Süddeutsche Zeitung

Vertragspoker um Manuel Neuer:Ein unwidersprochener Verdacht

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Manuel Neuers Vorwurf des Geheimnisverrats lässt vor allem Sportdirektor Hasan Salihamidzic schwach aussehen - auch wenn der in schweren Zeiten punkten kann.

Von Christof Kneer und Benedikt Warmbrunn, München

Treffen sich drei Männer an einem Tisch. Der erste Mann wirft dem zweiten vor, dass er Verrat begangen habe. Der zweite Mann wirft dem ersten vor, dass er Anschuldigungen in die Welt gesetzt habe, die ihn, den zweiten Mann, schwächen. Der dritte Mann wiederum wirft dem ersten und dem zweiten Mann vor, dass es eine blöde Idee gewesen sei, sich über die Boulevardpresse Nachrichten zu schicken. Das, ungefähr, ist nun die Ausgangslage in den Verhandlungen zwischen dem FC Bayern und Kapitän Manuel Neuer, und trotz des Sturms, der am Wochenende über den Klub hinweggefegt ist, sollen die Verhandlungen fortgesetzt werden. Und zwar möglichst bald und möglichst geräuschlos, und: möglichst erfolgreich.

Am Montag, dem Tag nach Manuel Neuers nicht vom Verein autorisierten Interview in Bild am Sonntag, haben sie sich an der Säbener Straße zu einem kollektiven Schweigen entschlossen. Der FC Bayern will sich nicht äußern zu den doch drastischen Vorwürfen des Torwarts, der öffentlich Geheimnisverrat beklagt hatte; "ständig", so Neuer, seien zuletzt Details aus bisherigen Verhandlungsrunden publik geworden ("Das kenne ich so nicht beim FC Bayern"). Das Schweigen ist den Bayern einerseits leichter gefallen als an anderen Tagen, weil aufgrund der überaus praktischen Ausgangsbeschränkungen keine Gefahr besteht, am Klubgelände versehentlich in eine Kamera hineinzulaufen, nicht einmal in die des ewigen Frontreporters Uli Köhler. Andererseits ist das Schweigen doch keine so leichte Entscheidung, denn eines muss Bayerns Verantwortlichen ja auch gewesen klar sein: Durch ihr Schweigen steht einer der wichtigsten Männer im Organigramm weiterhin einsam in den Nachwehen des Neuerschen Sturmes.

Nach Neuers Interview war ja öffentlich geworden, was zuvor immer nur geraunt wurde: Dass sich in die Verhandlungen, an deren Ende der Torwart über den Sommer 2021 hinaus an den Klub gebunden sein soll, Differenzen eingeschlichen haben, nicht nur, was einzelne Eckdaten des Vertrages anbetrifft. Es geht auch um Stilfragen - und darum, wie man künftig weiter zusammenarbeiten kann.

Neuer hatte im Interview unter Zuhilfenahme seines Beraters Thomas Kroth beklagt, dass Verhandlungsdetails an die Öffentlichkeit geraten seien, obendrein falsche. Nur drei Männer seien an den Gesprächen beteiligt gewesen, hatte Kroth listig angemerkt; er ist also der erste Mann am Tisch, derjenige, der sich über den Geheimnisverrat beschwert. Der dritte Mann am Tisch, Oliver Kahn, Vorstandsmitglied der Bayern, gilt als Neuer-Freund, so sehen sie das in Neuers Lager und auch im Verein. Deswegen steht nun der zweite der drei Männer, Hasan Salihamidzic, als derjenige da, der Details lanciert haben soll - auf eine Art, die Neuer gierig erscheinen lässt (20 Millionen Euro pro Jahr, mitten in der Corona-Krise!). Namentlich wird Salihamidzic im Interview nicht beschuldigt, es ist daher weiterhin nicht ausgeschlossen, dass er nicht geplaudert hat - aber die Fährte, die Neuer/Kroth legen, ist demonstrativ so beschaffen, dass sie kaum andere Schlüsse zulassen soll.

Ebenso demonstrativ haben die Bayern nun darauf verzichtet, ihren Kapitän öffentlich zur Räson zu rufen und/oder mit einer Geldbuße zu belegen. Wer mag, könnte daraus fast ein gewisses Verständnis des Klubs für Neuer herauslesen, der als Motiv für sein Interview eine Art Notwehr geltend macht. Er will sein Image sauber halten und in Zeiten umfassender Kurzarbeit nicht als Raffzahn dastehen. Dass Neuers Vorwürfe vom Klub unwidersprochen bleiben, führt aber auch dazu, dass der, den der Kapitän geschwächt hat, nun noch ein wenig schwächer dasteht: Salihamidzic.

Die Vertragsverlängerung mit Davies ist eine gute Nachricht für Salihamidzic

Im Verein wollen sie ihr Schweigen indes nicht als unterlassene Hilfeleistung für ihren Sportdirektor gewertet wissen. Man könne ihn schlecht für etwas verteidigen, wofür er namentlich nicht beschuldigt wurde, so sehen sie das im Klub; außerdem, auch das durchaus nachvollziehbar, würden Dementis doch nur eine öffentliche Maulwurfsuche einleiten. Im Effekt bleibt somit aber ein Verdacht unwidersprochen: jener, dass das Büro des Sportchefs womöglich ein wenig undicht sein könnte.

Für den unbestritten engagierten Salihamidzic bedeutet das, dass seine ohnehin schwere Aufgabe noch schwerer wird. Die Kritiker seiner Arbeit und seines Auftretens, die sich extern, aber auch intern finden, werden sich nach Neuers Interview bestätigt fühlen. Zwar hat der Klub unter Salihamidzic' tätiger Mitwirkung zuletzt die Verträge mit Trainer Hansi Flick und Offensivspieler Thomas Müller verlängert, ohne dass Details nach außen gedrungen wären - der Klub und auch Salihamidzic haben sich in der Corona-Krise als aktiv und entscheidungsfreudig präsentiert und ihre Handlungsfähigkeit am Montag noch mal unterstrichen.

Da gab der FC Bayern bekannt, dass der Vertrag mit Publikumsliebling Alphonso Davies vorzeitig bis 2025 verlängert werde, und auch Salihamidzic durfte im Klub-Kommuniqué auftreten ("Ich freue mich sehr, dass sich der FC Bayern und Alphonso langfristig binden. Alphonso passt mit seiner Geschwindigkeit, Spielfreude und professionellen Einstellung ideal zu unserer Mannschaft").

Weitere Vertragsgespräche stehen an

Diese Nachricht dürfte Salihamidzic erst mal gut tun, aber es stehen demnächst weitere wichtige Gespräche an, und diese Gespräche fallen jetzt eben ins Ressort eines Sportchefs, der nicht nur mit dem Publikumsliebling verlängert, sondern auch vom Kapitän ein kompromittierendes Interview kassiert hat. Der FC Bayern möchte mit Thiago und David Alaba verlängern, und zu klären ist auch noch, ob Leroy Sané kommen soll oder Timo Werner oder Kai Havertz. Trainer Flick, der nicht immer einer Meinung mit Salihamidzic war, sucht außerdem einen weiteren Trainer-Assistenten, am liebsten hätte er den U 17-Trainer Miroslav Klose, der auch nicht immer einer Meinung mit Salihamidzic war.

Und dann wäre da noch das nächste Gespräch mit Neuers Berater Kroth. Drei Männer werden dann an einem Tisch sitzen, sie werden sich viel zu sagen haben, und wenn anschließend nichts davon in der Zeitung stehen sollte, dann dauert es womöglich nicht mehr lange, bis Neuer einen neuen Vertrag unterschreibt.

Auf dem obligatorischen Bild, das der Klub nach einer Verlängerung verschickt, ist üblicherweise immer der Spieler zu sehen. Und daneben der Sportdirektor.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2020
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