Süddeutsche Zeitung

Nike und das Oregon Project:Trotzig bis zum bitteren Ende

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So richtig es ist, das Oregon Project stillzulegen, so fatal liest sich die Begründung des Nike-Konzerns. Für Konstanze Klosterhalfen bedeuet das Aus eine große Chance.

Kommentar von Johannes Knuth

So pompös wie es begonnen hatte, so schmucklos nahm es sein Ende. Am Freitag waren die Profile des Nike Oregon Projects (NOP) auf einmal aus den digitalen Weiten verschwunden. Wer die Website ansteuerte, der lief in eine Fehlermeldung: "Forbidden", Zugriff verboten. So versank also ein Unterfangen, das vor 18 Jahren mit der Mission ins Leben gehoben wurde, Afrikas Dominanz im Langstreckenlauf zu brechen, mit dem Besten aus Training, Medizin und Wissenschaft. Ehe es zuletzt für vieles stand, was im Sport falsch läuft.

Wenn man die Abschiedsbotschaft studierte, die der Hauptsponsor Nike am Freitag in die Welt setzte, glaubte man fast, der Weltkonzern sei Opfer einer Allianz aus Neidern und Miesepetern geworden. "Die Situation und die unbegründeten Behauptungen lenken viele Athleten ab und beeinträchtigen sie dabei", sich auf Training und Wettkampf zu konzentrieren, hieß es in einer Mitteilung, bei der die Bockigkeit aus jeder Zeile triefte. Die "Situation", zur Erinnerung, ist die: Salazar, Gründervater, Chefideologe und bis zuletzt Cheftrainer des NOP, wurde von einem Schiedsgericht für vier Jahre gesperrt, weil er laut US-Anti-Doping-Behörde Usada von 2010 bis 2014 Dopingpraktiken "orchestrierte und ermöglichte", mithilfe eines ebenfalls gesperrten Arztes. Salazar streitet das ab und will das Urteil anfechten. Die Firma Nike beschwor am Freitag noch mal die Allianz zu dem Coach, während sie zugleich beteuerte, man stehe für sauberen Sport. Aha.

So richtig es ist, das NOP stillzulegen, so fatal liest sich die Begründung des Konzerns. Nicht der Trainer hat demnach den gewaltigen Flurschaden verursacht - sondern all jene, die die Verstöße freilegten und so die heutigen NOP-Athleten "beeinträchtigen". Kein Wort an Kronzeugen wie die früheren NOP-Athleten Kara Goucher und Dathan Ritzenhein oder den ehemaligen Trainer Steve Magness, ohne die keine Untersuchung angerollt wäre, an der ein porentief reiner Konzern wie Nike interessiert sein müsste. Kein Wort zur Rolle des Nike-Chefs Mark Parker, der laut E-Mails wusste, dass Salazar an seinen Söhnen mit Testosteroncremes experimentierte. Kein Dank bislang auch von Sebastian Coe, dem Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes, an die Kronzeugen, die ihm angeblich am Herzen liegen. Coe wurde fast vier Jahrzehnte von Nike alimentiert, sie haben ihm auf dem Campus in Beaverton ein Gebäude gewidmet, wie auch Salazar. Coe hat seinen Beratervertrag mit dem Konzern jedenfalls erst aufgelöst, als er schon IAAF-Präsident war. Aber nicht etwa wegen des Interessenkonflikts, sondern weil damals "zu viel Lärm" darum veranstaltet wurde, wie Coe fand. Klingt irgendwie vertraut.

Und Konstanze Klosterhalfen? Weder sie noch ein Athlet aus dem aktuellen NOP-Team, das in Doha sieben Medaillen gewann, wurden positiv getestet. Aber darum ging es auch nie. Es ging immer um den Reputationsverlust, den sie dank ihres Umzugs nach Oregon erlitten hat - und der von dem Umfeld ausstrahlte, in dem bis 2014 offenbar mehrmals die Regeln gebrochen wurden. Auch Pete Julian, bis zuletzt Klosterhalfens Trainer (der ebenfalls jegliches Fehlverhalten abstreitet), stieß im untersuchten Zeitraum zum NOP. Laut dem Zwischenreport der Usada von 2017 begleitete er eine Athletin 2012 zu einer der umstrittenen Infusionen und warnte andere in einer E-Mail vor den Langzeitfolgen des Nasensprays Calcitonin, das der Cheftrainer seinen Athleten empfohlen hatte. "Alles deutet darauf hin", hieß es zuletzt aus dem Umfeld der Usada, dass es nur eine Geschäftskultur im NOP gab - "die von Alberto".

Das NOP-Aus bietet Klosterhalfen da tatsächlich eine Chance: nämlich den Schaden zu kitten, den der Umzug in Salazars Schatten angerichtet hat.

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SZ vom 12.10.2019
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