Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Noch ein Kratzer am Neuer-Nimbus

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Aus dem Stadion von Jonas Beckenkamp

Der Mann, der Manuel Neuer nun schon zum dritten Mal binnen weniger Monate geärgert hatte, nahm den direkten Weg. Blick geradeaus, schnurstracks Richtung Ausgang, so endete der triumphale Abend von Liverpools Abwehr-Riese Virgil van Dijk in München. Dass er auf dem Weg aus der Arena ein letztes Mal am Bayern-Torhüter vorbei musste, lag daran, dass Neuer gerade viele Fragen beantworten musste. Van Dijk dagegen hatte ja auf dem Spielfeld schon alles gesagt. Wieder ein Kopfball aus der zweiten Etage, wieder gegen Neuer, den er ja schon bei den Länderspielen in Amsterdam im vergangenen Oktober und in Gelsenkirchen im November bezwungen hatte.

Zu den Fragen, die Neuer erreichten, zählte dann auch eine, die nicht mit van Dijk zu tun hatte, sondern mit Sadio Mané, Liverpools Doppeltorschütze. Der hatte den Nationaltorwart beim 0:1 einfach umkreiselt und den Ball ins leere Tor gelupft. Es war eine Szene, die Neuer eine Protagonistenrolle in diesem Spiel aufzwang. Eine wenig schmeichelhafte, schließlich hatte man ihn in seiner langen Karriere als Schreck aller Stürmer selten so verwickelt ins Gesamt-Kuddelmuddel seiner Kollegen gesehen. Ein Fehler also? Am Ende sogar der entscheidende in diesem Achtelfinale? "Grundsätzlich wollte ich Mané stellen", erläuterte Neuer, "er hat es natürlich super gemacht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er den Ball so weltklasse mitnimmt."

Der Bayern-Keeper hatte ja Gutes gewollt, sein Helfer-Instinkt ließ ihn nach vorne eilen, weil Rafinha das Duell gegen Mané schon verloren hatte und Niklas Süle nur behäbig herantrabte. "Dann macht er eine Körpertäuschung, dreht sich von mir weg und hat die innere Linie", sagte Neuer, "lässt er ihn wegtropfen, bin ich da. Wenn ich drin bleibe, geht er Eins-gegen-Eins gegen mich." Das Problem war: Mané ist halt keiner, der so einen Ball verdaddelt und Neuer ist in der aktuellen Verfassung keiner (mehr), der so eine Situation mit einer Grätsche aus seinen algerischen Tagen klärt.

Algerien. Wer an Neuers vielleicht auffälligstes Spiel zurückdenkt, landet oft bei jenem Achtelfinale bei der WM 2014, als er das Torwartspiel neu erfand. Neuer war "Manu der Libero", ein Ein-Mann-Einsatzkommando in höchster Not, die ultimative Lebensversicherung hinten drin. Als solche hatte ihn auch Bayern-Coach Niko Kovac noch vor dem Rückspiel gegen Liverpool bezeichnet. Doch diesen Nimbus kann Manuel Neuer nicht mehr in der Verlässlichkeit gewähren wie einst. Ob er verstehe, dass er gegen Mané unglücklich aussah, wurde er nun gefragt? "Ja, na klar, das verstehe ich", so die Antwort des Mannes, der sich sonst schwer damit tut, seine (wenigen) Durchhänger offen einzuräumen.

Bundestrainer Löw hatte zuletzt seine Nibelungentreue aufgekündigt

Trainer Niko Kovac sagte hinterher bei Sky: "Er geht raus, weil Rafinha in dem Fall außen steht und Mané näher zum Tor ist." Als er gefragt wurde, ob es eine kluge Entscheidung von Neuer war, so rauszukommen, sagte er: "Es war ein Tor, von daher vielleicht nicht." Einen Vorwurf könne man Neuer trotzdem nicht machen. Auf der Pressekonferenz nahm Kovac den Torwart dann erneut in Schutz: "Ich bewerte das als richtig", sagte er, gefragt nach seiner Bewertung des Rauskommens. Wer das Gesamtbild des lange Zeit unüberwindbaren Schlussmannes betrachtet, findet aber durchaus Indizien, die auf die Vergänglichkeit seiner Weltmeister-Aura hindeuten.

In der Bundesliga gibt es Zahlen, die Neuers angekratzten Status belegen: Da wehren Menschen wie der Leipziger Gulacsi, der Frankfurter Trapp oder der Gladbacher Sommer weitaus mehr Bälle ab - tatsächlich rangiert der Münchner in dieser Kategorie auf dem vorletzten Platz aller Erstligakeeper. Im Nationalteam hatte Bundestrainer Löw zuletzt seine Nibelungentreue zu Neuer ein wenig gelockert, als er auch auf der Torwartposition von "einem kleinen Neubeginn" mit Marc-André ter Stegen sprach. Der ist unbemerkt von vielen zu einem echten Herausforderer Neuers geworden. Ter Stegen, 26, hält als Stammkeeper des FC Barcelona so ziemlich alles, was auf sein Tor kommt, er bekommt in Spanien viele blendende Kritiken und hat 2015 die Champions League gewonnen.

Er könnte sie dieses Jahr sogar noch einmal gewinnen (Barcelona setzte sich mit ihm im Tor deutlich gegen Lyon durch) und Szenen wie von Neuer gegen Sadio Mané hat man von ihm lange nicht gesehen. So manifestierte sich gegen Liverpool am Ende der Eindruck, dass auch den großen Neuer, Kapitän des FC Bayern und der DFB-Elf, Verschleiß-Erscheinungen heimgesucht haben. Bald wird er 33, seine Barthaare sind stoppeliger geworden, seine Paraden etwas seltener.

Wenn Joachim Löw am Freitag seine nächste Umbruchs-Erklärung abgibt, ist er im Gegensatz zu den Kollegen Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller aber immerhin noch dabei im Nationalteam. Die Frage ist: Wie lange noch?

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