Süddeutsche Zeitung

NBA-Finalserie:Gut gesetzte Koffeinspritzen

Lesezeit: 3 min

Die Finalserie zwischen den Golden State Warriors und den Boston Celtics lebt von strategischen Kniffen. Boston gewinnt die erste Partie, Spielmacher Marcus Smart erklärt sie den Zuschauern bemerkenswert offen - noch auf dem Spielfeld.

Von Jürgen Schmieder, San Francisco/Los Angeles

Es ist immer toll, wenn einem jemand eine Partie erklärt, der selbst dabei gewesen ist. Noch besser ist es, wenn dieser Experte aus erster Hand nicht mit Reportern spricht und auf Floskeln ausweicht, sondern seinen Kollegen live erklärt, was sie verdammt noch mal besser machen müssen - und man einfach zuhören darf. Die Basketballliga NBA hatte beim ersten Spiel der Finalserie zwischen den Golden State Warriors und den Boston Celtics Marcus Smart mit einem Mikrofon versehen; und der Celtics-Spielmacher lieferte wunderbare Analysen darüber, wie diese Partie lief.

"Nicht so weit fallen lassen", ermahnte er seine Kollegen zu Beginn, und es stimmte: Sie warteten auf Spielzüge der Warriors, da hatte deren Scharfschütze Stephen Curry längst ohne Abspiel geworfen oder auf seinen kongenialen Teamkollegen Klay Thompson gepasst - der auch sofort warf. Einmal lief Curry direkt nach dem Zuspiel nach hinten, weil er wusste, dass Thompson sowieso treffen würde. Es wirkte so, als hätte jemand den Celtics Schlaftabletten verabreicht, dabei war es die wartende Strategie, die einfach nicht zündete. Also sagte Smart: "Müssen wir anders machen. Ihr müsst eher und enger ran. Von dieser Position aus könnt ihr euch dann fallen lassen."

Auf dem Parkett konkretisierte Smart seine Anweisungen: "Wechsel, Wechsel" - die Aufforderung an einen Mitspieler, einen anderen Gegenspieler zu decken (und den bisherigen Gegenspieler an den Mitspieler zu übergeben). Kurze Pause, dann wieder: "Wechsel, Wechsel" - bis Smart zufrieden war. Nun sah es so aus, als hätte jeder Celtics-Akteur zwei Kannen Kaffee getrunken; aus einem Zehn-Punkte-Rückstand Mitte des zweiten Viertels wurde bis zur Pause eine Zwei-Punkte-Führung. "Sag' ich doch, so geht das", sagte Smart, als er die Kollegen kurz vor der Halbzeit abklatschte.

Boston dreht einen Rückstand im Schlussabschnitt in einen deutlichen Sieg

Das Spiel endete 120:108 für die Celtics, weil es in der zweiten Halbzeit weitere taktische Wechsel gab. Und die boten auch einen Ausblick darauf, wie diese Best-of-seven-Serie wohl laufen dürfte.

Golden State reagierte auf die strategischen Wechsel der Celtics zunächst, indem es den Korb attackierte und Leuten wie Otto Porter von der Drei-Punkte-Linie vertraute. Es sieht zwar simpel aus, wie sie Scharfschützen zu unbedrängten Würfen kriegen, es ist aber hoch kompliziert. Es ist kontrolliertes Chaos, mit unfassbar viel Laufarbeit und Geduld, es dauert beim Gegner, sich darauf einzustellen. Wieder wirkten die Celtics schläfrig.

"Jetzt wieder eher zurück, und Curry dort rüber schieben", sagte Smart. Also: Curry nach links drängen, von dort aus wirft er ein ganz klein wenig wackliger. Gegen Ende der Partie waren die Celtics wieder dort angekommen, wo sie taktisch begonnen hatten - doch war es nun goldrichtig. Die Punkteverteilung der letzten 310 Sekunden der Partie: 17:5 für Boston. "Es war klar, dass das so laufen würde", sagte Smart nach der Partie - nicht zu den Kollegen, sondern zu einer Reporterin auf dem Spielfeld. Er ergänzte: "Anpassen, anpassen, anpassen!"

Es gibt ja tatsächlich noch Menschen, die vor so einer Finalserie sagen: "Mögen die Besseren siegen", und das wirklich glauben. Die über den Ausgang des Champions-League-Finals den Kopf schütteln und über Glück und Götter philosophieren. Diese NBA-Finals sind ein Symbol dafür: Ja, Qualität ist wichtig, niemand schafft es ohne so weit. Nun aber kommt es drauf an: Wer liegt wem? Wer stellt sich wie auf, und auf seinen Gegner ein? Wer kann sein Spiel während der Serie verfeinern oder gar ändern - oder vielleicht sogar während einer Partie?

Statt "Mögen die Besseren gewinnen" heißt es wohl besser: Mögen die gewinnen, die sich auf den Gegner schlauer einstellen.

Wenn Basketball zu Hochgeschwindigkeits-Schach wird

Es beginnt bei den Spielmachern und Werfern: Da haben die Warriors gleich drei - Thompson, Curry und Jordan Poole -, die selbst an ordentlichen Tagen eine Partie allein entscheiden können. Sie harmonieren mittlerweile perfekt, hatten aber in den Playoffs keinen Gegner, der sich so gegen ihr Können stemmen kann wie die Celtics. Auf der anderen Seite mussten diese Celtics bislang nicht gegen eine Dreifach-Bedrohung bestehen, und nun wird es taktisch interessant, wie beim Hochgeschwindigkeitsschach.

Die Celtics haben in den Runden davor die von Experten als besser eingeschätzten - und freilich verletzungsgeplagten - Brooklyn Nets und Miami Heat in der Defensive übergeben, weil Bostons Verteidiger vielseitig genug dafür sind. Das taten sie in der ersten Final-Partie auch, aber Smart mahnte auch immer wieder: "Das ist nicht Miami. Ihr könnt nicht warten, ihr müsst von Beginn eines Spielzugs an eng dran sein - und dann dranbleiben."

Es geht häufig darum, dem Gegner die eigene Taktik aufzuzwingen

Sehr vereinfacht ausgedrückt läuft es beim Basketball so: Die Offensive will den Spieler mit der heißen Wurfhand in eine aussichtsreiche Position bringen, von der aus er unbedrängt werfen soll. Die Defensive will das Gegenteil erreichen, ein wackliger Werfer soll möglichst hektisch abschließen - sehr häufig kommt es deshalb darauf an: Wer kann dem anderen die Taktik aufzwingen, irgendwie? Also jetzt, für Spiel zwei: Können die Warriors über diese Übergaben der Celtics bessere direkte Duelle erzeugen? Wie bringen sie Spieler, die nicht Stephen Curry heißen, in bessere Positionen? "Film anschauen - und dann anpassen", sagte Warriors-Trainer Steve Kerr danach.

Spiel zwei findet in der Nacht zum Montag (zwei Uhr deutscher Zeit) statt, wieder in San Francisco. Und vermutlich wieder mit spektakulären Aktionen und Erklärungen vom Feld, die viele Zuschauer taktisch miträtseln lassen werden.

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