigsten Erfahrungen seiner Karriere gewesen seien. Miteigentümerin Katharina Liebherr, der 20 Prozent der Klub-Anteile gehören, soll ihre Unterstützung für den Coach laut Daily Mail auch dadurch gezeigt haben, dass sie auf der Weihnachtsfeier "Last Christmas" in der Hasenhüttl-Version sang.

In Leipzig war es sein Ziel gewesen, die Elf taktisch variabler aufzustellen, von der Lehre des reinen Konterfußballs etwas abzurücken. Allerdings verpasste RB so die Qualifikation für die Champions League, dem damaligen Sportdirektor Ralf Rangnick ging der versuchte Stilwechsel zu weit. Es war ein Grund für die Trennung.

In Southampton will Hasenhüttl sich weiterhin als ein Trainer weiterentwickeln, dessen System nicht auf ein Element zu reduzieren ist. Gerade ist es allerdings vor allem der in Ingolstadt und Leipzig erprobte Stil, der für den Erfolg verantwortlich ist. Dem Sieg gegen Tottenham gingen ein 3:1 bei Aston Villa, ein 2:0 beim FC Chelsea und ein 1:1 gegen Crystal Palace voraus. "Sie haben verteidigt, sie haben viel gefoult", sagte Spurs-Coach Mourinho am Mittwoch beinahe patzig. "Vielleicht unser bestes Heimspiel diese Saison bislang", sagte Hasenhüttl, "wir waren so aggressiv, so engagiert gegen den Ball."

Southampton hat inzwischen wieder beruhigende fünf Punkte Vorsprung auf die Abstiegsränge. Mittelstürmer Danny Ings, im Sommer für mehr als 20 Millionen Euro vom FC Liverpool verpflichtet, erzielte an Neujahr sein 13. Saisontor. Die Offensive ist nicht mehr so harmlos wie zu Saisonbeginn. Und Hasenhüttl muss sich vor dem nächsten Spiel in der Liga nicht allzu sehr fürchten: Es ist das Rückspiel gegen den Tabellenzweiten Leicester City.

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SZ vom 03.01.2020
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