Süddeutsche Zeitung

Nils Petersen beim SC Freiburg:Vollstrecker in Altersteilzeit

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Nils Petersen, 34, kommt beim SC Freiburg nur noch selten zum Einsatz. Umso wertvoller ist für den Stürmer sein Tor im Pokal gegen den Zweitligisten Sandhausen.

Von Sebastian Leisgang, Sandhausen

Ein bisschen komisch war das schon. Es gab keine einzige Umfrage, niemand erhob eine Statistik, kein Mensch rechnete nach, wie lange Nils Petersen nicht mehr getroffen hat. Das Minutenzählen ist ja längst zu einer Art Volkssport geworden. Wenn ein Stürmer eine gewisse Zeit lang kein Tor mehr geschossen hat, sitzt immer irgendwo einer, der es genau wissen will und den Taschenrechner aus der Schublade holt. Minuten zu zählen, hält nicht nur dem Stürmer den Spiegel vor, sondern auch den aufgeheizten Betrieb am Laufen. Die Leute machen sich dann einen Spaß daraus, wenn der Stürmer den Ball mal wieder vor dem Tor verstolpert oder aus zwei Metern am Kasten vorbeischießt. Wer Blockaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, doch bei Petersen war es anders.

Das liegt zum einen daran, dass Petersen in der Schwarzwald-Oase Freiburg spielt, wo sie sich schon seit Jahren erfolgreich weigern, die Aufgeregtheiten der Branche mitzumachen. Zum anderen liegt es daran, dass das Minutenzählen bei Petersen den Sinn des Minutenzählens untergraben würde. Das Rechnen lebt ja davon, imposante Zahlen unter die Leute zu bringen, doch Petersen spielt in aller Regel nicht länger als 20 Minuten.

Petersen, 34, ist ein ziemlich erstaunlicher Spieler in diesem Höher-schneller-weiter-Betrieb, zu dem der Fußball wurde, als er noch beim FC Bayern München war. Mehr als zehn Jahre ist das mittlerweile schon her, und Petersen hat sich seitdem erfolgreich geweigert, beim Höher-schneller-weiter mitzumachen. Bei anderen Mannschaften könnte er immer noch erste Wahl sein, in Freiburg ist er längst in Altersteilzeit. "Realismus und Selbstreflexion sind immer angebracht", sagte Petersen am Dienstagabend, als er in den Katakomben des Sandhäuser Stadions stand. Er weiß ja, dass es auch die Spielanlage ist, die es ihm nicht gerade leicht macht, seinen Platz zu finden. Die Freiburger spielen keinen Sturm-und-Drang-Fußball, wie es andere Mannschaften tun, die öfter gewinnen als verlieren. Die Freiburger spielen Kollektivfußball, ihr Erfolg beruht auch darauf, dass die Stürmer nicht bloß zur rechten Zeit am rechten Ort sind, wenn Christian Günter eine Halbfeldflanke geschlagen oder Vincenzo Grifo eine Ecke getreten hat.

"So unwichtig es in dem Moment vielleicht auch war: Für mich persönlich war es wichtig."

In Freiburg sind Stürmer die ersten Verteidiger, doch Petersen definiert sich über das, wofür Stürmer in erster Linie da sind: Angriffe abzuschließen und Tore zu erzielen. Petersen ist, wie er am Dienstag selbst sagte, "ein Vollstrecker". Und wenn der Vollstrecker nicht vollstreckt, sitzt er eben auf der Bank. Petersen weiß das, auch im Achtelfinale des DFB-Pokals war das zunächst so. Als er dann aber in der 83. Minute eingewechselt wurde, fiel erst das 1:0, dann traf Petersen mit einem Linksschuss in den Winkel, nachdem ihm Sandhausens Torwart Patrick Drewes den Ball in den Fuß gespielt hatte. Es war erst sein zweites Tor in dieser Saison, zuvor hatte er nur in Aserbaidschan getroffen, bei einem 1:1 in der Europa League gegen Qarabag. "Das ist ein Stürmerding", sagte Petersen nach dem Spiel, "wenn man lange nicht getroffen hat, sehnt man sich einfach nach diesem Erfolgserlebnis. So unwichtig es in dem Moment vielleicht auch war: Für mich persönlich war es wichtig."

Einem Stürmer ist es vollkommen egal, ob er in Aserbaidschan, Sandhausen oder gegen den HSV trifft. Tor ist Tor, da macht Petersen keinen Unterschied. Er will einfach vollstrecken, gerade jetzt, da die Spiele den Freiburgern nicht mehr so leicht vom Fuß gehen wie im vergangenen Jahr. Auch in Sandhausen waren es zähe 90 Minuten, aus denen durchaus 120 hätten werden können, wenn Grifo kurz vor Schluss nicht diese eine Ecke getreten hätte, die Freiburgs Sieg durch ein Sandhäuser Eigentor auf den Weg brachte. "Es kann schon sein, dass uns ein bisschen die Unbekümmertheit aus der Hinrunde noch fehlt", sagte Petersen, "wir hatten einen Lauf, und auf einmal war die Saison fast drei Monate unterbrochen". 68 Tage, um genau zu sein. Aber Nils Petersen hatte natürlich nicht nachgerechnet.

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