Süddeutsche Zeitung

Nationalmannschaft:Die späte Freiheit des Joachim Löw

Lesezeit: 3 min

Der Bundestrainer tut jetzt, was er für richtig hält - er muss nicht mehr abwägen, wem was passt. Nur das Spiel gegen Malta hat er heil zu überstehen.

Christof Kneer

Nur eines der beiden grausamen Spiele ist noch in den DFB-Archiven zu finden, das andere hat, zumindest offiziell, nie stattgefunden. Unter dem 16. Mai 2002 ist ein Testspiel gegen Österreich vermerkt, 6:2 endete es. Im Kleingedruckten steht, dass der Spieler Deisler in der 22. Minute ausgewechselt wurde, der Spieler Kehl kam für ihn. Vier Jahre später findet sich gar kein Eintrag, obwohl die DFB-Elf am 18. Mai 2006 nachweislich 7:0 siegte, gegen den FSV 63 Luckenwalde. Ein echtes Länderspiel war das zwar nicht, was aber nichts daran änderte, dass sich Philipp Lahm sehr echt verletzte. Beim Sturz über einen im Weg stehenden Verbandsligaspieler hatte er sich einen Sehnenriss im Ellbogen zugezogen, er schaffte es mit knapper Not zur WM 2006. Sebastian Deisler schaffte es 2002 nicht mehr - er hatte sich sein frisch operiertes Knie ramponiert.

Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass Bundestrainer solche Spiele kurz vor Turnierbeginn ungefähr so gerne mögen wie, sagen wir, eine öffentlich geplatzte Vertragsverlängerung. Dieses Mal ist es der 13. Mai, der dem aktuellen Bundestrainer Löw etwas unheimlich ist. Am Donnerstag trifft eine Light-Version seines WM-Kaders in Aachen auf Malta, und Löw hofft weniger auf ein 6:2 oder ein 7:0, sondern eher darauf, dass ihm ramponierte Knie und Ellbogen erspart bleiben. Löw respektiert den Anlass dieses Benefizspiels, aber für ihn beginnt die WM-Vorbereitung nicht mit dem Malta-Spiel. Für ihn beginnt sie direkt danach.

Löw hat oft genug erfahren, dass Bundestrainer in solchen Spielen nur schwer gewinnen können. Er kann sich noch gut an das WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan erinnern, das der DFB aus Löws Sicht ziemlich bundestrainerfeindlich konzipiert hatte. Das Spiel wurde nach Hannover vergeben, spätabends, mit stattlichen Eintrittspreisen: So mühte sich seine Elf nicht vor einem freundlich gestimmten Familienpublikum, sondern vor einer grummelnden Kulisse, die für sehr gutes Geld sehr guten Sport verlangte. Nach dem Spiel kam gleich die Frage: Herr Löw, warum ist die Euphorie um die Nationalelf verschwunden?

"Nach der WM ist alles möglich"

Aber inzwischen stellt sich die Frage, wie lange die Euphorie um die Nationalelf noch Löws Problem ist. Diese Situation hat es in der Geschichte des DFB ja auch noch nie gegeben: dass ein Bundestrainer die WM-Vorbereitung mit Abschiedsworten begrüßt. "Nach der WM ist alles möglich", sagte Löw dem Magazin Stern, "ich müsste ein Grundvertrauen spüren für meine Arbeit. Wenn so eine Grundunterstützung nicht da ist, wird es schwierig." Löw ist immer noch ernstlich verstimmt über den Verband, der erst eine Vertragsverlängerung unter öffentlichem Donnerhall platzen ließ und dem Bundestrainer pünktlich zum 50. Geburtstag ein Ultimatum auf den Tisch knallte. "Indiskretionen kränken mich und haben mich gekränkt", betonte Löw erneut. Um seine Zukunft mache er sich keine Sorgen, er habe "als Trainer gelernt, dass immer eine Tür aufgeht" - Sätze, die unter normalen Umständen unter akutem Banalitätsverdacht stehen würden. Unter den aktuellen Umständen ist dies aber eine spektakuläre Banalität: dass ein Bundestrainer, den Verbandschef Zwanziger am Dienstag offiziell umwarb ("Wir wollen mit Joachim Löw verlängern"), vor einem Turnier Abschiedsszenarien durchdekliniert.

Wer Löws Weg verfolgt hat, erkennt in seinen kühlen Grüßen an die Verbandsspitze aber auch das Kalkül des Sportlehrers. Von Freitag an, wenn er mit seinem Lightkader zum Trainingslager nach Sizilien aufbricht, interessiert Löw nur noch die Gegenwart. Er will dann üben, üben, üben, er will sich Sorgen machen über seine Stürmer oder den zweiten Innenverteidiger, aber nicht um die eigene Zukunft. Löw will dann wieder die Käseglocke über sein Team stülpen und sich nicht um den Käse kümmern, der draußen liegt. "Falls (...) ich den DFB verlasse, wäre es für mich absolut undenkbar, sofort bei einem Klub anzufangen", hat er deshalb noch schnell der Sport-Bild gesagt. Im Grunde war ja klar, dass Löw nicht direkt nach der WM zu einem Klub wechselt, der schon mitten mit der Saisonvorbereitung steckt - aber jetzt hat er es eben noch mal selbst gesagt. Damit es auch dem Letzten klar ist. Damit er im Trainingslager nicht ständig gefragt wird, ob er Trainer in Hamburg oder sonstwo wird.

Leute, die Löw nahestehen, sagen, dass ihm der mögliche Abschied vom DFB eine neue Freiheit verschafft habe. Mehr denn je tut Löw jetzt, was er für richtig hält, er muss nicht mehr abwägen, wem was passt oder wen er wie einbezieht. Erstaunlich unaufgeregt arbeitet der Sportlehrer an seinem WM-Plan: Er hat den Krisenstürmer Podolski liebevoll verwarnt, die Krisenstürmer Gomez und Klose hat er beruhigt, indem er ihnen eine Kadergarantie ausstellte, und in der Torwartfrage wird er garantiert nichts mehr überstürzen. Er kann und will es sich nicht leisten, zwei Kandidaten zu Ersatzkeepern zu degradieren. Vielleicht kommt die nächste Verletzung oder Formkrise, vielleicht braucht er sie noch. Es könnte bis Anfang Juni dauern, bis Löw seinen WM-Torwart vorstellt.

Joachim Löw ist jetzt wieder ein glücklicher Mensch, er darf wieder Sportlehrer sein. Er muss nur noch das Malta-Spiel überstehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.944056
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.05.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.