Süddeutsche Zeitung

Los Angeles Clippers:Probleme mit Onkel Dennis

Lesezeit: 4 min

Vor dem NBA-Saisonstart müssen sich die LA Clippers mit einer Klage befassen: Die Verpflichtung von Kawhi Leonard soll mit unlauteren Mitteln erfolgt sein.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt auf jeder Familienfeier diesen einen Onkel, um den man sich ganz besonders kümmern muss. Im Kreis der Familie, das wird an Weihnachten selbst bei virtueller Besinnlichkeit zu beobachten sein, muss die Tasse des Onkels stets gut gefüllt sein, man muss über die (mit jeder neuen Tasse anzüglicher werdenden) Witze lachen, und man muss ihn um Mitternacht zu Bett schicken, weil er sonst den Christbaum anzündet. Auch im Profisport gibt es immer wieder diesen Onkel, der aufgrund einer Nähe zu bedeutenden Mitgliedern der Familie permanent umschmeichelt und umworben werden will - und das kann zum Problem werden, weil dies beispielsweise in Nordamerikas Basketballliga NBA verboten ist.

Den Los Angeles Clippers wird derzeit genau eine solche Situation vorgehalten, und das stört die wegen der Pandemie ohnehin komplizierte Vorbereitung auf die Saison, die an diesem Dienstag eröffnet wird. Die Clippers zählen wie im Vorjahr zu den Favoriten, sie spielen zum Auftakt gegen den Ortsrivalen und Titelverteidiger Lakers. Sie haben nach der kolossalen Enttäuschung der Vorsaison - ein 3:1-Vorsprung im Viertelfinale gegen die Denver Nuggets wurde fahrlässig verspielt - den langjährigen Trainer Doc Rivers entlassen. Sie haben Assistent Tyronn Lue, 43, befördert, der als Cheftrainer mit den Cleveland Cavaliers 2016 den Titel gewann. Doch anstatt sich nach drei Niederlagen während der Vorbereitung aufs Sportliche zu konzentrieren, müssen sie sich jetzt erst einmal um Onkel Dennis kümmern.

Was ist Transfer-Manipulation und was im erlaubten Rahmen? Die Liga diskutiert über Regeln

Die Clippers sind vom ehemaligen Basketballprofi Johnny Wilkes verklagt worden, der einst an der Dorsey High School mit Dennis Robertson gespielt hat. Das ist der Onkel von Superstar Kawhi Leonard, 29, und es ist kein Geheimnis, dass Onkel Dennis der Kawhi-Flüsterer ist. Wilkes klagt gegen die Clippers offiziell wegen ausstehender Zahlungen in Höhe von 2,5 Millionen Dollar; interessanter ist der Grund dafür: Wilkes behauptet, er habe dabei geholfen, Leonard im Sommer 2019 von den Toronto Raptors zu den Clippers zu lotsen und dazu seine Kontakte zu Onkel Dennis genutzt.

Die Klage berührt einen heiklen Bereich im Tarifvertrag der NBA. Es ist nur zu streng festgelegten Zeiten erlaubt, um einen Spieler zu werben; außerhalb dieses Transferfensters ist Tampering (übersetzt: Manipulation) verboten. Das führt immer wieder zu Verwirrung und Unmut. Denn natürlich kontaktieren sich die Spieler vereinsübergreifend privat, per Textnachricht zum Beispiel. Oder wie lässt es sich interpretieren, dass Lakers-Superstar LeBron James in der vergangenen Saison Dennis Schröder während einer Partie umarmte und später die Qualitäten des deutschen Spielmachers von Oklahoma City Thunder lobte? Ist das schon Tampering? Immerhin spielt Schröder ab sofort bei den Lakers. Die Regeln werden immerzu kontrovers debattiert, Magic Johnson hörte 2019 auch deshalb als Lakers-Präsident auf: "Ich darf Spielern noch nicht mal zu einer tollen Partie gratulieren."

Johnny Wilkes behauptet nun, er habe seinem "besten Freund", Onkel Dennis, vor Beginn der Wechselperiode im Juli 2019 eine Botschaft der Clippers zukommen lassen: Leonard sei dort erwünscht, der Verein wolle um ihn und Paul George (der noch in Oklahoma unter Vertrag war) eine schlagkräftige Truppe aufbauen. Dennis Robertson würde von Clippers-Eigentümer Steve Ballmer ein Haus in Südkalifornien und ein Spesenkonto bekommen, zudem wolle der Milliardär und einstige Microsoft-Manager eine Marketingkampagne für 100 Millionen Dollar mit Leonard im Zentrum initiieren. Leonard sagte am 5. Juli zu, erst fünf Tage später erfolgte offiziell das Tauschgeschäft, das auch Onkel George nach L.A. brachte. "Die Infos waren wichtig", heißt es jetzt in der Klage.

Heftige Vorwürfe, denn Umgehungszahlungen an Angehörige oder Versprechungen auf finanzielle Großchancen sind außerhalb des Vertrags streng verboten, damit reichere Klubs kein Schlupfloch finden, um Spieler trotz der für alle Klubs geltenden Gehaltsobergrenze besser bezahlen zu können. Die NBA hat Ermittlungen eingeleitet, Leonard und die Clippers bestreiten die Anschuldigungen. Johnny Wilkes werde "nicht der Letzte sein, der irgendwie Geld haben will", sagt Leonard: "Ich bin in L.A. geboren und kenne viele Leute hier. Niemand hat meine Entscheidung beeinflusst."

Die Ermittlungen dürften Wochen dauern und den Saisonstart der Clippers begleiten. Der Klub hat die sportlichen Versprechen an Leonard bislang eingehalten: Paul George kam nicht nur aus Oklahoma, er hat mittlerweile seinen Vertrag verlängert und wird in den kommenden fünf Spielzeiten 226 Millionen Dollar verdienen. Zur neuen Saison holten sie den erfahrenen Korbbeschützer Serge Ibaka (Toronto Raptors) und den jungen Scharfschützen Luke Kennard (Detroit Pistons), und sie dürften versuchen, bis zum Beginn der Playoffs noch einen Spielmacher zu verpflichten. Sie wären dann noch stärker als in der Vorsaison, in der prognostiziert wurde, dass die Meisterschaft nur im Stadtduell mit den Lakers ( Battle of L.A.) entschieden werden könne.

Nur: Auch die Lakers wirken jetzt noch stärker als beim Titelgewinn im Oktober in der hermetisch geschlossenen Basketball-Blase von Florida. Nun kehren die Klubs in ihre Heimspiel-Hallen zurück, und speziell die Lakers wollen mit Spielmacher Schröder, der sich an der Seite von James und Anthony Davis pudelwohl zu fühlen scheint, noch schneller, aggressiver, attraktiver agieren. "Wir sind dabei, ein Gefühl füreinander zu entwickeln", sagt Schröder, 27. Dies hat Zeit zu reifen, denn in der Hauptrunde sind trotz des verspäteten Starts der 75. NBA-Saison erst einmal 72 Duelle (anstatt 82) zu bewältigen, bevor es in die Playoffs geht.

An diesem Dienstag kommt es also zum ersten Duell der Titelfavoriten. Und am Weihnachtstag spät abends, wenn der Onkel bei der Familienfeier den ersten Witz reißt, spielen die Clippers in Denver bei den Nuggets, an denen sie in der Vorsaison gescheitert sind. Das sind gleich zwei Härtetests. Und nicht nur wegen der Sache mit Onkel Dennis, sondern vor allem wegen der holprigen Vorbereitung prophezeien viele, dass es bereits nach diesen Partien wilde Debatten darüber geben dürfte, wie gut die neuen Clippers wirklich sind.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5154883
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.