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Neuer England-Coach Sam Allardyce:Englands neuer Nationaltrainer will's den Schnöseln zeigen

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Sam Allardyces, genannt "Big Sam", durfte nie ein Spitzenteam trainieren. Bei den Three Lions will er sich mit seinen speziellen Methoden beweisen.

Von Raphael Honigstein, London

José Mourinho war am Dienstag der erste prominente Kollege, der Sam Allardyces Ernennung zum englischen Nationaltrainer kommentierte, allerdings mit einer kaum verhüllten Beileidsbekundung. "Nun, es ist euer Land, und ich denke, ihr seid ein sehr kompliziertes Land, egal, wer den Job bekommt", sagte der portugiesische Übungsleiter von Manchester United englischen Reportern.

So kompliziert war die Trainersuche nach dem Rücktritt von Roy Hodgson infolge der EM-Achtelfinal-Niederlage gegen Island aber gar nicht ausgefallen. Wunschkandidat Arsène Wenger wollte nicht aus seinem laufenden Vertrag bei Arsenal aussteigen, die vom Verband als unabdingbar erklärte Premier-League-Erfahrung ließ von allen verfügbaren, seriösen Bewerbern nur Allardyce, 61, vom beharrlich abstiegsbedrohten Sunderland AFC übrig.

Der ehemalige Innenverteidiger coacht seit 2001 ununterbrochen in dem von ausländischen Trainern dominierten Oberhaus, zwar auf eher bescheidenem Niveau, dafür aber mit dem richtigen Pass. "Big Sam", wie der 1,91 Meter große Mann auf der Insel genannt wird, war am Ende konkurrenzlos im Rennen unter den gerade mal vier Einheimischen auf den Bänken, zu denen noch Eddie Howe (Bournemouth), Alan Pardew (Crystal Palace), Steve Bruce (Hull City) zählen. "Zum Glück muss ich als Schotte nicht die Wahl treffen, aber Sam ist der beste englische Anwärter", sagte Trainerikone Sir Alex Ferguson (ehemals Manchester United). Der frühere Nationalstürmer Gary Lineker sieht das genauso. "Jede große Fußballnation hat Trainer aus dem eigenen Land, das sollte auch für England gelten. Sam Allardyce ist deswegen die beste Wahl", teilte der BBC-Experte via Twitter mit.

Seinen einzigen Titel gewann Allardyce in der dritten Liga

Allardyce galt kurz nach der Jahrhundertwende als einer der innovativsten Trainer in der Liga, er führte den Fußballzwerg Bolton in die Premier League und in den Uefa-Cup, arbeitete früh mit Videoanalysen im Training und cleveren Scouting-Methoden. 2006 bewarb er sich erstmals um die Nachfolge von Sven-Göran Eriksson bei den "Three Lions", doch die Nationalelf vertraute man ihm ebenso wenig an wie einen Spitzenklub.

Der Verschmähte wähnte sich verkannt und auf Grund seiner Herkunft von den überwiegend ausländischen Klubbesitzern benachteiligt. "Ich werde nie einen der vier Top-Vereine bekommen, weil mein Nachname nicht Allardici, sondern nur Allardyce ist", sagte er: "Es müssen hier schnöselige Ausländer sein, das ist quasi zur Vorschrift geworden. Aber sind die wirklich besser als die Trainer, die wir produzieren? Ich glaube nicht." Der gemeinhin seriöse Daily Telegraph notierte nach einem 3:0 gegen Norwich, dass Allardyce "mit der selbstzufriedenen Prahlerei eines Mannes, der seine eigenen Fürze genießt", über seine großen Siege rede.

Der Mangel an großen Titeln war seiner Reputation nicht zuträglich, die Meisterschaft konnte er nur in der dritten Liga gewinnen, mit Notts County. Das Klischee eines altmodischen Feuerwehrmanns, der seine Teams mit "Kick & Rush" über Wasser hält und gar "Fußball aus dem 19. Jahrhundert" praktiziert, wie einst Mourinho nach einem 0:0 gegen Allardyces West Ham beim FC Chelsea klagte, wird ihm jedoch nicht ganz gerecht.

Sunderland bewahrte er in der abgelaufenen Saison mit flachen Pässen auf den 1,71 Meter kleinen Jermaine Defoe vor dem Sturz in die Zweitklassigkeit. Seine Teams verteidigen in der Regel gut und machen viel aus ihren Möglichkeiten. "Diese Lange-Bälle-Scheiße, das bin ich nicht, ich bin ein Purist", erklärte er kürzlich. Die Football Association wäre aber schon mit einem gut organisiert spielenden England zufrieden. Als Experte für bereits abgeschriebene Mannschaften dürfte der große, selbstbewusste Sam in der derzeitigen Notlage nicht die schlechteste Wahl sein.

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SZ vom 22.07.2016
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