Süddeutsche Zeitung

Deutsche Fußballer:Vorn ist immer was möglich, hinten leider auch

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Die dünn aufgestellte deutsche Auswahl bezwingt Saudi-Arabien in einem wilden Spiel 3:2 - verliert aber einen weiteren Spieler durch Platzverweis. Max Kruse fällt vor allem nach dem Schlusspfiff auf.

Von Holger Gertz, Yokohama

Max Kruse, einer der wenigen nennenswerten Freigeister im deutschen Fußballbetrieb, hatte schon zu seiner Zeit bei Werder Bremen als Mannschaftskapitän bemerkenswerte Energien freigesetzt. Er regelte die Dinge auf dem Platz, und wenn die Fieldreporter von Sky erschienen, setzte er sein Steinbeißergesicht auf und nahm das Team in Schutz, gegen jede Kritik, aber auch gegen jede Lobhudelei. Der absichtsvoll grimmige Kapitän Kruse ließ seine verbindlichen Mitspieler wachsen, und als er weg war, war da ein Loch im Bremer Spiel, das ging bis heute nicht mehr zu.

Nachvollziehbar, dass Kruse nun - nach der Sperre von Maximilian Arnold aus dem Brasilien-Spiel - zum Kapitän der verunsicherten und nicht eingespielten deutschen Olympiamannschaft promoviert worden ist. Das kennt er ja: ein wackliges Konstrukt stabiler machen durch eigene Spielintelligenz, eigenes Selbstbewusstsein. Nachdem die brasilianischen Olympiasieger die Deutschen beim 4:2 im ersten Spiel sauber filetiert hatten, sagte Kruse: "Wir müssen versuchen, das wenige Positive rauszuziehen." Was das gewesen sein soll, sagte er nicht. Ein Motivator muss uneindeutig bleiben, jedenfalls gegenüber der Öffentlichkeit. Eindeutig war Kruse, was die Vorgabe fürs Spiel gegen Saudi-Arabien am Sonntag in Yokohama angeht: "Jeder, der die Tabelle lesen kann, weiß, dass es ein Endspiel ist." Botschaft also: Da ist jetzt Druck. Aber dem Druck sind wir gewachsen.

Das Spiel der Deutschen erinnert wieder an den jüngeren Bremer Fußball

Nun zählt das Stadion in Yokohama zu den trostloseren Arenen dieser menschenleeren Olympischen Spiele. Weitläufig, mit Tartanbahn - ohne Zuschauer ist da jeder Spieler lost. Das Team von Stefan Kuntz fing sich dennoch, Stratege Kruse dirigierte seine Kollegen, aber tatsächlich erinnerte die Partie nicht nur wegen Kruse an den nervenzerfetzenden, absicherungsfreien Bremer Fußball der vergangenen Jahre. Vorn ist immer was möglich, hinten leider auch. Obwohl das Team nach einer sauberen Kombination früh durch Nadiem Amiri führte (11. Minute), ergab sich daraus nicht der Hauch von Sicherheit. Ewig die Räume offen, nach einer halben Stunde ließ Tormann Florian Müller den Ball prallen, Sami Al-Najei nutzte dies zum 1:1. Noch vor der Pause hatte der hervorragende Salem Al-Dawsari eine klare Chance, David Raum hielt so gerade noch den Fuß dazwischen. Dann aber löffelte Amos Pieper dem Kollegen Ragnar Ache den Ball in den Lauf, der machte was draus, im zweiten Anlauf, 1:2. Wie aus dem Nichts. Wobei: In dieser Atmosphäre der Leere kommt alles, was passiert, aus dem Nichts.

Über die Abstellungsproblematik um die deutsche Mannschaft ist viel geredet worden, und natürlich ist und bleibt es ein unmöglicher Zustand: dass ein Trainer bei den Vereinen betteln muss, um ein Team für Olympia zusammenzukriegen. Dann sollten sie in Zukunft gern anderen Nationalteams den Platz freiräumen. Denn wenn man schon unterbesetzt ins Turnier zieht, muss man sich nicht wundern, dass man die Probleme kriegt, die Kuntz nun hat. Aus 14 Feldspielern konnte er zuletzt wählen, nach der roten Karte aus dem Spiel gegen Saudi-Arabien fehlt jetzt auch Pieper.

Saudi-Arabien, dessen Sicherheit im Kombinationsspiel die Deutschen offensichtlich überraschte, schaffte dann gleich nach der Halbzeit das 2:2, wieder Al-Najei, bevor das Team Deutschland sich tatsächlich nach Piepers Platzverweis noch einmal in Front wuchtete, Kopfball Uduokhai, und zwar nach einer passgenauen Ecke des zwischenzeitlich abgetauchten Max Kruse. Auch hier wieder: die Bremer Lösung, ein Standard des Strategen. Nach dem Spiel schlug erst recht seine Stunde, als er in einem TV-Interview seiner Freundin von Kontinent zu Kontinent einen Heiratsantrag unterbreitete. "Wir sind ja schon ein paar Monate zusammen, fast ein Jahr. Falls du das lesen kannst, frage ich dich, ob du meine Frau werden willst", sagte Kruse breit lächelnd. Später verkündete er mit einem "She said YES" bei Instagram strahlend die Einwilligung, dazu lief ein Video aus dem Mannschaftsbus mit Kruse und seinen ebenfalls übermütig singenden Teamkollegen.

Mal sehen, wo er mit seinen Gedanken beim nächsten Spiel gegen die Elfenbeinküste sein wird.

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