Süddeutsche Zeitung

Manchester United:Was wird aus Rangnick?

Lesezeit: 4 min

Trotz eines Beratervertrags ist unklar, wie viel Einfluss Ralf Rangnick in Zukunft bei Manchester United haben soll. Die Klubchefs halten ihn auf Distanz - und die Frage ist, was der neue Trainer Erik ten Hag will.

Von Sven Haist, Manchester

Seit dem Abschied der Trainerlegende Alex Ferguson im Sommer 2013 sind Dissonanzen bei Manchester United fast so zur Gewohnheit geworden wie einst der Gewinn von Pokalen. Ferguson, der sich mit der 20.Meisterschaft des Klubs in den Ruhestand begab, schürte mit seiner einzigartigen Erfolgsgeschichte bei United eine Erwartungshaltung, an der seine Nachfolger bisher alle gescheitert sind.

Jeder ging damit auf seine Weise um: Louis van Gaal attackierte aus Verbitterung über ausbleibende Erfolge in seiner Zeit in Manchester regelmäßig die Medien. In ähnlich scharfem Ton ging der nicht minder streitbare José Mourinho, der 2016 für van Gaal bei United übernahm, auf die Spieler los. Der zuletzt entlassene Ole Gunnar Solskjaer hatte Schuldzuweisungen aller Art partout zu vermeiden versucht, um seinen Status als Publikumsliebling nicht zu gefährden. Stattdessen begehrten während seiner Cheftrainerzeit die Fans auf, sie drängten auf eine Absetzung der Eigentümer-Familie Glazer - wegen zu geringer Investitionen in neue Spieler.

Nur das Klubmanagement um den kürzlich zurückgetretenen Dauergeschäftsführer Ed Woodward und seinen internen Nachfolger Richard Arnold schien von Tadel meist verschont zu bleiben - bis zur Verpflichtung von Ralf Rangnick, der für Solskjaer im Dezember 2021 übernahm und noch bis Saisonende Interimstrainer ist.

Rangnick, 63, lässt aktuell kaum eine Gelegenheit aus, den Vorstand in Manchester für dessen Versäumnisse deutlich zu kritisieren. Vor dem letzten Spiel in der Premier League droht United - mit bisher nur 58 Punkten aus 37 Partien - die schlechteste Saison seit mindestens 31 Jahren. Damals, 1990/91, in der Anfangszeit unter Ferguson, beendete United die Meisterschaft mal mit 60 Punkten auf Platz sechs.

Auf diesem Rang steht der Klub auch jetzt (noch) - trotz zuletzt fünf Auswärtsniederlagen in Serie, mit teils erbärmlichen Leistungen und Resultaten (1:4, 0:1, 0:4, 1:3, 0:4). Die interne Aufarbeitung des Saisondebakels, besiegelt mit dem Achtelfinal-Aus in der Champions League und dem deutlichen Herausrutschen aus den Königsklassen-Plätzen der Liga, führt nun zur entscheidenden Frage: Wer ist schuld an dem anhaltenden Niedergang?

Die Klubbosse haben diese unliebsame Frage für sich bereits beantwortet, indem sie, wie schon bei Rangnicks Verpflichtung angekündigt, für die nächste Saison schon wieder einen neuen Trainer verpflichtet haben: Erik ten Hag, 52, von Ajax Amsterdam. Der Niederländer, der sich zuvor beim FC Bayern II einen Namen gemacht hatte, erhält bei United einen Vertrag für drei Jahre mit Option auf ein weiteres Jahr.

Die Bosse holen ständig neue Trainer - Rangnick sagt: Es liegt am schlecht komponierten Kader

Anders bewertet natürlich Rangnick die Lage. Er sieht die Ursache für den bedenklichen Zustand des Teams nicht auf der Trainerposition, sondern in der Zusammenstellung des verzogenen Spielerkaders - und damit im Verantwortungsbereich der Klubführung. "In jedem Mannschaftsteil" sei dringend Verstärkung nötig, bemängelte Rangnick kürzlich, allein "zwei, drei Stürmer" müssten her, weil man über "zu wenige flexible Angreifer" verfüge. Schon im Winter habe er angemahnt, auf dem Transfermarkt tätig zu werden. Trotz seiner fundierten Vorschläge hieß die Antwort des Klubs jedoch "nein" - es gäbe "keinen Spieler", der United weiterhelfen würde.

Mit seiner gezielten Kritik greift Rangnick die Vorgesetzten an deren wohl empfindlichster Stelle an: der sportlichen Fachkompetenz. Nachdem der Klub in fünf Jahren - ohne angemessenen Rückertrag durch Titel - rund eine dreiviertel Milliarde Euro an Ablösen für Zugänge versenkte, nahm der Druck auf das Duo Woodward/ Arnold stetig zu. Letztlich gaben sie ihm nach und schafften zwei neue Stellen im Verein. Um selbst möglichst wenig Einfluss zu verlieren, beförderten sie Nachwuchsleiter John Murtough zum Fußballchef, und der Ex-Spieler Darren Fletcher wurde Technischer Direktor, als Bindeglied zwischen Team und Chefetage.

Zudem schloss United mit Rangnick, der ein langfristiges Mitwirken zur Bedingung für seinen Interimstrainer-Job machte, einen zweijährigen Consulting-Vertrag bis 2024 ab. Damit verband der Vorstand jedoch offenbar nur das Ziel, den öffentlichen Vorwurf der Beratungsresistenz zu entkräften. Denn statt die künftige strategische Ausrichtung mit Rangnick zu besprechen und dessen Expertise zu nutzen, sah es zuletzt zunehmend so aus, als würde der Führungszirkel um den Vorsitzenden Joel Glazer den Deutschen bewusst aus der Zukunftsplanung heraushalten.

Die Frage ist: Wie viel Einfluss soll ein Berater Rangnick bei United künftig haben? Ein Mandat zur völligen Ummodelung des Klubs, wie es ihm einst in Hoffenheim und Leipzig gewährt wurde, könnte für Murtough und Fletcher bedeuten, hierarchisch überflüssig zu werden. Rangnick wiederum lässt sich trotz guter Dotierung wohl nicht mit einem inhaltsarmen Posten abspeisen. Deshalb kam ihm kürzlich das unverhoffte Angebot gelegen, in Österreich Nationaltrainer zu werden. Mit der Zusage, die Nationalelf des ÖFB parallel zur geplanten Berater-Rolle in Manchester zu übernehmen, entzog er sich geschickt der Gefahr, bei United zum bloßen Lakai der Geschäftsführung zu werden.

Mit Österreich tritt Rangnick nun in der Nations League an

Nach Saisonende stehen für Rangnick mit Österreich direkt vier anspruchsvolle Partien in der Nations League an, bevor die Qualifikation zur EM 2024 in Deutschland startet. In Österreich hat Rangnick beim Aufbau seines Teams das Privileg, selbst zu entscheiden, wen er nominiert - im Gegensatz zu Manchester, wo seine Ideen, auch jetzt schon als Trainer, stets auch mit den Interessen von Topspieler Cristiano Ronaldo harmonieren müssen, um keine spektakulären Dispute zu riskieren.

Rangnick und seinem renommierten Assistenten Lars Kornetka, der zu United nicht mitkommen konnte, ist in Österreich zuzutrauen, das Nationalteam im RB-Pressing-Stil zu einem Favoritenschreck zu entwickeln. Zudem betont diese neue Aufgabe Rangnicks Unabhängigkeit von United - was auch auf seine Perspektive in Manchester einwirken könnte.

Weil sich die Klubbosse ihm gegenüber verfestigt distanziert verhalten, streckte Rangnick zuletzt auffallend seine Hand ten Hag entgegen, der einst mit Kornetka beim FC Bayern arbeitete. Wegen des Österreich-Jobs muss ten Hag nicht befürchten, dass ein starker United-Berater Rangnick dort selbst noch mal Trainer werden möchte. Rangnick sagt, er habe sich mit ten Hag darauf verständigt, nach Saisonende gemeinsam "über alles" zu reden.

Bei dieser Unterhaltung dürfte er seinem Nachfolger die Defizite bei United offenlegen - und einen klaren Vorschlag unterbreiten, mit welchen Transfers die Mängel zu beheben wären. Dem Vernehmen nach liegt es dann an Erik ten Hag, inwieweit er auf Rangnicks Mitsprache in Manchester künftig zurückgreifen möchte.

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