Süddeutsche Zeitung

Colin Kaepernick:Er hat gezeigt, wie es geht

Lesezeit: 4 Min.

Der Footballer Colin Kaepernick hat gewaltfrei gegen Rassismus protestiert - Donald Trump erklärte ihn zur unerwünschten Person. Doch nun, da die Gewalt eskaliert, schätzen ihn auch viele Gegner.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist wichtig, sich jetzt, da es in den Vereinigten Staaten an allen Ecken und Enden brennt, noch einmal an diesen Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt aus dem Jahr 2016 zu erinnern. Es ist der 1. September, die Football-Franchise San Francisco 49ers absolviert das letzte Testspiel vor Beginn der Saison gegen die San Diego Chargers. Colin Kaepernick, Quarterback der 49ers, randaliert während des Abspielens der Nationalhymne vor der Partie nicht, er wirft keine Steine, er redet noch nicht einmal. Er kniet.

Es ist ein Bild, das sich ins Gedächtnis von Sportfans und vielen anderen brennt, wie das Foto von Olympia 1968 in Mexiko, als die afroamerikanischen Sprinter Tommie Smith und John Carlos ihre Fäuste während der US-Hymne in den Himmel reckten. Kaepernicks Kniefall ist aber noch mehr. Die Geste wird in diesen Tagen auf eine noch höhere Ebene gehoben. Es brennt in den USA, weil der weiße Polizist Derek Chauvin vor gut einer Woche in Minneapolis sein Knie auf den Hals des Afroamerikaners George Floyd gedrückt hat. Acht Minuten und 46 Sekunden lang, dann ist Floyd gestorben. Das Bild, das niemand vergessen kann: Chauvin kniet.

Die Aufnahme von Kaepernick aus dem Jahr 2016 ist auch deshalb im Moment so bedeutsam, weil US-Präsident Donald Trump am Montag behauptete, nichts gegen friedliche Proteste zu haben - die Leute sich aber nun an all das erinnern, was Trump damals über Kaepernicks eindeutig friedlichen Protest gesagt hat: "Wäre das nicht großartig, wenn ein Vereinsbesitzer sagen würde: Schafft diesen Hurensohn vom Feld!" Oder: "Du solltest für die Hymne stehen, oder du solltest nicht spielen. Vielleicht solltest du überhaupt nicht in diesem Land sein."

Von Trump wurde Kaepernick zur unerwünschten Person erklärt

Trump hat Kaepernick damals beleidigt und zur unerwünschten Person erklärt, in der Footballliga NFL und in den USA, und genau das ist passiert: Kaepernick bekam Morddrohungen, es hieß, er sei gegen Polizisten und Soldaten und gegen das ganze Land; ein ranghoher Mitarbeiter der Liga schimpfte ihn "Verräter". Als sein Vertrag mit den 49ers im März 2017 endete, wollte ihn keines der 32 NFL-Teams verpflichten. Er ist seitdem arbeitslos, obwohl sich fast alle Experten einig sind, dass Kaepernick auch jetzt, mit 32 Jahren und nach drei Jahren Pause, ein besserer Quarterback wäre als rund ein Viertel der Stammspielmacher. Und angesichts brennender Städte stellt sich die Frage: Hat Kaepernick nicht damals gezeigt, wie das funktioniert mit friedlichem und doch kräftigem Protest?

Er ist nicht der erste US-Sportler, der seine Karriere wegen des gesellschaftlichen Engagements riskiert hat, Smith und Carlos wurden 1968 von den Spielen nach Hause geschickt. Muhammad Ali durfte in der Blüte seiner Laufbahn dreieinhalb Jahre nicht boxen, weil er sich weigerte, den Wehrdienst anzutreten, er sagte: "Kein Vietcong hat mich je Nigger genannt." Der Sport und seine Darsteller werden in den USA seit jeher politisch gesehen, gerade beim Kampf gegen Rassismus, und nun sind erstaunliche Parallelen zwischen Kaepernick und Leuten wie Smith, Carlos und Ali zu entdecken.

Sie alle wurden zunächst geschmäht für ihr Engagement; ihre Aktionen und auch ihre Worte wurden kritisch beäugt und debattiert. Erst nach Jahren änderte sich die Lesart, nun stehen sie als Symbole für den Kampf gegen Rassismus - wie auch Jackie Robinson, der erste Afroamerikaner in der Baseballliga MLB, der zu Beginn seiner Karriere im Jahr 1947 bei den Brooklyn Dodgers bei fast jedem Spiel rassistisch beleidigt wurde. Einmal grätschte ihn der Gegner absichtlich so um, dass er eine 18 Zentimeter lange Narbe am Fuß behielt. Mittlerweile wird seine Rückennummer 42 ligaweit nicht mehr vergeben, er steht als Symbol für die Haltung, auf Hass und Fouls nicht mit Gewalt zu reagieren, sondern mit grandiosen Leistungen im Spiel.

Also: Wie sehen die Amerikaner mittlerweile diesen Colin Kaepernick, der nun nach Floyds Tod auf Twitter schrieb: "Wenn Höflichkeit zum Tod führt, dann ist Revolte die einzig logische Reaktion. Die Rufe nach Frieden werden auf taube Ohren stoßen, eure Gewalt sorgt für diesen Widerstand. Wir haben das Recht, dagegen anzukämpfen. Ruhe in Kraft, George Floyd."

Man kann von Kaepernick halten, was man möchte, und wer ihm begegnet ist, der weiß, dass er stolz und stur sein kann - nur: Man darf ihm nicht vorwerfen, dass er seinen Protest leichtfertig gewählt hätte. Er hatte sich mit dem ehemaligen Soldaten und NFL-Spieler Nate Boyer getroffen, der ihm riet zu knien. Bei den ersten Protesten hatte er auf der Ersatzbank gesessen, das hatte nur kaum jemand bemerkt. Boyer erklärte ihm dann, dass das zu lapidar sei.

Kaepernick kniete also schweigend, und wenn er sprach, dann erklärte er deutlich, dass sich dieser Protest keineswegs gegen Soldaten oder Polizisten richte: "Es geht um ein System, das Dunkelhäutige unterdrückt." Es sei ihm 2016 auch egal gewesen, ob Trump oder Hillary Clinton die Wahl gewinnen würde. (Vielleicht war Trump auch deshalb so erbost - das Gegenteil von Liebe ist ja nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.) Um zu zeigen, dass es ihm auch nicht ums Geld ging, spendete Kaepernick eine Million Dollar und gründete die Stiftung Know Your Rights Camp, die nun übrigens Leuten hilft, die wegen friedvoller Proteste juristische Probleme haben und sich keinen Anwalt leisten können.

Mehr noch: Es kam heraus, dass die Entscheidung der NFL-Franchises, Kaepernick nicht mehr zu beschäftigen, keine sportliche war und auch keine politische - sondern eine finanzielle. Die Verantwortlichen hatten einen Rückgang der Einnahmen wegen des Fan-Furors befürchtet, schrieb der ehemalige NFL-Manager Joe Lockhart am Wochenende bei CNN: "Ich dachte, wir hätten damals richtig gehandelt - aber wenn ich mir nun ansehe, was in Minneapolis passiert ist, verstehe ich, wie schrecklich falsch wir lagen." Bei einer außergerichtlichen Einigung musste die NFL knapp zehn Millionen Dollar an Kaepernick bezahlen.

Der wird nun deutlich positiver gesehen als zu Beginn seiner Proteste - auch angesichts dessen, was gerade in mehr als 150 US-Städten passiert. Wer sich umsieht, dürfte bemerken, wie Kaepernick das gesellschaftliche Engagement von Profisportlern weltweit beeinflusst hat; ob es Botschaften auf Shirts sind wie in der Fußball-Bundesliga, deutliche Worte einflussreicher und bislang eher unpolitischer Leute wie Michael Jordan ("Wir haben genug") oder die Kaepernick-Hommage des FC Liverpool, bei der sich alle Spieler am Mittelkreis versammelten und knieten.

Auch die NFL - eine Meisterin in der Kunst, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren, wenn es dem Geschäft dienlich ist - hat ihre Einstellung zu Kaepernick geändert. Liga-Chef Roger Goodell, bei politischen Themen gewöhnlich eher mit einer Dreifachschicht Teflon überzogen, schrieb in einem Statement: "Es braucht ganz dringend Maßnahmen."

Na dann: Die NFL änderte den Status von Kaepernick auf ihrer Website am Montag von "retired" (in Rente) zu "Unrestricted Free Agent": zum vertragslosen Spieler also, der sofort von jedem Team verpflichtet werden darf.

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Quelle:
SZ vom 03.06.2020
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