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Basketball bei Olympia:Ernte des Sommers

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Die deutschen Basketballer ziehen zum ersten Mal seit 1992 in ein Olympia-Viertelfinale ein. Um gegen Slowenien, den nächsten Gegner, zu bestehen, muss die Auswahl nun ihre Fahrigkeit überwinden.

Von Thomas Hahn, Tokio

Glückwünsche nach Niederlagen kann der NBA-Profi Moritz Wagner sowieso nicht gebrauchen. Aber nach dem 76:89 mit dem deutschen Nationalteam gegen Australien im letzten Gruppenspiel des olympischen Basketballturniers in Saitama war er erst recht nicht bereit, schon über einen historischen Erfolg nachzudenken. "Das wäre respektlos gegenüber den Tschechen", sagte er. Die spielten am Abend nämlich noch gegen die USA, und es hätte ja theoretisch sein können, dass sie entweder gewinnen oder zumindest so knapp verlieren, dass sie sich als besserer Gruppendritter für das Viertelfinale qualifizieren. Moritz Wagner fing also erst gar nicht an, über die beste Olympia-Platzierung einer deutschen Basketball-Auswahl seit 1992 zu sinnieren. Nur so viel sagte er: "Dieser Sommer hat uns generell weitergebracht."

Die Vorsicht ehrte den 24-jährigen Power Forward. Allerdings war die Sorge unbegründet, denn die Tschechen waren den Amerikanern dann erwartbar 84:119 unterlegen, keine Chance. Damit ist es amtlich: Zum ersten Mal seit den Spielen in Barcelona hat das Männerteam des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) das Viertelfinale bei den Olympischen Spielen erreicht. Nächster Gegner am Dienstag ist nun Europameister Slowenien, der sich, angeführt von NBA-Spieler Luka Doncic, im Turnier noch keine Blöße gab.

Den Aufstieg schaffte die DBB-Auswahl nicht ohne Schrammen. Die unnötig hohe 82:92-Niederlage gegen Italien zum Auftakt schmerzte sehr. Das schöne 99:92 über Nigeria war harte Arbeit. Und gegen Australien waren sie letztlich chancenlos. Trotzdem, das Olympia-Abenteuer ist ein Gewinn für die deutschen Basketballer. Schon der Umstand, dass es überhaupt stattfindet, ist ein Fortschritt. Der Finalsieg gegen Brasilien im Qualifikationsturnier von Split Anfang Juli war ein Lebenszeichen, wie man es schon lange nicht mehr von einem deutschen Basketballteam gesehen hatte. Dass die Mannschaft jetzt auch noch versuchen darf, mit einem Favoritensturz unter die letzten Vier zu gelangen, steigert das gute Gefühl. "Wir haben gezeigt, dass Basketball in Deutschland Spaß machen kann", sagte Power Forward Danilo Barthel von Fenerbahce Istanbul.

Diverse Spitzenkräfte fehlen - doch die Notmannschaft überzeugt

Das haben sie. Allerdings haben sie auch gezeigt, was dieser Mannschaft noch fehlt, um etablierte Konkurrenten so richtig ins Schwitzen zu bringen. Das DBB-Team dieses Sommers ist in gewisser Weise eine Not-Mannschaft, weil diverse Spitzenkräfte nicht zur Verfügung stehen, etwa der NBA-Profi Dennis Schröder, dessen Olympia-Einsatz den Verband eine zu hohe Versicherungssumme gekostet hätte.

Mit Teamgeist und Begeisterung steigerte sich diese Notauswahl in Split in ein Leistungshoch hinein, und auch in Saitamas Super-Arena, der Basketball-Außenstelle der Tokio-Spiele, spielte sie im Grunde nicht schlecht. Italien hatten die Deutschen lange im Griff. Nigeria rangen sie am Ende nieder. Und selbst gegen Medaillenanwärter Australien gelang ihnen nicht nichts. Die Rebound-Quote zum Beispiel war sehr gut. Und in manchen Phasen setzten sie den Australiern auch in der Offensive so zu, dass diese mit ernsten Gesichtern die Köpfe zusammensteckten. Trotzdem haben sie ein Problem: Sie neigen zur Fahrigkeit.

Den Deutschen entgleitet zu oft der Ball im Spielaufbau. Das war gegen Italien und Nigeria schon so, und auch gegen Australien verbauten sie sich so ein besseres Ergebnis. Das Team um Kapitän und Topscorer Patty Mills verteidigt mit viel Lust am Angriff. Ballsicherheit ist da besonders wichtig. Aber die konnten die Deutschen nicht durchhalten. Sie waren in der zweiten Hälfte noch gut im Spiel. Es stand 50:50 und 55:55. Dann kam eine ganze Serie leichter Ballverluste und die Australier enteilten. 18 Turnovers wies die Statistik am Ende aus. "Das hat nicht geholfen", stellte Bundestrainer Henrik Rödl trocken fest. "Wir müssen über die vollen 40 Minuten konzentriert bleiben", sagte Danilo Barthel. "Man muss den Fokus hochschrauben", sagte Moritz Wagner.

Wenn sie den Ball auch im Viertelfinale gegen die Slowenen immer wieder verlieren, werden sie die Runde nicht überstehen. Das Niveau ist hoch bei Olympia, und es ist auch nicht mehr so, dass alles auf einen Goldgewinn der Amerikaner hinausläuft. Gleich ihr erstes Spiel verloren die gegen Frankreich. Sowohl Spanien als auch Slowenien fegten in der Vorrunde teilweise derart erbarmungslos über Team Japan hinweg, dass auch dessen NBA-Star Rui Hachimura nichts ausrichten konnte.

"Wir haben gegen jede Mannschaft eine Chance, aber dann müssen wir das beste Spiel dieses Sommers spielen", sagt Rödl. Immerhin, zu verlieren gibt es nichts mehr. Ein großes Ziel ist erreicht. Auch für Moritz Wagner, der diese Woche noch einen anderen Höhepunkt erlebte. Sein jüngerer Bruder Franz wurde bei den NBA-Drafts schon an Position acht von den Orlando Magic gezogen, bei denen auch er selbst zuletzt unter Vertrag stand. "Das macht einen fast sprachlos, wenn man so einen erfolgreichen Bruder hat", sagte Moritz Wagner nach dem Australien-Spiel. Die Glückwünsche dazu fand er eindeutig angemessen.

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