Süddeutsche Zeitung

Paralympics:Kein Windschatten, kein Problem

Lesezeit: 2 min

Die erst 15-jährige Linn Kazmaier gewinnt bei den Spielen von Peking die meisten Medaillen im deutschen Team. Dass die Erwartungen an die Teenagerin zu groß werden könnten, macht ihrem Umfeld keine Angst.

Von Jonas Wengert, München

Gerade einmal 3,6 Sekunden fehlten Linn Kazmaier nach 12,5 Kilometer zum Sieg. Der zweite Platz im Biathlon vergangenen Freitag bedeutete ihre bereits vierte Medaille bei diesen Paralympischen Spielen von Peking. Trotzdem lag im Ziel für einen kurzen Moment Enttäuschung in der Luft. Nach dem letzten Schießen hatte Kazmaier noch deutlich Rückstand auf die Ukrainerin Oxana Shishkova. Auf der Schlussrunde holte sie dann zunächst schnell auf. "Bei einem solchen Verlauf hofft man natürlich, dass es für ganz vorne reicht", sagt Ralf Rombach, Bundestrainer des Nordischen Para-Ski-Teams.

Aber nur einen Tag später, am Samstag, war es dann soweit: Gold im 10-Kilometer-Langlauf in der Klasse der sehbehinderten Athletinnen. "Das ist alles noch ein Stück weit unwirklich", sagt Kazmaier am Telefon auf dem Weg zur Abschlussfeier. "Überragend" nennt Rombach die Leistung seiner Athletin: "So abgeklärt und strukturiert, wie sie ihre Wettkämpfe absolviert, vergisst man immer wieder, dass sie erst 15 ist."

Fünf Medaillen befinden sich im Kazmaiers Gepäck für die Heimreise - mehr gewann keiner aus dem deutschen Team. Dass die Teenagerin in Peking so abräumen würde, ja, dass sich ihr Trainer über Silber auch nur eine Sekunde lang ärgern würde, war vor den Spielen nicht zu erwarten. "Eigentlich wollten wir den Generationenwechsel schleichend einleiten", sagt Rombach. Die Jungen wie Kazmaier und auch Leonie Walter, 18, sollten im Windschatten der Arrivierten antreten. Doch erfahrene Athletinnen wie Andrea Eskau und Clara Klug mussten verletzungs- und krankheitsbedingt auf die Paralympics verzichten - für Kazmaier kein Problem.

"Bei Linn wurde es dann irgendwann ein Selbstläufer", sagt Rombach. Hinzu kam die Abwesenheit der Teams aus Russland und Belarus, die das Internationale Paralympische Komitee (IPC) aufgrund des Krieges in der Ukraine ausgeschlossen hatte. "Mit dem Wissen, dass Konkurrenz gefehlt hat, kann man die Ergebnisse gut einordnen", sagt Kazmaier. Am Ende der Spiele seien sie beiden schon auch ziemlich k.o., fügt ihr Guide Florian Baumann hinzu: "Wir freuen uns auf zuhause."

Dort, im kleinen Oberlenningen in der Nähe von Reutlingen, wartet Mama Gabi Kazmaier auf ihre Tochter: "Wir haben alle Rennen live verfolgt", sagt sie. Mit Podestplätzen habe man nicht gerecht. Ziel sei es gewesen, Erfahrung zu sammeln. "Das hat Linn jetzt gemacht - aber anders als gedacht." Der ganze Ort freue sich mit. Freunde und Bekannte schickten Glückwünsche an die Eltern. Beim Bäcker gibt es jetzt Süßspeisen in Medaillenoptik.

Aufgrund der fehlenden Strukturen im Para-Sport lief Linn Kazmaier viele Rennen im regionaler Ebene gegen Sportler ohne Behinderung. Im vergangenen Jahr absolvierte sie ihren ersten internationalen Wettkampf. Dass die Erwartungshaltung an ihre Tochter in den kommenden Jahren zu groß werden könnte nach den unerwarteten Erfolgen von Peking, davor hat Gabi Kazmaier keine Angst: "Es werden auch Phasen kommen, wo es nicht ganz nach vorne geht." Sie sei aber sicher, dass ihre Tochter damit reflektiert umgehen könne.

Nun gehe es darum, wieder ein bisschen Normalität einkehren zu lassen. An diesem Montag landet Linn Kazmaier wieder in Deutschland. Zurück aufs Sportinternat nach Freiburg geht sie aber erst am Donnerstag, erzählt ihre Mutter. Die Paralympics-Siegerin hat noch zwei Tage länger "sonderschulfrei".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5547631
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.