Süddeutsche Zeitung

Olympische Spiele in Tokio:Unerschütterlich unsinnig

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In Tokio herrscht der Notstand, aber Olympia soll stattfinden: Die Verteidiger der Tokio-Spiele machen vielleicht gerade mehr kaputt als sie ahnen. Andere müssen nun ein Zeichen setzen.

Kommentar von Thomas Hahn, Tokio

Eines Tages werden die weniger Weisen unter den Fachkräften des Sportmarketings mit verklärtem Blick zurückschauen auf diesen erbitterten Kampf um die Sommerspiele in Tokio. Und sie werden sagen: So wie dieser Thomas Bach und diese Seiko Hashimoto das damals gemacht haben - so geht's. Textsicher beim Rumfloskeln, unerschütterlich in ihrem Glauben ans Unsinnige, das Geld immer fest im Blick und unempfindlich gegen jede unerfreuliche Fachmeinung. Das sind die Fähigkeiten, die ein Präsident des Internationalen Olympischen Komitees und eine Präsidentin des Spiele-Organisationskomitees Tocog haben müssen, wenn eine Pandemie die Spiele mit ihren Fernsehverträgen bedroht.

Hoffentlich hören dann nicht so viele zu, sonst nimmt sich am Ende noch die neue Generation der Sportfunktionäre ein Beispiel daran. Denn die Wahrheit ist natürlich anders: Die Werte des Sports, und zwar auch die materiellen Werte, bewahrt man am ehesten dann, wenn man seine Spiele im größeren Zusammenhang betrachtet. Wenn man sie nicht nur als Geldanlage versteht, sondern als Festung der Weitsicht, in der man Entscheidungen trifft, die allen nützen.

Insofern machen die Verteidiger der Tokio-Spiele vielleicht gerade mehr kaputt, als sie selbst ahnen. Die Präsentation der nachgebesserten Hygiene-Regeln für die pandemischen Spiele ist jedenfalls frustrierend gewesen. Die Verantwortlichen scheinen fest entschlossen zu sein, alles auszublenden, was die Gesundheitskrise gerade schwerwiegend macht.

Der Epidemie-Bekämpfer Shigeru Omi sagt, Japans Politik habe sein von der Regierung eingesetztes Subkomitee in der Olympiafrage nicht um Rat gebeten

Ob die Pandemie in Indien wütet, ob neue Mutanten toben oder in Tokio die Menschen kein Vertrauen haben - alles scheint egal zu sein, solange die eigenen Interessen geschützt bleiben. Dabei ist nicht einmal die neue Auflage der Playbooks besonders überzeugend. Dass die Hygieneregeln streng sein müssen, wenn man dieses Weltsportfest durchziehen will, ist selbstverständlich. Aber ist dieser Testmarathon, den man Sportlerinnen und Sportlern zumuten will, wirklich effektiv?

Die Kernfrage bleibt, ob diese Spiele wirklich stattfinden können unter den aktuellen Bedingungen. Der erfahrene Epidemie-Bekämpfer Shigeru Omi, der das Subkomitee der Regierung zur Corona-Bekämpfung leitet, hat in seiner nüchternen japanischen Art gesagt, man müsse über die Spiele jetzt gründlich diskutieren. Unabhängige Mediziner haben vor ihm ihre Meinung gesagt. Mittlerweile zitiert die Zeitung Asahi sogar schon einen Beamten aus der Präfektur-Verwaltung, der Gouverneurin Yuriko Koike nahelegt, die Absage nicht mehr auszuschließen. Die aktuellen Coronavirus-Zahlen kann man nicht ausblenden. In Tokio herrscht gerade ein Notstand, der nach Ansicht vieler Leute zu kurz geplant ist.

Schön wäre es, wenn die Zeiten so wären, dass Olympia stattfinden könnte. Aber es deutet sehr viel darauf hin, dass die Zeiten noch nicht so sind. Mit jedem neuen Tag, an dem man die ernsthaften Gedanken dazu von sich wegschiebt, verschlimmert man die Auswirkungen, die eine Absage hätte. Aber offensichtlich wollen die Olympia-Planer sich mit diesen ernsthaften Gedanken nicht befassen. Shigeru Omi hat zuletzt im Gesundheitsausschuss des japanischen Parlaments gesagt, dass Japans Regierung sein Subkomitee in der Olympiafrage nicht um Rat gebeten habe.

Japans Regierung und das IOC sind also zu einer unbefangenen Sicht auf die Gesamtsituation nicht in der Lage. Das bedeutet, dass andere sich damit befassen müssen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zum Beispiel, die ja ohnehin mit dem IOC zusammenarbeitet, oder andere Regierungen oder Sportverbände. Auch die Bundesregierung und der Deutsche Olympische Sportbund müssen endlich eindeutig und ausdrücklich klären, ob sie es verantworten können, die pandemischen Spiele zu unterstützen.

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